16.07.2012

Deutschland: Kirche kritisiert documenta-Chefin

Soll Religion durch Kunst ersetzt werden?

Deutschland: Kirche kritisiert documenta-Chefin

Soll Religion durch Kunst ersetzt werden?

Animistische und gnostische Träume

Hofgeismar (idea) – Scharfe Kritik an der Kunstausstellung documenta in Kassel ist beim Symposium „Das Fest der Liebe zur Kunst“ der Evangelischen Akademie Hofgeismar (bei Kassel) am 14. und 15. Juli geübt worden. Die EKD-Kulturbeauftragte Petra Bahr (Berlin) kritisierte, dass die Religionswissenschaft bei der weltweit wichtigsten Kunstschau ausgeblendet werde. Stattdessen kämen alle möglichen Bereiche vor - von der Quantenphysik über die Philosophie bis hin zur Botanik. Damit gehe eine Wiederbelebung von animistischen (naturreligiösen) und gnostischen (religiös-geheimen) Träumen einher, ohne dass die aufklärerische Kritik an diesen Phänomenen berücksichtigt werde. Kritisch äußerte sich Bahr auch zur documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev. Sie schreibe der Kunst eine religiöse Funktion zu, die versöhnen und heilen sowie auf eine andere Welt hinweisen solle. Bahr: „Das ist der Versuch der Ersetzung der Religion durch die Künste.”

Bischof: Religiöse Unter- und Obertöne

Kritik kam auch vom Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein (Kassel). Die documenta arbeite mit „mit religiösen Unter- und Obertönen”. So werde der Katalog wie die Bibel als „Buch der Bücher” bezeichnet, und die Programmformel laute „Trauma und Heilung“. Hein äußerte sich auch zu einem Streit um eine katholische Begleitausstellung des Künstlers Stephan Balkenhol in der Kasseler Sankt Elisabethkirche. Der Künstler hatte eine lebensgroße Figur mit ausgestreckten Armen auf dem Kirchendach installiert, was von den documenta-Verantwortlichen um Christov-Bakargiev kritisiert wurde. Die documenta-Leiterin fühle sich von der Skluptur „bedroht“ und empfinde sie als „einen Eingriff in die Freiheit der documenta“, hieß es. Ob man angesichts dieser Einstellung von Christov-Bakargiev noch von Liebe zwischen Kunst und Kirche sprechen solle, hänge davon ab, was man unter Liebe verstehe, sagte Hein. Er verwies auf einen Bibeltext des Apostels Paulus über die Langmütigkeit der Liebe. Von der großen Toleranz des Apostels könne auch der Kunstbetrieb einiges lernen.

Was die Besucher nicht verstehen

Das künstlerische Konzept der documenta-Chefin kritisierte auch der Karlsruher Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich. Dass die documenta keine grundlegenden Unterschiede mehr mache zwischen Menschen, Tieren und Dingen, verstünden die Besucher nicht. Auf der documenta gebe es etwa 100 Arbeiten, die das Nichtmenschliche in den Vordergrund rückten. Die documenta dauert bis zum 16. September. 750.000 Besucher werden erwartet.