18.09.2019

Religionsfreiheit in der Türkei 2019

Bericht der Freedom of Belief Initiative, einer Initiative des Norwegischen Helsinkikomitees soeben erschienen

In dem kürzlich erschienenen Bericht wird der Stand des Schutzes des Rechts auf Religions-bzw. Glaubensfreiheit in der Türkei auf der Grundlage der internationalen Menschenrechtsnormen untersucht und werden Empfehlungen abgegeben, um Gesetze und deren Vollzug in Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards zu bringen. Gute Praktiken werden hervorgehoben. 

Nachstehend einige der wesentlichen Feststellungen des Berichts:

• Ungeachtet der zahlreichen internationalen und innerstaatlichen Verpflichtungen der Türkei im Bereich der Religionsfreiheit bedürfen zahlreiche Aspekte des türkischen Rechts und dessen Umsetzung noch Änderungen, um Verletzungen der Religions- bzw. Glaubensfreiheit abzustellen. 

• Zahlreiche anlässlich der Erstellung dieses Berichts Befragte, gaben an, dass Personen, deren Religion oder Weltanschauung nicht der sunnitische Islam ist, aufgrund ihres Religionsbekenntnisses, Religionswechsels oder ihrer Religionslosigkeit Druck und Diskriminierung in der Familie, am Arbeitsplatz und in der sozialen Umgebung ausgesetzt sind, obwohl es gesetzliche Garantien gegen Diskriminierung dieser Art gibt. Betroffen sind Atheisten, Konvertiten zum Christentum, Aleviten und andere nicht muslimische Minderheiten.

• Während des Beobachtungszeitraums von Januar 2016 bis März 2019 kam es zu Angriffen, Drohungen und Einschüchterungen gegen Gottesdienststätten und den mit diesen verbundenen Menschen, wobei die Täter meist straflos blieben. Um diese Dynamik zu durchbrechen, wäre eine wirksame Überwachung und Berichterstattung über Hassverbrechen aus religiösen Gründen erforderlich und insgesamt eine ganzheitliche Strategie zur Verhütung von Hassverbrechen im Allgemeinen. 

• Die Türkei anerkennt nach wie vor kein Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Anstelle von Haftstrafen werden derzeit Geldstrafen gegen Wehrdienstverweigerer verhängt. Diese sind zwar geringer als früher, aber häufiger geworden. 

• Die Anerkennung von öffentlichen Gottesdienststätten wird weiterhin durch systematische Hindernisse blockiert. Betroffen sind insbesondere Aleviten, Protestanten und Zeugen Jehovas. Die Türkei hat die in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geforderten allgemeinen Maßnahmen zur Verhütung der Wiederholung derartiger Ereignisse nicht umgesetzt. 

• Die Versammlungsfreiheit der Religionsgemeinschaften wird massiv behindert, da es seit 2013 keine Regelungen für die Wahlen der Leitungsorgane von Stiftungen nicht islamischer Gemeinschaften gibt. Die alten Regelungen wurden außer Kraft gesetzt und die Erstellung neuer Bestimmungen angekündigt, die bis heute nicht erlassen wurden.

• In der Türkei war bisher noch keine Religionsgemeinschaft in der Lage, Rechtspersönlichkeit als Glaubensgemeinschaft zu erlangen. Religiös motivierte Vereine können gegründet werden. Diese Möglichkeit wird von zahlreichen Gemeinschaften genutzt, z.B. um Gottesdienststätten eröffnen oder karitative Tätigkeiten ausüben zu können.

• Im türkischen Bildungssystem werden entgegen internationaler Menschenrechtsverpflichtungen die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit der Kinder und das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung  mit ihren religiösen oder philosophischen Ansichten nicht respektiert. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in diesem Bereich wurden nicht umgesetzt. 

• Der als Wahlfach angebotene Religionsunterricht berücksichtigt die Vielfalt religiöser Anschauungen nicht. Dieses Wahlfach wird oft im Paket in Kombination mit anderen Wahlfächern angeboten, sodass Schüler, die sonst keinen Religionsunterricht besuchen würden, zur Teilnahme gezwungen sind. 

 

• Die Öffnung von Schulen für religiöse Symbole und Praktiken wurde bisher nur für die Symbole und Praktiken des sunnitischen Islams umgesetzt. 

• Die 2015 begonnenen Sicherheitsoperationen gehen in verschiedenen Provinzen Südostanatoliens weiter. In deren Folge kam es zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Schäden an Kulturgütern. Die Zusammenstöße in Diyarbakir haben zu Entwicklungen geführt, die sich auch auf die Religionsfreiheit ausgewirkt haben. Die Auswirkungen auf die kleinen armenischen und syrischen Gemeinschaften waren so stark, dass ihr Verbleib in Diyarbakir ungewiss ist. 

• Die seit 2012 bestehende Möglichkeit, Individualanträge beim Verfassungsgerichtshof einzubringen, bietet neue und ermutigende Möglichkeiten zur Lösung wichtiger Probleme im Bereich der Religions- bzw. Glaubensfreiheit und Menschenrechte im Allgemeinen auf nationaler Ebene. Doch bisher hat der Verfassungsgerichtshof nur über wenige der Anträge entschieden. Anträge zu den wichtigsten Fragen sind nach wie vor anhängig, so auch die Entscheidung über die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. In Entscheidungen gegen exzessiv laute Gebetsrufe aus den Lautsprechern der Moscheen und bezüglich des Kopftuchtragens hat das Höchstgericht eine liberale Position eingenommen. Weiters wurde der Antrag auf Umwidmung der Hagia Sophia, die seit Jahrzehnten als Museum dient, in eine Moschee, abgewiesen. 

Deutsche Kurzfassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit (AKREF) der ÖEA

Einen Link zum vollständigen Bericht in Englisch und Türkisch finden Sie hier.