20.06.2019

Deutschland: Debatte auf dem Kirchentag über Antisemitismus

Wolffsohn: Jüdischer Exodus wird zunehmen


Dortmund (idea) – Der jüdische Exodus aus manchen Ländern in Richtung Israel wird zunehmen, „wenn alles so bleibt, wie es ist“. Diese Ansicht vertrat der deutsch-jüdische Historiker und Publizist Prof. Michael Wolffsohn (Neubiberg bei München) am 20. Juni auf dem 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund in einer Veranstaltung unter dem Titel „Gefahr muslimischer Antisemitismus? Der neue Judenhass – Ursachen und Gegenmaßnahmen“. Die Veranstaltung wurde von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW/Berlin) organisiert und von den beiden EZW-Referenten Friedmann Eißler und Kai Funkschmidt moderiert. Als Beispiel nannte Wolffsohn die Situation von Juden in Frankreich, den USA, aber auch in Deutschland. Die drei Hauptformen des Antisemitismus seien der rechte, der linke und der muslimische Antisemitismus. Antisemitismus definiere er als das, was Juden als gegen sie gerichtet betrachten: „Wenn es Drohungen gibt gegen Juden, dann ist das Antisemitismus.“ Wolffsohn ging auch auf eine Statistik des Bundeskriminalamtes über politisch motivierte Kriminalität ein. Sie besage, dass im vergangenen Jahr fast 90 Prozent der antisemitischen Straftaten von rechts verübt worden seien. Wenn aber ein Großteil der betroffenen Opfergruppe sage, sie nähme es anders wahr, dann habe nicht der Innenminister die Definitionshoheit, „sondern wir als Betroffene“.

Wie es zu Statistiken zu antisemitischen Straftaten kommt

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte, Studien zufolge habe der von Muslimen ausgehende Antisemitismus zumeist seinen Ursprung im Nahostkonflikt und aus einem Hass gegen Israel. Deswegen müsse der Staat vor allem den israelbezogenen Hass bekämpfen. Es sei alarmierend, dass 2018 die Zahl der antisemitischen Straftaten gegenüber dem Vorjahr um fast 20 Prozent angestiegen seien. Dabei würden 89 Prozent der erfassten 1.799 antisemitischen Straftaten der politisch rechts motivierten Kriminalität zugeordnet, was einen Anlass für Debatten biete. „Stein des Anstoßes“ sei eine Handlungsanweisung für Polizeibeamte, wie Straftaten zu erfassen seien. Demzufolge sind fremdenfeindliche und antisemitische Straften dem Bereich rechts zuzuordnen, wenn keine gegenteiligen Tatsachen zur Tätermotivation vorliegen. Der Antisemitismusforscher Günther Jikeli (Bloomington/US-Bundesstaat Indiana) sagte, es gebe 20 Umfragen innerhalb Europas, die zu dem Ergebnis kommen, dass das Niveau des Antisemitismus unter Muslimen deutlich stärker ist als unter Nichtmuslimen. Er widersprach der Aussage von Klein, dass vieles auf den Nahostkonflikt zurückzuführen sei. So gebe es eine Umfrage, nach der jeder Fünfte in Deutschland denkt, dass Juden zu viel Einfluss in den Medien haben. Unter Muslimen hierzulande liege der Anteil bei 58 Prozent. Diese Diskrepanz könnte man nicht mit dem Konflikt erklären.