21.07.2019

Deutschland: Kirchenaustritte: Alarmierende Zahlen

Zur am 19. Juli veröffentlichten Mitgliederstatistik der EKD ein Kommentar von Ulrich Rüß.

(idea) Wenn allein im Jahr 2018 rund 220.000 Mitglieder aus der evangelischen Kirche austreten – 11,6 Prozent mehr als im Vorjahr –, dann ist das ein alarmierendes Zeichen. Die Frage nach den Ursachen muss gestellt werden.

Es gibt eine Fülle von hausgemachten Gründen

Neben einem zunehmenden Säkularisierungsprozess und demografischer Entwicklung gibt es eine Fülle von hausgemachten Gründen. Die evangelische Kirche hat ein Identitätsproblem. Sie wird zunehmend als bevormundende Moralinstanz in Politik- und Weltverständnis wahrgenommen, angepasst an den aktuellen gesellschaftlichen Mainstream, als Vorreiter der Genderideologie und Unterstützer der „Ehe für alle“. Die Kirche hat ihre allgemeine, an der Bibel und dem Bekenntnis ausgerichtete Kompetenz in Fragen des Glaubens, der Ethik und Dogmatik gleichsam selbst aufgegeben. Damit hat sie sich von den Gläubigen entfremdet, steht in einer Glaubwürdigkeitskrise, weil sie sich zu weit von ihren Kernaufgaben, der Vermittlung des Glaubens, des Sich-kümmerns um das Gemeindeglied und der hinwendenden Seelsorge entfernt hat.

Die ständige Beschäftigung mit Strukturfragen unter Vernachlässigung der Kernaufgaben des Glaubens ging zu Lasten der Ortsgemeinde und des einzelnen Gemeindeglieds. Die Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Kristina Kühnbaum-Schmidt, hat recht, wenn sie sagt, es sei für viele Menschen nicht mehr verständlich, wofür der christliche Glaube stehe. Aber genau hier liegt das Defizit. Dabei gibt es nicht wenige, die die Kirche aus Glaubensgründen verlassen, weil sie in ihr nicht mehr den wahren Anwalt christlichen Glaubens sehen; weil sie wahrnehmen, wie Kirche selbst wesentliche Glaubensgrundlagen infrage stellt.

Die Konsequenzen: Ein Sinneswandel ist vonnöten

Bei allen kirchlichen Verantwortungsträgern ist ein Sinneswandel vonnöten, um deutlich zu machen, wofür die Kirche steht in der Gottesfrage, in Glaubensfragen, in Sinnfragen und entscheidenden Lebensfragen. Kirche muss verstärkt Brückenbauer zu Gott sein! Evangelisation, Mission, Seelsorge müssen thematisch die Tagesordnungen kirchlicher Gremien bestimmen. Glaubenskurse sollte es auch für kirchliche Mitarbeiter geben. Christus, die heilige Schrift, der Glaube und die Gnade Gottes müssen die unbestreitbare eindeutige Autorität und Absolutheit bekommen. Die Bindung an Schrift und Bekenntnis darf nicht dem jeweiligen Zeitgeist geopfert werden. Damit steht und fällt die eigene Glaubwürdigkeit und Identität von Kirche.

Der Gottesdienst mit Verkündigung und der regelmäßigen Feier des Heiligen Abendmahls muss Zentrum der Gemeindearbeit bleiben und werden. Das gilt nicht nur für Gemeindeglieder allgemein, sondern auch für Konfirmanden, kirchliche Mitarbeiter und Pfarrer. Wenn alle kirchlichen Mitarbeiter, Pfarrer und kirchlich Bediensteten den Gottesdienst am Sonntag besuchten, wären die Kirchen gut besucht.

Kirchliche Arbeit muss sich konzentrieren auf ihre Kernaufgaben, auf ihren Markenkern und der Verzettelung auf dem Markt der Möglichkeiten wehren. Jesus Christus hat bei allem Reden und Tun Mitte und Leitschnur zu sein, damit das Evangelium Platz gewinnt. Die alarmierenden Austrittszahlen sind für die Kirche ein Aufruf zur Buße und Erneuerung in der Kraft des Heiligen Geistes.

(Der Autor, Pastor Ulrich Rüß (Hamburg), ist Vorsitzender der theologisch konservativen Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands und Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der Nordkirche.)