20.01.2022

Finnland: Was Päivi Räsänen vorgeworfen wird

Anklage wegen Bibel-Tweet: Die finnische Abgeordnete und ehemalige finnische Innenministerin Päivi Räsänen ist wegen Hassrede angeklagt worden. Am 24. Januar steht sie vor Gericht. Dazu ein Einordnung von Sofia Hörder für IDEA

Dass die ehemalige finnische Innenministerin Päivi Räsänen, die einst für die Polizei zuständig war, selbst einmal stundenlang von ihr verhört werden würde und am 24. Januar sogar vor Gericht steht, hätte wohl niemand vorausgesagt. Man möchte meinen, dass die studierte Ärztin und Großmutter von sieben Enkelkindern ein schwerwiegendes Verbrechen begangen haben muss, damit es so weit kam. Tatsächlich steht Räsänen aber vor Gericht, weil sie ihre Überzeugungen teilt. 2019 äußerte sich Räsänen öffentlich zu ihren persönlichen Ansichten in einem Bibel-Tweet und wird nun wegen „ethnischer Agitation“, also wegen etwas, was heute oft als „Hassrede“ bezeichnet wird, beschuldigt. Es drohen ihr bis zu zwei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Als aktives Mitglied ihrer Kirchengemeinde hinterfragte Räsänen im Jahr 2019 auf Twitter die Entscheidung der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands, die LGBT-Veranstaltung „Pride 2019” offiziell zu unterstützen. Sie postete zu ihrer Frage auch ein Foto von Versen aus dem Römerbrief. Daraufhin leiteten die Behörden eine Untersuchung bezüglich des Social-Media-Posts ein und luden Räsänen zu einer vierstündigen polizeilichen Befragung vor. Die Polizei nahm auch weitere Äußerungen, die Räsänen im Laufe der Jahre getätigt und veröffentlicht hatte, unter die Lupe. Die Untersuchungen gingen bis ins Jahr 2004 zurück – zu einer kirchlichen Broschüre, die Räsänen verfasst hatte, bevor das Gesetz, nach dem sie nun angeklagt ist, überhaupt in Kraft war. Die kleine Broschüre sollte zur Lehre ihrer Kirche über menschliche Sexualität dienen.

Darf man Aussagen der Bibel noch zustimmen?

Räsänen wurde wegen der Broschüre und Kommentaren während einer Debatte in einer Radiosendung aus dem Jahr 2019 erneut verhört. Jeweils mehrere Stunden lang. Schließlich erhob die Generalstaatsanwältin im April 2021 eine Strafanklage mit drei separaten Anklagepunkten gegen Räsänen. Auch der evangelisch-lutherische Bischof Juhana Pohjola wurde angeklagt, weil er vor 17 Jahren die Broschüre für seine Gemeinde herausgebracht hatte. Es ist sehr überraschend, dass Finnland – ein Land, das in Bezug auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit oft an der Spitze der Rangliste steht – das Grundrecht auf Meinungsfreiheit so eklatant missachtet. In einem Interview mit der größten finnischen Tageszeitung sagte die Generalstaatsanwältin, dass es zwar gestattet sei, Texte wie den Koran, die Bibel oder „Mein Kampf“ aus historischer Sicht zu zitieren, nicht aber deren Meinung zu vertreten.

Es geht grundsätzlich um die Meinungs- und Religionsfreiheit

Doch Räsänen ist sich ihrer Rechte bewusst und kämpft für die Redefreiheit in Finnland: „Jetzt ist es Zeit, zu sprechen. Denn je mehr wir schweigen, desto enger wird der Raum für die Meinungs- und Religionsfreiheit. Man muss nicht unbedingt mit mir übereinstimmen, um mich zu unterstützen. Ich habe viele Unterstützer, die sagen, dass sie mit dem, was ich gesagt habe, nicht einverstanden sind, aber sie verteidigen mein Recht zu sagen, was ich glaube und denke.“ Trotz Sorge um die möglichen Konsequenzen für die Redefreiheit empfindet sie keine Angst vor dem Gerichtstermin: „Wenn ich verurteilt werde, denke ich, wäre die schlimmste Folge nicht die mögliche Geld- oder gar die Gefängnisstrafe, die auf mich zukommen könnte. Es wäre die Zensur meiner Überzeugungen und die Zensur ähnlicher Aussagen anderer. Doch ich sehe dem Prozess ruhig entgegen. Ich vertraue darauf, dass wir immer noch in einer Demokratie leben und dass wir unsere Verfassung und auch internationale Abkommen haben, die unsere Rede- und Religionsfreiheit garantieren.“ Unterstützung erfährt sie auch von der christlichen Menschenrechtsorganisation ADF International. Deren leitender Anwalt Paul Coleman ist selbst Experte in internationalem Recht und beschäftigt sich vor allem mit Fällen rund um die Themen Rede- und Meinungsfreiheit: „Die Redefreiheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Jegliche Einschränkungen unserer Grundfreiheiten müssen eng begrenzt und genau definiert sein. Bezüglich der Redefreiheit sind sich alle einig, dass die Aufforderung zur Gewalt unzulässig ist. Doch Zensur und strafrechtliche Sanktionen für Aussagen, die keine solchen Aufforderungen enthalten, sind für niemanden von Vorteil. Keiner will eine Orwell‘sche Zukunft, in der nur noch staatlich sanktionierte Rede nachgeplappert werden darf.“

 

Die Redefreiheit geht alle an

Es ist klar, dass die Generalstaatsanwaltschaft an Räsänen ein Exempel statuieren will. Auch wenn es unvorstellbar scheint, dass sie wirklich inhaftiert werden könnte, zeigen die Einleitung der polizeilichen Ermittlungen gegen Räsänen und nun der bevorstehende Prozess der Öffentlichkeit, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung offenbar nicht mehr selbstverständlich ist. Dies führt unweigerlich zu Selbstzensur und zur Schwächung der Demokratie. Denn wenn wir nicht frei sind, auch die eigene Meinung zu durchaus kontrovers diskutierten Themen – oder sogar Bibelverse – zu teilen, wird nicht nur Räsänen, sondern jeder von uns unter Einschränkungen der Redefreiheit leiden.

(Die Autorin, Sofia Hörder, ist Pressesprecherin der christlichen Menschenrechtsorganisation ADF International. Das Werk unterstützt Päivi Räsänen.)