23.06.2022

Kenia: Dennoch predigen

HMK Deutschland – Befreiung – darum ging es bei einer Evangelisationsveranstaltung in Mombasa, Kenia, zu der Ibrahim als ethnischer Somali und Muslim normalerweise nie gegangen wäre. Und doch war er da und wurde von der Kraft des Evangeliums überrascht. Doch wie kam ausgerechnet er zu dieser Evangelisation?

Als Polizist in Mombasa war Ibrahim damit beauftragt worden, die große Menschenmenge zu beobachten, die sich zu der Evangelisation versammelt hatte. Der diensthabende Polizeikommandant hatte Angst, dass die Veranstaltung außer Kontrolle geraten oder gar zum Ziel eines Angriffs werden könne und betraute Ibrahim und einige andere Beamte damit, die Lage im Auge zu behalten.

Evangelisation mit Leidenschaft

So war Ibrahim an jenem Tag Mitte der 1960er Jahre unter den Zuhörern, als der Evangelist nach vorne trat, das Mikrofon in die Hand nahm und seine Bibel aufschlug. Noch heute, mehr als fünf Jahrzehnte später, kann Ibrahim sich an die Leidenschaft in der Stimme des Missionars erinnern. Doch was seine Aufmerksamkeit wirklich erregte, war der Predigttext. Der Evangelist las die Geschichte von der Befreiung der Kinder Israel aus der Hand des Pharaos aus dem 2. Buch Mose Kapitel 14 vor.

Ibrahim war verwirrt. Er wusste von dem Ereignis aus dem Koran, wo es in der zweiten Sure heißt: „O ihr Kinder Israels … gedenket der Zeit, da wir … euch erretteten und das Volk Pharaos vor eurem Angesicht ertränkten.“ Er fragte sich: „Ist denn dieser Redner nun ein Muslim oder ein Christ?“ Ibrahim konnte nicht verstehen, warum ein Christ aus dem Buch der Muslime lesen und predigen sollte, aber seine Neugier war geweckt und so suchte er später eine Kirche unweit der Polizeistation auf. „Warum hat der Evangelist aus dem Koran gelesen?“, fragte er den Pastor unverblümt. Sie kamen ins Gespräch und der Pastor zeigte dem neugierigen Polizisten den biblischen Bericht über Israels Befreiung aus Ägypten und Rettung durch das Schilfmeer hindurch. Zum Abschied schenkte er Ibrahim eine Bibel.

Rückblende

Ibrahim wurde in Wajir, einer Stadt im abgelegenen Nordosten Kenias, geboren. Seine Familie gehörte einem einflussreichen und mächtigen somalischen Clan an, der in Somalia, Kenia und Äthiopien beheimatet ist. Nachdem sein Vater früh gestorben war, wurde Ibrahim hauptsächlich von seiner Mutter und den Verwandten aufgezogen. Zunächst ging es gut, aber dann kam es in der Familie zu schweren Auseinandersetzungen. Ibrahim wurde verstoßen. Ohne Geld und Perspektive schrieb er sich an einer Koranschule ein. Am Ende der zweijährigen Ausbildung war ihm klar: Er wollte die Botschaft Mohammeds von Tür zu Tür verbreiten.

Aber es kam anders: Ibrahim und Hunderte andere wurden von der britischen Kolonialmacht in die Armee einberufen. Es war die Zeit des Zweiten Weltkriegs, und die Briten brauchten dringend Soldaten. Die Wehrpflichtigen durchliefen eine neunmonatige Militärausbildung. Zum ersten Mal in seinem Leben lebte Ibrahim auf engem Raum mit Nicht-Muslimen zusammen, darunter auch Christen. Ibrahim merkte, dass Nicht-Muslime auch anständige Menschen sein können. Mit der Zeit akzeptierte er sie als Freunde und Waffenbrüder und aß sogar von denselben Tellern mit ihnen – für die meisten ernsthaften Muslime etwas Undenkbares. Der Krieg endete, bevor Ibrahim und seine Kameraden in den Kampf ziehen konnten. Aus den Rekruten wurden dann geeignete Kandidaten für den Polizeidienst ausgewählt. Unter den Polizeianwärtern war Ibrahim einer von fünfzig Somali. Nach der Ausbildung trat er seinen Polizeidienst in Mombasa an.

Verlässliche Augenzeugenberichte

Nachdem Ibrahim durch den Pastor erfahren hatte, dass der Evangelist den Bericht über die Befreiung der Kinder Israel aus der Bibel und nicht aus dem Koran vorgelesen hatte, stand er vor der Frage: Wenn im Koran ähnliche Geschichten wie in der Bibel vorkamen, welches Buch hat dann die ältere Tradition?

Als Ibrahim herausfand, dass der Bericht aus dem 2. Buch Mose über zweitausend Jahre früher als der koranische Bericht geschrieben worden war und dann sogar noch von jemandem, der das alles miterlebt hatte – war er sehr beeindruckt. Noch erstaunter war er, als er feststellte, dass die Berichte in der Bibel über Jesus von Augenzeugen geschrieben worden waren, die seine Wunder aus nächster Nähe miterlebt hatten. Das war etwas ganz anderes als die fast sechshundert Jahre jüngeren, zum Teil ähnlich klingenden Aussagen über Isa al Masih im Koran.

 

Evangelisation als Wendepunkt

Kurz nachdem Ibrahim von dem Pastor die Bibel geschenkt bekommen hatte, verließ er den Polizeidienst. In Nairobi fand er eine Stelle als Buchhalter. Zu diesem Zeitpunkt war Ibrahim unentschlossen: Das Fundament des Islams erschien ihm zunehmend brüchig, und auch die Autorität des Korans und Mohammeds stellte er in Frage. Andererseits war er noch nicht dazu bereit, Jesus nachzufolgen, ihn als Sohn Gottes zu akzeptieren und damit mit seinem Clan komplett zu brechen.

In dieser Zeit bemerkte ein Kollege aus der Buchhaltung, dass Ibrahim auf der Suche nach Antworten war. Dieser Kollege war Christ und Pastor der örtlichen Gemeinde. Geduldig hörte er sich Ibrahims Fragen an, zeigte ihm Antworten in der Bibel und begann, täglich mit Ibrahim in der Bibel zu lesen. Schließlich ging Ibrahim mit ihm in die Kirche. Hier beteten sie zusammen und Ibrahim vertraute Jesus sein Leben an. Große Freude erfüllte ihn. Es war, als habe er mit seiner Bekehrung einen neuen Vater und eine neue Familie gewonnen. Sein Vater war gestorben, als Ibrahim noch sehr jung war, seine Familie hatte ihn verstoßen – und nun hatte er einen Vater im Himmel und eine neue Familie in der Gemeinde.

Rückblickend kann man sagen, dass die Evangelisation und die Begegnung mit dem Pastor in der Kirche unweit der Polizeistation zum Wendepunkt im Leben Ibrahims wurde. Ein Funke des Evangeliums war in sein Herz gefallen und hatte angefangen, ihn zu verändern. Die Gespräche mit dem Kollegen entfachten den Funken dann zu einem Feuer.

Seine Frau weinte

1972 wurde Ibrahim dann in seiner Heimatstadt Wajir getauft. Hier lebten hauptsächlich Somali, die ihre Identität als Muslime sehr ernst nahmen. Damit war Ibrahim einer der ersten – möglicherweise sogar der erste – Somali in Kenia, der sich zum Glauben an Jesus bekannte. Die Reaktionen auf Ibrahims Bekehrung und seine Taufe waren fast durchweg negativ. Seine Frau Habiba weinte und wollte eigentlich nicht mehr mit ihm unter einem Dach leben. Sein Clan missbilligte die Entscheidung. Um ihn zur Rückkehr zum Islam zu bewegen, bot der Clanchef Ibrahim riesige Viehherden, Land und seine Tochter zur Frau an, wenn er sich nur von Jesus lossagen und zum Islam zurückkehren würde. Ibrahim lehnte ab. Die Argumente überzeugten ihn nicht und auch spätere Drohungen schüchterten ihn nicht ein. Im Gegenteil: Statt sich vor Angst zu ducken, beschloss Ibrahim, seine Taufe öffentlich zu feiern. Er wollte, dass allen klar würde, dass er den Islam verlassen und Jesus angenommen hatte. Um allen zu zeigen, dass er jetzt ein überzeugter Anhänger von Jesus war, lud er alle Clanmitglieder und Scheichs zur Feier ein. Gleichzeitig hatte er Angst und bat die örtliche Polizeibehörde um Schutz. Für den Fall der Fälle nahm Ibrahim auch noch seine alte Polizeipistole mit. Seine Entscheidung, seinen neuen Glauben öffentlich zu feiern, war trotzdem ein mutiges Glaubensbekenntnis – und es sollte nicht sein letztes sein.

Nach diesen Ereignissen bekam Ibrahim die Möglichkeit, eine Bibelschule zu besuchen. Kurz vor dem Aufbruch musste er die schmerzliche Erfahrung machen, dass er nach wie vor ein cholerischer Mensch war. Die alten sündigen Verhaltensweisen schlichen sich manchmal wieder ein. Sein Glaube an Jesus hatte ihn ganz offensichtlich nicht zu einem Heiligen gemacht. Als seine Frau zögerte, ihn an die Bibelschule zu begleiten und nicht sofort ihre Sachen packte, drohte er ihr, sie zu töten. Aber Gott wirkte dennoch an seinem Herzen und segnete seinen Dienst. Und er zeigte ihm das Risiko auf, das mit der Verkündigung des Evangeliums verbunden war. Trotz allem war Ibrahim fest entschlossen, die gute Nachricht unter seinem Volk zu verbreiten.

Über die Grenze hinaus

Einige Male fuhren er und einige Bibelschüler mit dem Auto durch die benachbarten Dörfer und predigten über Lautsprecher vom Autodach aus. Diese Predigten in Somali erregten große Aufmerksamkeit, denn die meisten Somali hatten das Evangelium von Jesus noch nie in ihrer Sprache gehört. Sie wunderten sich: Waren denn nicht alle Somali Muslime? Aber warum sprach dieser dann von Jesus und der Bibel? Das machte sie neugierig.

Doch es gab auch andere Stimmen, die empört forderten, dass Ibrahim den Tod verdiene. Denn Somali sein hieße Muslim sein. Der Tod war für einen Abtrünnigen daher eine angemessene Strafe. So kam es immer wieder dazu, dass aufgebrachte Muslime das Auto der Bibelschüler mit Steinen bewarfen. Manchmal wurden die jungen Evangelisten auch aus dem Auto gezerrt und verprügelt. Mehr als einmal wurde auf sie geschossen. Schließlich wurde ihr Fahrzeug von einem aggressiven Mob völlig zerstört.

Riskanter Bibelschmuggel

Doch das hielt Ibrahim nicht davon ab, das Evangelium nicht nur mit den Somali in Kenia zu teilen, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus. Die Bibel hatte sein Leben verändert und er hoffte, dass sie auch das Leben vieler weiterer Somali verändern würde.Sorgfältig verpackte Ibrahim Neue Testamente, schnallte diese auf den Rücken eines Kamels und machte sich auf den Weg. Es war ein siebentägiger Ritt von seinem Zuhause in Kenia nach Somalia. Die kostbare Schmuggelware gelangte unversehrt über die Grenze, wo Ibrahim sie verteilte. Das war sehr gefährlich. Mehrmals gab es Übergriffe. Ein Mann versuchte, Ibrahim zu steinigen. Doch dann fand dieser Mann sogar zum Glauben an Jesus. Einmal wurde Ibrahim verhaftet und vier Tage festgehalten.

 

Ohne Frau und Familie

„Doch das Schlimmste“ erinnert sich Ibrahim, „war, dass mein Clan mich gewaltsam von meiner Familie getrennt hat, weil ich Christ geworden war.“ Obwohl seine Frau ihn eigentlich nicht verlassen wollte, konnte sie sich dem Druck ihrer Verwandten nicht widersetzen.Immer wieder wurde sie gedrängt, ihren Mann zu verlassen. Insgesamt rund elf Jahre lebten sie voneinander getrennt, allein drei davon verbrachte seine Frau mit den Kindern in der saudischen Botschaft in Nairobi. Für den saudischen Botschafter gehörte der Schutz des Islam zu den wichtigsten Aufgaben. Ibrahims Frau starb, als sie wieder einmal von ihrem Mann getrennt bei Verwandten lebte. Sie war nur etwa 60 Jahre alt geworden. Über Begräbnis und Trauerfeier wurde Ibrahim nicht einmal informiert.

Aber Gott kommt mit seinen Plänen immer zum Ziel – auch durch Leid und Verfolgung hindurch.  Nichts kann Gottes Heilsplan aufhalten. Immer muss denen, die Gott lieben, letztlich doch alles zum Besten dienen. Und so hat Gott auch Ibrahim während all der langen zermürbenden Jahre getragen. Durch sein Wort und durch die Gemeinde schenkte Gott ihm immer wieder Trost und Kraft. „Mein Glaube hat mir Kraft gegeben“, sagt Ibrahim. „Hätte ich diese Kraft nicht gehabt, wäre ich in mein altes Leben zurückgefallen.“ Und dann war da das Vorbild der biblischen Glaubenshelden: „Viele vor mir haben die gleiche oder weit schlimmere Verfolgung erlitten als ich. Stephanus wurde wegen seines Zeugnisses getötet. Und auch Paulus hatte viel zu leiden. Mir war klar, dass ich denselben Weg gehen musste wie sie. Manchmal, wenn der Schmerz unerträglich war, ermutigten mich Gemeindemitglieder und beteten mit mir.“

Ein Wort, das Ibrahim immer wieder half, war der Vers aus Psalm 5: „HERR, merke auf mein Seufzen!“ Davids Gebet sprach ihm aus dem Herzen, ermutigte ihn immer wieder, auf Gottes Fürsorge zu vertrauen und erinnerte ihn daran, Gott auch die Strafe derer zu überlassen, die ihn so misshandelten. Alles Leid konnte Ibrahims Leidenschaft für das Evangelium und die Evangelisation nicht dämpfen. Gott wollte, dass Menschen gerettet werden, und das wollte Ibrahim auch. Gott hatte sein Leben verändert. Das sollten andere auch erleben. Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten ermutigte ihn, treu mit dem ihm Anvertrauten zu „wuchern“.

Wie Ibrahim die Herzen der Somali gewinnt

Der Funke, der vor so vielen Jahren bei einer Evangelisation in Ibrahims Herz gefallen war, ist zu einem brennenden Licht für Jesus geworden. Ein Licht, dass bis heute unter den Somali in Kenia und Somalia leuchtet. Obwohl die meisten von ihnen sich als Muslime bezeichnen, kennen viele die grundlegenden Lehren des Islam nicht wirklich. Schließlich ist der Koran in Arabisch geschrieben, einer Sprache, die viele Somali nicht sprechen und lesen können. Wenn Ibrahim mit Muslimen spricht, erzählt er ihnen zunächst von seiner Herkunft und beschreibt, wie er den Koran studiert hat. Erst dann kommt er auf Jesus zu sprechen. So gewinnt er Herzen. Die Leute verstehen seine Botschaft und viele sind eigentlich bereit, Jesus anzunehmen – aber dann hält die Angst vor Verfolgung sie doch zurück. Einige aber sind willens,  ganze Sache zu machen und bekennen sich mutig zu Jesus. Solche Kühnheit hat aber immer wieder ihren Preis. Somali, die sich zu Jesus bekennen, gehen auch in Kenia ein großes Risiko ein. Die kenianische Re-gierung verspricht zwar Religionsfreiheit, greift aber bei Verfolgung durch Familienmitglieder kaum ein.

Die überschwängliche Kraft von Gott

Im Laufe der Jahre wurde Ibrahim angegriffen, angeschossen, verhaftet und man versuchte, ihn zu steinigen – zuletzt als er bereits über 80 Jahre alt war! Dennoch hat er stets das Evangelium treu verkündigt – aus dem Auto, von einem Lkw sowie von den Kanzeln vieler Kirchen und in zahllosen persönlichen Gesprächen. „Wenn man bereit ist, ein treuer Verwalter des Wortes Gottes zu sein, wird man durch Probleme, Herausforderungen und sogar durchs Feuer gehen“, stellt er ganz nüchtern fest. Für Ibrahim sind Leiden die normale Begleiterscheinung eines Lebens mit Jesus und nichts im Vergleich zu dem, was Jesus selbst für uns gelitten hat.

Das fortschreitende Alter und gesundheitliche Probleme haben Ibrahims Arbeit in den letzten Jahren verlangsamt. Doch noch immer ist er unterwegs, um das Evangelium weiterzugeben. Viele Pastoren betrachten ihn als Vorbild und suchen seinen Rat. Darunter ein junger Evangelist, Abdiwelli, der Muslime für Jesus erreichen wollte und deswegen 2013 in Garissa erschossen wurde. „Er war wie ein Sohn für mich. Mein Sohn im Glauben“, erzählt Ibrahim und zeigt stolz sein Bild. Ibrahims Gemeindeverband schreibt ein Ruhestandsalter für Prediger vor. Ibrahim hat es längst überschritten. Solange Gott ihm die Kraft gibt, will er das Evangelium verkünden. Es ist mehr als 50 Jahre her, dass ein Funke des Evangeliums in sein Herz fiel und dort durch Gottes Gnade über die Jahre ein Feuer entfachte. So durfte Ibrahim bei aller persönlichen Schwachheit zu einem brennenden Licht für Jesus werden. Es ist, wie Paulus sagt: „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.“ Nach wie vor ist Ibrahim bereit zu predigen und alles zu riskieren, damit Somali das Heil, das allein der Glauben an Jesus schenkt, finden. „Ich trage immer eine Bibel bei mir“, sagt er lächelnd. „Ich muss doch predigen.“

Quelle: HMK Deutschland

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