28.11.2022

Indien: Oberster Gerichtshof erhöht Druck auf Christen (2)

(Open Doors, Kelkheim) – Am 14. November hat der Oberste Gerichtshof Indiens in einem Urteil die Regierung aufgefordert, gegen sogenannte „erzwungene religiöse Konversionen“ vorzugehen (wir berichteten). Damit verstärkt das Gericht den Druck auf religiöse Minderheiten wie Christen oder Muslime, die häufig mit derartigen Vorwürfen konfrontiert werden. Regelmäßig kommt es deshalb zu gewaltsamen Übergriffen und Verhaftungen.

„Religiöse Propaganda“ als Basis für Rechtsprechung

Ausgangspunkt des Urteils war eine Petition von Ashwini Upadhyay, einem Politiker der hindu-nationalistischen BJP-Partei von Premierminister Narendra Modi. Darin hatte Upadhyay behauptet, betrügerische Konversionen würden wöchentlich stattfinden und seien zu einem „landesweiten Problem“ geworden. Das Gericht griff diese Einschätzung auf und verband seine Handlungsaufforderung an die Regierung mit einem Verweis auf die nationale Sicherheit.

„Dies ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung“, kommentierte James Kumar*, einer der lokalen Partner von Open Doors, das Urteil des Obersten Gerichtshofs. „Das Gericht bestätigt die Behauptung, es komme zu ‚betrügerischen Konversionen‘. Dabei stützt es sich allerdings nicht auf Forschungsergebnisse, sondern auf extremistische religiöse Propaganda“, so Kumar, dessen richtiger Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden kann.

„Darüber hinaus hat das Gericht die Zentralregierung aufgefordert, nationale Maßnahmen zu ergreifen, obwohl religiöse Angelegenheiten in die Gesetzgebungskompetenz der einzelnen Bundesstaaten fallen“, sagte er. „Das kann dazu führen, dass die Zentralregierung versucht, auf alle Landesregierungen Druck auszuüben und sie zur Einführung von Anti-Bekehrungs-Gesetzen zu zwingen.“

Auch Rinzen Baleng, Indien-Expertin und Sprecherin von Open Doors, zeigte sich enttäuscht und beunruhigt über das Urteil: „Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist nicht durch überprüfbare Fakten oder Zahlen untermauert“, kommentierte sie. „Die Verwendung zweideutiger und weit gefasster Begriffe wie ‚Bedrohung der nationalen Sicherheit‘ verstärkt die Befürchtung, dass der Vorwurf ‚religiöser Zwangskonversion‘ zunehmend dazu verwendet wird, Anklage gegen Personen zu erheben, die einfach ihre von der Verfassung geschützte Religions- oder Glaubensfreiheit ausüben.“

Allein in Uttar Pradesh 30 Pastoren wegen „Bekehrungen unter Zwang“ inhaftiert

Aktuell haben elf indische Bundesstaaten Anti-Bekehrungs-Gesetze erlassen. Beobachter weisen darauf hin, dass die Anzahl von Übergriffen gegen Christen mit der Einführung derartiger Gesetze deutlich ansteigt. Dies belegt unter anderem der von Open Doors mitverfasste Bericht zur Situation religiöser Minderheiten in Indien.

Allein in Uttar Pradesh sind aktuell etwa 30 Pastoren in Haft wegen der Anschuldigung, Menschen „unter Zwang“ zum christlichen Glauben „bekehrt zu haben“. Das teilte die Pastorenvereinigung von Uttar Pradesh mit. Die Vereinigung hat die Behörden gebeten, die Fälle der Pastoren zu untersuchen und ihnen Schutz zu gewähren. „Der zügellose Missbrauch der Anti-Bekehrungs-Gesetze der Bundesstaaten hat den Christen das Leben schwer gemacht“, so Isaac Singh, ein christlicher Leiter, gegenüber der katholischen Nachrichtenseite UCA News.

12 Länder mahnen Indien zum Schutz der Religionsfreiheit

Indiens Menschenrechtsbilanz stand Anfang dieses Monats im Mittelpunkt der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf. Ein Dutzend Staaten forderten die indische Regierung auf, dafür zu sorgen, dass die Anti-Bekehrungs-Gesetze nicht gegen das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit verstoßen, Fälle von religiös motivierter Gewalt und Diskriminierung zu untersuchen und Gewalt und Hassreden gegen religiöse Minderheiten zu verurteilen.

Auf dem Weltverfolgungsindex 2022 belegt Indien den 10. Platz unter den Ländern, in denen Christen am stärksten wegen ihres Glaubens verfolgt werden.