26.09.2022

Iran: Der Protest wächst

Zu der aktuellen Entwicklung drei Fragen an Ado Greve. Er ist Pressesprecher des christlichen Hilfswerks Open Doors

IDEA: Wie sind die aktuellen Proteste in Iran einzuordnen?

Greve: In der Islamischen Republik Iran sind Religion und Politik untrennbar miteinander verwoben. So richten sich die aktuellen Proteste zuallererst gegen Ajatollah Ali Chamenei, den obersten Führer des schiitischen Gottesstaates. Viele Demonstranten fordern nichts weniger als das Ende des Regimes. Der ungeklärte Tod der 22-jährigen Mahsa Amini ist dabei aktueller Anlass, die Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit der streng islamischen Unterdrückung im Land geht jedoch viel tiefer. Sie protestieren seit Jahren gegen Misswirtschaft und Korruption. Die Wirtschaftskrise treibt viele in die Armut – und der Hunger auf die Straße. Sie wollen umfangreiche politische Reformen. Die Proteste erinnern an die „Grüne Bewegung“ im Jahr 2009, als Hunderttausende gegen das Regime protestierten und brutal zum Schweigen gebracht wurden. Viele Verhaftete „verschwanden“, die Anzahl der Ermordeten ist nicht geklärt. Schauprozesse dienten als Einschüchterung. Eine Aufarbeitung gibt es nicht. Tausende öffentliche Proteste in den Folgejahren wurden in gleicher Weise erstickt. Der amtierende Präsident Ebrahim Raisi war zuvor Generalstaatsanwalt und oberster Richter Irans und ist für seine Rolle bei der Hinrichtung tausender iranischer Dissidenten bekannt.

IDEA: Müssen die Sittenwächter künftig mit mehr Gegenwind rechnen?

Greve: Die strengen Hidschab- und andere religiöse Vorschriften sind Auslöser für die Proteste. Inzwischen gibt es zahlreiche Tote und Verletzte. Die Geduld der Bevölkerung – und das gilt nicht nur für die zum Kopftuchtragen gezwungenen Frauen und Mädchen – hängt an einem seidenen Faden. Das Kopftuch ist zum Symbol der Unterdrückung geworden, deshalb verbrennen Frauen es nun öffentlich – es wirkt wie ein Akt der Befreiung.

IDEA: Werden diese Proteste irgendwelche Auswirkungen auf den Umgang mit Christen haben?

Greve: Traditionelle und mehr noch konvertierte Christen sind immer in Gefahr, denn sie werden vom Regime gezielt verfolgt und unterdrückt. Zahlreiche christliche Konvertiten wurden in den letzten Jahren etwa wegen „Verbrechen gegen die nationale Sicherheit“ zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Hauskirchen sind illegal. Die Regierung wird jede „Bedrohung“ niederschlagen, dazu gehört für sie auch das Evangelium. Die Menschen im Land aber sehnen sich nach Hoffnung und Frieden. Deshalb ruft Open Doors dazu auf, für die Christen zu beten, dass sie trotz großer Gefahr mit Mut und Weisheit Jesus Christus verkünden.