14.03.2023

Nicaragua: Christen im Fadenkreuz

Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Warum sind häufig Christen betroffen? IDEA hat den Menschenrechtler Martin Lessenthin um eine Einordnung gebeten.

Das besondere Merkmal in dem vom Ehepaar Ortega-Murillo diktatorisch beherrschten zentralamerikanischen Staat sind die Verfolgung von engagierten Christen und Journalisten. Nach einem Bürgerkrieg war der Sandinisten-Führer Daniel Ortega ab 1985 Präsident Nicaraguas, wurde aber wegen seiner autoritären Amtsführung 1990 abgewählt. Seit 2006 fungiert Ortega als Dauermachthaber von Nicaragua und sicherte seine Wiederwahlen durch die Verfolgung und Inhaftierung Andersdenkender. Seit 2016 amtiert zusätzlich Ortegas Ehefrau Rosario Murillo als Vizepräsidentin, die sich selbst als Esoterikerin bezeichnet und sich als Schamanin betätigte. Murillo gilt als Antreiberin einer Auslöschung christlichen Einflusses.

Diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan ausgesetzt

Die Verurteilung von Bischof Rolando José Álvarez Lagos (56) wegen „Ungehorsam und Untergrabung der nationalen Integrität“ am 10. Februar zu 26 Jahren Haft hatte internationale Kritik nach sich gezogen. Bischof Álvarez prangerte die soziale und politische Krise im Land öffentlich an und befand sich daher seit August 2022 in Hausarrest. Er hatte sich geweigert, seine Heimat zu verlassen und ins Exil in die Vereinigten Staaten zu gehen. Jetzt hat die Regierung die Schließung des katholischen Hilfswerks Caritas sowie von zwei der katholischen Kirche nahestehenden Universitäten beschlossen und öffentliche Gebete bei Prozessionen zu Ostern verboten. Auf die Kritik von Christen auf die Repressalien reagierte die Regierung Ortega zudem mit der Aussetzung der diplomatischen Beziehungen zum Vatikan. Christen im ganzen Land müssen nun zu Ostern Repressalien fürchten, wenn sie ihren Glauben ausüben. Bereits seit Jahren geht Präsident Ortega mit harter Hand gegen Kritik von der katholischen Kirche, Nichtregierungsorganisationen und unabhängigen Medien vor, die die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen der Regierung öffentlich machen. Wir berichten bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) regelmäßig von Zwangsschließungen karitativer Organisationen und katholischer Radiosender, Brandschatzungen von Kirchengebäuden, Polizeikontrollen und Störungen von Gottesdiensten sowie von Drohungen gegen Gläubige in Nicaragua.

Viele Geistliche inhaftiert

Weitere Geistliche wie die Priester Manuel García und José Urbina aus der Diözese Granada sind aus politischen Gründen inhaftiert. Bereits über 220 Personen – darunter Priester, Seminaristen und politische Gegner – sind des Landes verwiesen worden. Immer öfter geraten auch Ordensgemeinschaften ins Visier der Regierung Ortega. Dennoch: Die regimekritische katholische Kirche hat trotz der zahlreichen Unterdrückungsmaßnahmen für die Menschen weiterhin einen hohen Stellenwert. Sie ist noch immer breit aufgestellt, weshalb sie nicht einfach über Nacht ausgeschaltet werden kann. Die ebenfalls regimekritischen evangelischen Christen in Nicaragua sind in einer weitaus schwierigeren Lage, da sie nie über eine vergleichbare Struktur verfügten.

(Der Autor, Martin Lessenthin, ist Historiker und Menschenrechtsexperte. Er gehört dem Kuratorium des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) an und ist Vorstandssprecher der IGFM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte).)