04.11.2024

Ägypten: Ein Blick hinter den Schleier

findet ein Christentum, das diskriminiert und um Zukunftschancen gebracht wird

(IDEA) Ägypten, das Urlaubsparadies. Noch zu Weihnachten kann man im Meer baden, Sportmöglichkeiten in Hülle und Fülle nutzen, tolle Nil-Kreuzfahrten erleben und Pyramiden besichtigen. Doch wer hinter den Schleier des Urlaubsparadieses blickt, findet dahinter ein Christentum, das diskriminiert und um Zukunfts chancen gebracht wird. Das Hilfswerk Christen in Not (CiN) gibt Einblick.

Der ägyptische Präsident Abd al-Fattah as-Sisi zeigt sich gerne bei koptischen Gottesdiensten und erlaubt auch Kirchenneubauten. Damit scheint vordergründig in Ägypten alles gut zu sein – wenn da die schwärende Wunde zahlreicher entführter christlicher Mädchen und junger Frauen durch muslimische Männer nicht wäre. Allein im Zeitraum vom 10. Juni bis 10. Juli 2024 wurden im Umkreis der Projektarbeit von CiN in al-Minya, Luxor und Asyut sowie in der Region Kairo sieben junge Mädchen im Alter von 16 bis 26 Jahren entführt. Offizielle Zahlen gibt es nicht, doch die in den USA ansässige Organisation „Coptic Soldarity“ vermutet, dass Hunder te koptischer Christinnen jährlich verschwinden. Einige tauchen in den Sozialen Medien wieder auf, wo sie ihren Glaubensübertritt zum Islam verkünden. Von anderen fehlt jede Spur. Während die einen Täter sich mit dem Verkauf der Christinnen bereichern wollen, treibt andere der antichristliche Hass an.

Nach dem Examen entführt

Eine der Betroffenen ist Arene. Die 20-jährige Christin wurde am 22. Januar nach ihrer ersten Prüfung an der medizinischen Fakultät in Asyut (Oberägypten) entführt. In der Tasche hatte sie umgerechnet 2,75 Euro, ein Stethoskop für medizinische Untersuchungen und einige Prüfungsunterlagen. Sie hatte ihr ganzes Leben vor sich: Ein Studium, das sie gerade erst begonnen hatte, eine Familie, die ihr dieses Studium mit vielen persönlichen Opfern ermöglichte, und ein Leben in Selbstbestimmung. Die Familie und die Kirche fanden durch eigene Ermittlungen heraus, dass sich Arene im Dorf Amarna, dem Zentrum von El-Balyana im Gouvernement Sauhadsch, befinden könnte. Die erst spät gestarteten behördlichen Untersuchungen verliefen trotz der Hinweise im Sande und Arene blieb verschwunden. Ihr Vater ist verzweifelt: „Ich schlafe nachts nicht. Ich bitte jeden, der mit uns fühlt, um Hilfe. Ich möchte meine Tochter wieder bei mir haben, tot oder lebendig. Ohne Gewissheit über ihr Schicksal kann ich nicht weiterleben.“ Auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, hofft Arenes Familie, sie eines Tages wiederzusehen. Viele Mädchen erwartet die Zwangsislamisierung und -verheiratung, teilweise auch der Verkauf als Sklavin in Länder wie Saudi-Arabien, Somalia oder Libyen.

Zögerliche Behörden

In allen Fällen wie dem von Arene sind die Behörden eher zögerlich. Allzu oft heißt es zunächst, die Mädchen seien aus Liebe zu einem Jungen wohl davongelaufen. So eine „Liebesaffäre" ist fast immer eine Schutzbehauptung der Beamten, um nicht sofort tätig werden zu müssen.

Oft fehlt den eher armen christlichen Familien das Bestechungsgeld um die unterbezahlten Polizisten zum schnellen Einsatz zu „motivieren“. Doch auch latenter Islamismus in deren Reihen lähmt die Ermittlungen und mindert den Erfolg auf Befreiung deutlich. In wenigen Fällen können die selbst ermittelnden Familien und Kirchen ein Lösegeld aushandeln und das Mädchen so freikaufen.

Kleines Wunder

Wovon Arenes Eltern noch träumen, hat die Familie der 22-jährigen Demiana (Name geändert) aus al-Fayyum, einer Großstadt in Nord ägypten, erlebt. Die Sportstudentin, Schwimmtrainerin und Tochter eines international tätigen Schiedsrichters für den Ringkampfsport konnte ihren Entführern am 10. Juli entkommen und nach Hause fliehen. Vier Tage zuvor war sie verschleppt worden. Aus Angst vor Vergeltung oder einer erneuten Entführung will sie keine Details erzählen. CiN sorgt für die psychologische Betreuung der jungen Christin. Der Weg zurück in die Normalität wird lang. Während die Entführung einer Christin im muslimischen Ägypten keine Empörung auslöst, würden die Reaktionen unter umgekehrten Umständen in Europa wohl extrem ausfallen.

 

Vorurteile bekämpfen

Pastor Magdy weiß um den Einfluss der verbotenen radikalislamischen Muslimbrüder abseits der zentralen Städte wie Alexandria, Kairo oder Luxor. Sie verbreiten stereotype Vorurteile, etwa dass Christen minderwertig und unrein sind, den Islam ablehnen oder Muslime zum Christentum bekehren wollen. Gerade in diesen Regionen kommt es nicht nur gehäuft zu Entführungen, sondern auch zu den meisten Übergriffen auf Christen im Allgemeinen. Auch Magdy erlebte in seinem Dorf nahe der südägyptischen Provinzstadt al-Minya viele Anfeindungen aufgrund seines Berufs als Pastor. Da dieser im Ausweis vermerkt ist, kann er ihn nicht verbergen. Aus diesem Grund bekommt etwa seine Frau keine Arbeitsstelle als Krankenschwester in einem staatlichen Krankenhaus – eine typische Form der Alltagsdiskriminierung. Um die Vorurteile in der Bevölkerung abzubauen, betreibt der Pastor und CiN-Partner seit 2017 eine Schule für gehörlose und geistig behinderte Kinder. Trotz Unterstützung durch den Bürgermeister war die Angst unter den muslimischen Eltern vor der Missionierung ihrer Kinder im ersten Jahr groß. Heute sind die monatlich angebotenen Sprechtage, in denen die Eltern im Umgang mit ihren Kindern geschult werden, sehr beliebt. Ebenso gerne werden die Ausbildungen für Mädchen zur Schneiderin, Friseurin oder Kosmetikerin sowie Lesekurse für erwachsene Analphabeten genutzt. Im Dorf glaubt mittlerweile niemand mehr die antichristliche Propaganda der Muslimbrüder. Die in die Tat umgesetzte Nächstenliebe, die uns das Evangelium aufträgt, ist erfolgreicher als viele interreligiöse Schönwettergespräche.

Dieser Artikel ist im IDEA-Spezial „Christenverfolgung“ erschienen. Jetzt Heft bestellen.