30.10.2024
Ukraine: Regierung hatte sie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche entzogen
Tumulte bei der Beschlagnahmung der Kathedrale von Tscherkassy
Tscherkassy (IDEA) – In der ukrainischen Stadt Tscherkassy (südöstlich von Kiew) ist es bei der Beschlagnahmung der örtlichen Kathedrale zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung gekommen. Das Gotteshaus gehörte ursprünglich der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK). Die Leiterin des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes und Referentin für Orthodoxie, Pfarrerin Dagmar Heller (Bensheim), berichtete der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA auf Nachfrage, dass sich der Klerus und viele Gläubige der UOK-Gemeinde gegen die Beschlagnahmung gewehrt hätten. Sie hätten weiterhin versucht, in der Kathedrale Gottesdienste abzuhalten. Am Morgen des 17. Oktober 2024 hielten sich ihr zufolge die Gläubigen und der Klerus der Gemeinde, darunter auch der bisherige Metropolit Theodosius, in der Kathedrale und deren Umgebung auf. Unbekannte Angreifer hätten an dem Tag mehrere Versuche unternommen, das Gotteshaus zu stürmen.
Die Kathedrale wird besetzt
Beim dritten Mal sei es ihnen schließlich gelungen, und sie hätten es im Namen der rivalisierenden Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) in Besitz genommen. Dabei hätten sie Gewalt gegen Geistliche und Gläubige der UOK angewendet, die wiederum Widerstand leisteten. Auch die Diözesanverwaltung sei von den Angreifern besetzt worden. Die Strafverfolgungsbehörden hätten nichts unternommen. Zum Hintergrund: In den ersten Medienberichten war fälschlicherweise behauptet worden, der Metropolit und seine Anhänger hätten die Kathedrale gestürmt. Auf Videoaufnahmen ist allerdings zu sehen, wie es ihnen gelingt, die mutmaßlich mit Schusswaffen, Reizgas und Dachlatten bewaffneten Angreifer vorerst wieder zu vertreiben, indem sie diese mit Kirchenbänken und anderen Gegenständen bewarfen.
Metropolit betete weiterhin für den russisch-orthodoxen Patriarchen
Heller schilderte, dass die Ursache für die Beschlagnahmung mutmaßlich das Agieren des Metropoliten gewesen sei. Er habe weiterhin in der Liturgie zum Gebet für das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kyrill (Moskau) aufgerufen, was in der UOK seit Mai 2022 verboten sei. Denn die UOK hatte sich als Reaktion auf den Einmarsch russischer Truppen im Februar 2022 im Mai desselben Jahres vom Moskauer Patriarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) losgesagt, dem sie bis dahin unterstanden hatte. Das Verhalten des Metropoliten habe in Tscherkassy für Irritationen gesorgt. Die Behörden hätten deshalb ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet. Eine Versammlung der politischen Gemeinde am 12. Juni 2024 habe zudem beschlossen, die Kirche von der UOK in die OKU zu überführen. „Dabei wurden allerdings, entgegen der Ordnung, die Gläubigen der UOK-Gemeinde nicht wirklich an der Entscheidung beteiligt.“ Die Versammlung habe zudem eigenmächtig Änderungen an der Verfassung der Gemeinde vorgenommen, und ein Metropolit der OKU sei als Oberhaupt eingetragen worden.
Kathedrale wird Garnisonskirche der Streitkräfte
Nachdem das Gotteshaus unter die Kontrolle der OKU geraten sei, habe der neue OKU-Metropolit Johannes dort noch am selben Tag einen Gebetsgottesdienst für die Ukraine abgehalten. Im Anschluss wurde bekanntgegeben, dass die Kathedrale von nun an eine Garnisonskirche der ukrainischen Streitkräfte sei. Heller wies darauf hin, dass ihre Informationsquelle in der Ukraine berichtet habe, dass solche Vorgänge häufig vorkämen. Eine ähnliche Auseinandersetzung hatte es im Jahr 2023 wegen des Kiewer Höhlenklosters, der Lawra, gegeben, das von den Behörden ebenfalls geräumt worden war.