12.09.2024
Israel: Was Deutschland für die Geisel tue
In einem Interview bemängelt der deutsche Botschafter in Israel die Instrumentalisierung Gottes im Nahen Osten.
(Israelnetz.de, MAINZ (inn) – Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, hat dafür plädiert, Gott aus politischen Tagesentscheidungen herauszuhalten: „Hier grundsätzlich in Israel beklage ich das auf beiden Seiten, dass Gott zu sehr als Argumentationshilfe in der Politik oder als Begründung für Politik genommen wird“, erklärte der frühere Regierungssprecher in einer Folge des Podcasts „Lebensfragen“ des Bistums Mainz, die am Montag veröffentlicht wurde.
„Ich glaube, da stecken selten besonders gute Absichten dahinter“, sagte Seibert weiter. Dennoch denke er, dass „ein ganz bestimmtes Menschenbild, das aus dem Glauben kommt“, wichtig sei „für den Menschen als Individuum, wie für die Gemeinschaft, in der er lebt“.
„Du bist ja vollkommen hilflos“
Auf die Frage, ob Seibert selbst Situationen kenne, in denen er gern beten möchte, antworte er mit „Ja, aber …“. Er bete auch, aber nicht für politische Ereignisse. Seibert ist zwar evangelisch getauft, aber aus der evangelischen Kirche ausgetreten und später in die katholische Kirche eingetreten. Dass es so gekommen ist, bezeichnet er als „Fügung“.
Über die Lage in Israel erzählte der Botschafter, dass die Menschen sehr normal ihrem Leben nachgingen. Zugleich betonte er, dass es „in den Menschen anders aussieht“. Es gebe extremen Druck, extreme Spannung und ein großes Trauma: „Niemand wird hier sagen, dass er das Leben hier im Moment normal findet, obwohl er zur Arbeit geht, seine Kinder im Kindergarten abliefert, Essen geht, ins Kino oder Theater geht.“
Zur Geiselsituation erklärte Seibert, dass er am 8. Oktober morgens früh von einem Geiselangehörigen angerufen wurde, der ihm erzählte, dass sein Vater entführt worden sei: „Ich wusste zunächst gar nicht, wie ich damit umgehe. Du bist ja vollkommen hilflos.“
Seibert: Geiselfamilien sind mir ans Herz gewachsen
Der Botschafter betonte, dass Deutschland mit allen spreche, die Einfluss auf die Geiselverhandlungen haben. Gleichzeitig versuche die Botschaft, dafür zu sorgen, „dass diese Menschen nicht vergessen werden“: „Wir glauben, dass dieses Vergessen und eine damit einsetzende Gleichgültigkeit der größte Feind dieser Geiseln sind.“ Außerdem halte die Botschaft Kontakt zu den Geiselangehörigen „so eng wie möglich“: „Viele dieser Familienangehörigen sind mir sehr ans Herz gewachsen.“
Seibert erklärte im Podcast auch, der Konflikt sei „ziemlich komplex“: „Es fällt mir sehr oft auf, dass uns in Deutschland – und da nehme ich mich überhaupt nicht aus, bevor ich hierher kam – wichtige Grundkenntnisse fehlen.“ Mit Blick auf Israel beklagte der Botschafter, dass es zu wenige Gespräche zwischen Juden und Palästinensern gebe. Es brauche Räume, in denen man einander emphatisch zuhöre. (mas/ser)