29.09.2024
Finnland: „Dieser Prozess sendet ein Signal an alle bekennenden Christen“
Seit fünf Jahren steht der finnische Bischof Juhana Pohjola (52) vor Gericht. Der Grund: Er veröffentlichte eine Broschüre der früheren Innenministerin Päivi Räsänen (64), die die christliche Sexualethik und Schöpfungstheologie erläutert.
Mit ihm sprach IDEA-Redakteur Daniel Scholaster.(IDEA)
IDEA: Was bezweckt die finnische Generalstaatsanwaltschaft mit der Anklage gegen Sie und Frau Räsänen?
Pohjola: Dieser Prozess soll einen Präzedenzfall für das Verhältnis von Antidiskriminierungsgesetzen und der Freiheit, religiöse Überzeugungen zu äußern, schaffen. Zugleich hat er jedoch eine abschreckende Wirkung auf die Gesellschaft und führt dazu, dass sich Christen fürchten, sich zu Themen wie praktizierter Homosexualität und Genderideologie zu äußern.
Geht dieses Kalkül auf?
Momentan ja. Für Christen besteht zunehmend die Gefahr der Selbstzensur. Nicht jeder kann es verkraften, möglicherweise vor Gericht zu erscheinen und in den Medien diffamiert zu werden. Auf der anderen Seite ist aufgrund unseres Prozesses auch das Bewusstsein gewachsen, dass wir zusammenarbeiten müssen, um die Grundfreiheiten unserer Gesellschaft zu schützen.
Wie wird in den finnischen Medien über Sie berichtet?
Wir sind in vielen Medien als Extremisten und Fundamentalisten diffamiert worden, die Homosexuelle als minderwertig ansehen. Wir bedauern dies, denn als lutherische Christen wissen wir, dass auch wir Sünder sind, die des Erlösers und der Vergebung ihrer Sünden bedürfen. Wir lehren nach der Schöpfungsordnung und der klassischen biblischen Sexualethik. Es gibt jedoch einige wenige Journalisten, die zwar unsere Überzeugungen ablehnen, sich aber dafür aussprechen, dass wir sie zum Ausdruck bringen können. Sie warnen davor, die Meinungs- und Religionsfreiheit einzuschränken. Dabei lassen sie sich von einem Zitat leiten, das dem französischen Philosophen Voltaire (1694–1778) zugeschrieben wird: „Ich verachte ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass sie sie äußern können.“
Welche Spuren hat der Prozess bei Ihnen hinterlassen?
Er hat uns eine Menge Energie und Zeit gekostet. Aber wir sind überzeugt, dass es das wert ist, damit niemand anderes das Gleiche erleben muss. Wir sehen den Prozess als einen geistlichen Kampf, den Gott uns auferlegt hat. Dieses Kreuz habe ich bei meiner Bischofsweihe erhalten (Pohjola berührt sein Amtskreuz auf der Brust). Das ist keine Dekoration, sondern erinnert mich daran, dass auch ich für meinen Glauben leiden muss, so wie mein Erlöser für mich gelitten hat. Im christlich geprägten Abendland haben wir uns daran gewöhnt, dass wir keine Konsequenzen zu befürchten haben, wenn wir uns zu unserem Glauben bekennen. Aber das ändert sich jetzt. Wir werden zu einer Minderheit. Ich selbst verstehe die Bedeutung von Toleranz für eine freie Gesellschaft nun besser. In der Vergangenheit hat die Kirche Homosexuelle daran gehindert, sich offen zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen. Das war ein Fehler.
Weshalb haben Sie 2013 die Evangelisch-Lutherische Kirche in Finnland verlassen und die Evangelisch-Lutherische Missionsdiözese in Finnland mitgegründet?
Theologisch konservative Mitglieder der finnischen Kirche bestanden darauf, dass die Heilige Schrift und die Bekenntnisse auch heute noch gelten. In den letzten Jahrzehnten hatte sich die Kirche im Großen und Ganzen jedoch von Überzeugungen abgewandt, die jahrhundertelang als selbstverständlich gegolten hatten. Das begann mit der Untergrabung der Autorität der Bibel, der Einführung der Frauenordination und setzte sich mit kirchlichen Segnungszeremonien für gleichgeschlechtliche Paare fort. Jetzt verteidigen einige Bischöfe sogar die Genderideologie, nach der es mehr als nur zwei Geschlechter gibt. Der Schutz der ungeborenen Kinder hingegen ist den meisten nicht mehr wichtig. Manche Kirchenmitglieder wollten diese Entwicklung nicht akzeptieren. Deshalb sahen wir uns schließlich gezwungen, uns am Glauben der Väter und Mütter zu orientieren, aber außerhalb der etablierten kirchlichen Strukturen.
Wie stark wird Finnland Ihrer Einschätzung nach noch durch die lutherische Kirche geprägt?
Der Einfluss ist in unserer Kultur immer noch zu spüren. Es ist jedoch traurig zu sehen, wie schnell das christliche Erbe in den letzten Jahren geschwunden ist, weil die etablierte Kirche ihr Salz verloren hat. Nur noch ein bis zwei Prozent der Kirchenmitglieder besuchen regelmäßig die Gottesdienste. Wir leben auf einem Missionsfeld.
Liegt das daran, dass sich die Bischöfe von den Lehren des Christentums verabschiedet haben?
Die Kirche hat den destruktiven Entwicklungen des Zeitgeistes sicherlich zu wenig Widerstand entgegengesetzt und sie damit noch gefördert. Andererseits ist Finnland von kulturellen Trends nicht isoliert. Viele andere Länder der westlichen Welt haben sich in den letzten Jahrzehnten in die gleiche Richtung entwickelt.
Im Jahr 2022 wurden Sie zum Vorsitzenden des Internationalen Lutherischen Rates gewählt www.idea.de/artikel/internationaler-lutherischer-rat-wechsel-im-vorsitz, dem konservativen Gegenstück zum Lutherischen Weltbund. Hat Ihr Prozess dabei eine Rolle gespielt?
Das könnte sein, aber ich kann das nicht mit Sicherheit sagen. Da mein Fall internationale Aufmerksamkeit erregt hat, ist es durchaus möglich, dass die Mitglieder des ILC ihre Solidarität mit mir zeigen wollten. Immerhin hatten die Leiter aller Mitgliedskirchen bereits im Juni 2021 einen Brief an die finnische Generalstaatsanwaltschaft und die Vereinten Nationen geschickt, in dem sie mich verteidigten und die Verfolgung von Christen anprangerten, die für die biblische Lehre von Ehe und Familie eintreten.
In den letzten Jahren haben sich mehrere lutherische Kirchen wie die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands dem ILC angeschlossen. Rechnen Sie damit, dass weitere Kirchen folgen werden?
Ja. Wir sehen weltweit in vielen westlichen Ländern, dass sich die Kirchen in einem gefährlichen Ausmaß an ideologische Trends anpassen. Es gibt einen großen Abfall vom christlichen Glauben, der alle Kirchen spaltet. Etwas Ähnliches wie in Finnland geschieht auch in den anglikanischen und protestantischen Kirchen. Aber auch in der römisch-katholischen Kirche sind solche Tendenzen zu erkennen. Viele lutherische Kirchen im Globalen Süden wollen ein festes biblisches und konfessionelles Fundament haben und sind an einem Beitritt zum ILC interessiert. Ich sehe in meinem Land zudem eine wachsende Zahl junger Erwachsener, die ihr Leben als christliche Gemeinschaft leben wollen, die sich auf biblischem Grund um Kanzel und Altar versammelt. Ich bin voller Hoffnung, dass unsere Kirche eine Zukunft hat, auch wenn sie eine kleine Minderheit ist.
Um noch einmal zu Ihrem Prozess zurückzukommen: Mit welchem Urteil rechnen Sie?
Ich rechne damit, dass wir auch vor dem Obersten Gerichtshof freigesprochen werden.
Was werden Sie tun, wenn Sie verlieren sollten?
Dann werden wir vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berufung einlegen. Ich glaube, dass sich die Wahrheit durchsetzen wird. Wir befinden uns in den barmherzigen Händen unseres Herrn.
Vielen Dank für das Gespräch!