23.04.2020

Iran: Im Kampf gegen Corona

u.a. Freilassung von Gefangenen

Die Situation:

Der Iran hat durch die Corona-Pandemie viele Herausforderungen. Die wirtschaftliche Situation ist schlimmer als je zuvor. Die schleppende Reaktion, Mangel an Transparenz und das Fehlen einer Strategie seitens der Regierung, sowie die Sanktionen durch die USA und der Absturz der Ölpreise haben dem iranischen Gesundheitssystem Schaden zugeführt, ebenso der wirtschaftlichen Situation und dem Leben der Menschen. Trotz des Schweizerischen Humanitären Handelsabkommens (SHTA) haben viele Firmen Schwierigkeiten, durch die Banken Zahlungen abzuwickeln und sind nicht bereit, Risiken einzugehen. Obwohl einige internationale humanitäre Organisationen, europäische Länder wie Frankreich und Deutschland und die Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) dem Iran Medikamente, medizinische Ausrüstung und einiges an humanitärer Hilfe geschickt haben, reicht das nicht aus, um die Ausmaße des Desasters in Angriff zu nehmen.

Was geschieht?

Nach offiziellen Statistiken, die vom iranischen Ministerium für Gesundheit und Medizinische Ausbildung (MoHME) vom 15. April herausgegeben wurden,  gibt es 76.389 Corona-Fälle und 4.777 Tote. Einige Beamte und Parlamentarier sind allerdings gegen die täglichen Berichte des Gesundheitsministeriums über Patientenzahlen, da die eigentlichen Zahlen viel höher liegen sollen. Eine neue veröffentlicht wurde, zeigt, dass die tatsächliche Anzahl von Todesopfern doppelt so hoch ist und die Anzahl der Infektionen acht bis zehnmal  höher liegt als die Statistik des MoHME angibt. Nach diesem Bericht beträgt die Zahl der Toten schätzungsweise 8.609 und die Anzahl der Corona-Fälle liegt zwischen 600.000 und 750.000.

Aufgrund dieser Studie wird das Virus 400 Tage andauern und den Höhepunkt im November 2020 erreichen. Eine weitere Studie mit einer anderen Methode, die durch das Institut für Technologie in Massachusetts und das Virginia Tech durchgeführt wurde, vermutet, dass die Zahlen ähnlich sind wie in der MoHME Studie.

„Die Ausbreitung des Corona-Virus in Iran begann in Ghom (der Heimat der islamischen Shia-Theologie) und hat die islamischen Hardliner geschockt.“

Die Situation wird sich vermutlich verschlimmern

Die Tatsache, dass das iranische Gesundheitssystem am Rande des Zusammenbruchs steht und angesichts der Wirtschaftskrise, wird vorausgesagt, dass die Situation sich wesentlich verschlimmert. Patienten mit schon bestehenden Krankheitsbildern haben kaum Zugang zum Gesundheitssystem, was für viele Menschen größeres Leiden und Schmerzen bedeutet. Viele haben ihre Arbeit verloren. Fabriken und Firmen haben geschlossen. Da es kein funktionierendes Wohlfahrtssystem gibt, haben Arme und Gefährdete kaum eine Chance zu Überleben.

Corona-Virus – eine Herausforderung für die islamische Religion im Iran

Die Verbreitung des Corona-Virus im Iran, angefangen in Ghom, der Heimat der islamischen Shia-Theologie, hat die islamischen Hardliner geschockt. Der Oberste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, hat anfangs das Virus politisiert und es als „falsche Krankheit“ und einen „guten Grund für den Feind,  unserer Wahl zu schaden“ bezeichnet. Später, als die Gefahr deutlich wurde, sagte er „natürlich ist diese Kalamität nicht so groß. Es hat schon größere Kalamitäten als diese gegeben, die wir überwunden haben. Mit Gebet und Reinheit des Herzens bin ich sicher, dass wir dieses überwinden werden“.

Obwohl das Virus sich von Ghom aus verbreitete, dem Zentrum der Shia-Theologie, hatten die Regierung und viele islamische Gelehrte Probleme, die Tatsache zu akzeptieren, dass das Virus nicht „vom Feind“ kam. Daher war die erste Reaktion, wie bei Khamenei, die Situation zu politisieren. Einer der Geistlichen, Mohammad Saaidi sagte: „Der Feind will den Islam zerstören und  sich an Ghom rächen“. Aus diesem Grund kämpften viele Geistliche, einschließlich des Obersten Führers, gegen die Schließung  heiliger Stätten wie der Masoumeh Schrein in Ghom und der Imam Reza Schrein in Mashhad. Er weigerte sich auch, Ghom unter Quarantäne zu stellen.

 

Abgesehen von den politischen Herausforderungen standen die Geistlichen auch theologischen Herausforderungen gegenüber. Einige Muslime glauben, dass der Islam den Muslimen, besonders den Gerechten, verheißt, sie zu beschützen, auch vor Viren. Die heiligen Schreine waren das Haus der Heilung und das Haus der Zuflucht. Jetzt sind beide „die Gerechten und die Heiligen Stätten“ unter Attacke. Ghom erlebte den Höhepunkt der Virusinfektionen, die sich von dort aus weiter verbreitete – nicht nur über den Rest des Landes, sondern auch in andere Länder des Nahen Ostens und drüber hinaus. Ihre heiligen Schreine wurden zu unreinen Stätten, die die Menschen nicht mehr betreten durften.

Viele Geistliche fanden es schwer, die Situation zu akzeptieren. Einige islamische Seminaristen gingen zu den Schreinen, leckten daran und filmten sich dabei und sagten: “Diese heilige Stätte hindert das Virus daran, einzudringen“, und „diese Stätten der Heilung schützen uns vor dem Virus“. Einige Geistliche waren besorgt, dass die Menschen ihr Vertrauen in die religiösen Einrichtungen und ihre Führer verlieren. Obwohl die Meinung sich ändert wird das Thema Religion und Corona im Iran weiterhin debattiert.

Freilassung von Gefangenen

Um in den überfüllten Gefängnissen das Virus unter Kontrolle zu halten, hat der Iran vorübergehend 85.000 Gefangene entlassen, deren Gefängnisstrafen unter fünf Jahren liegen. Diejenigen, die freigelassen wurden, mussten Kautionen hinterlegen. Der Betrag entspricht der Höhe ihrer Gefängnisstrafe. Ihre vorübergehende Freilassung wurde bis zum Ende des persischen Kalendermonats (19. April 2020) ausgeweitet. Viele von ihnen kennen das genaue Datum ihrer Rückkehr ins Gefängnis noch nicht. Mindestens acht christliche Konvertiten aus dem Islam waren unter denen, die vorübergehend freigelassen wurden.

Dauerhafte Freilassung christlicher Gefangener

Unter den Christen, die vorübergehend freigelassen wurden, waren mindestens vier Personen, die nicht mehr ins Gefängnis zurückkehren müssen und ihre Kaution zurück erhalten. Weitere vier Personen, die noch nicht benachrichtigt wurden sind Khalil Dehghanpour, Hossein Kadivar, Kamal Naamanian und Mohammed Vafada.

Es befinden sich allerdings mindestens noch zehn Christen im Gefängnis, die trotz wiederholter Aufforderungen nicht freigelassen wurden. Diese sind Yousef Naderkhani, Mohamad Reza (Yohan) Omidi, Zaman (Saheb) Fadaei, Nasser Navard Gol-Tapeh, Mohammad Ali Mossayezbazeh, Abdolreza Haghnejad, Shahrooz Eslamdoust, Babak Hosseinzadeh, Mehdi Khatibi, and Behnam Akhlaghi.

Christen, ebenso wie viele Iraner, machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Viele haben ihre Arbeit verloren und leben in Armut. Trotz dieser Schwierigkeiten berichten iranische Christen, dass sie folgendes tun:

  • Freiwillige mobilisieren, um Lebensmittel, Händedesinfektionsmittel und Masken an Straßenkinder und Wohnungslose verteilen;
  • Eine andere christliche Gruppe berichtet, dass sie alte Menschen und Familien in Not mit Lebensmittelpakten versorgt;
  • Einige kleine Hauskreise berichten, dass jede christliche Familie eine andere Familie, die in Not ist, adoptiert, sich um sie kümmert und mit Lebensmitteln und Medizin versorgt;
  • Eine Frau, die selbst Not leidet, sagte: “Ich habe nicht viel zu geben, aber ich kann beten. Ich verbringen meine Tage meistens im Gebet und damit, andere zu ermutigen und ebenfalls zu beten.“

Um es mit dem persischen Dichter Saadi Shirazi (1213-1291) zu sagen: „Menschen sind wie die Teile eines Körpers, aus derselben Substanz geschaffen. Wenn ein Teil leidet und Schmerzen hat, können die anderen nicht in Frieden leben und schweigen. Wenn das Elend anderer dich gleichgültig lässt und du dir keine Sorge um sie machst, kannst Du nicht ein Mensch genannt werden.“

Quelle: Barnabasfund, bearbeitet und übersetzt von AKREF