08.09.2021

Belarus: Neues Leben Gemeinde Minsk

Neues Leben Gemeinde Minsk – Anklage wegen Freiluftgottesdiensten droht

Der Pastor der Neues Leben Gemeinde, Wjatscheslaw Goncharenko, wurde für den 14. Juli zu einer Besprechung vor den Rat der Republik, das ist das Oberhaus des Parlaments, vorgeladen und dort gewarnt, dass die Fortführung der Gottesdienste unter freiem Himmel auf dem Parkplatz des beschlagnahmten Gemeindehauses zu einer Anklage nach dem Verwaltungsrecht oder Strafrecht führen könnte. Im Falle einer strafrechtlichen Anklage drohen bis zu vier Jahre Haft. Die Gemeinde beabsichtigt, die Gottesdienste trotz der Drohungen, die von den Behörden auch zwei Mal per Brief ausgesprochen wurden, fortzusetzen. „Die Behörden können Anklage nach dem Strafrecht erheben, wie sie uns bei dem Zusammentreffen beim Rat der Republik mitgeteilt haben“, erklärte Pastor Wjatscheslaw Goncharenko gegenüber Forum 18. „Das ist möglich, da sie ja so weit gegangen sind, uns entschädigungslos aus dem Gebäude zu werfen und uns Schulden aufzuerlegen.“

Die Gemeinde hält ihre Gottesdienste seit der Zwangsräumung und Beschlagnahme ihres Gebäudes am 17. Februar 2021 unabhängig von den Witterungsverhältnissen, auch bei Schnee, Regen oder sommerlicher Hitze im Freien ab.

Am 23. Juli folgte ein Brief der Bezirksverwaltung des Minsker Stadtbezirks Moskwa, in dem Pastor Goncharenko mitgeteilt wurde, dass die Gottesdienste seiner Gemeinde illegal seien, da er nie um die Erlaubnis für die Abhaltung von Gottesdiensten unter freiem Himmel angesucht habe. Am 5. August erfolgte eine neuerliche schriftliche Verwarnung durch das Exekutivkomitee der Stadt Minsk, in der erneut auf die Strafandrohung von bis zu vier Jahren Haft für die Abhaltung von bzw. Teilnahme an illegalen Versammlungen hingewiesen wurde. In diesem Schreiben wurde auch behauptet, es seien Beschwerden der Anwohner wegen Lärmbelästigung durch Lautsprecher eingegangen. Pastor Goncharenko erklärte auf die Frage nach Beschwerden gegenüber Forum 18, man hätte nur einmal eine E-Mail wegen der lauten Musik erhalten und die Lautsprecher sofort leiser gestellt. Außerdem beginnen die Gottesdienste aus Rücksicht auf die Bewohner des Bezirks erst zu Mittag und dauern nur eine Stunde. „Wir wissen nicht, ob sich Leute bei den Behörden beschwert haben, aber viele Menschen haben ihre Sympathie bekundet“, fügte Goncharenko hinzu.  

Die Gemeinde wird sich dennoch jeden Sonntag zum Gottesdienst versammeln. „Das ist riskant“, räumte Pastor Goncharenko von Minsk aus gegenüber Forum 18 ein, „doch wir beten weiterhin, da sich alles ändern kann. Das wissen wir aus Erfahrung.“ Die Neues Leben Gemeinde beabsichtigt nicht, auf ihr beschlagnahmtes Gebäude zu verzichten. Pastor Goncharenko erklärte, man würde weiter mit den Behörden verhandeln. Die Konfrontationen der Neues Leben Gemeinde mit den Behörden halten nunmehr bereits seit 15 Jahren an. Im Jahr 2002 erwarb die Gemeinde einen ehemaligen Kuhstall am westlichen Rand von Minsk und baute diesen zu einer modernen, geräumigen Gottesdienststätte um. Die Behörden haben sich beständig geweigert, die Widmung des Gebäudes als Kuhstall zu ändern.

Bei der Besprechung vor dem Rat der Republik wurden auch finanzielle Forderungen seitens des ebenfalls anwesenden Vertreters der Abteilung für Reparaturen von Wohnraum und Versorgungsdienste des Stadtbezirks Moskwa erhoben. Eine Entschädigung für das beschlagnahmte Gebäude wurde mit keinem Wort erwähnt. 

Im Schreiben vom 5. August wurden der Gemeinde zwei alternative Objekte zur Miete für die Gottesdienste angeboten, jeweils Kulturhäuser am anderen Ende der Stadt, weit entfernt vom Wohnsitz der meisten Gemeindemitglieder. Ein Objekt ist zu klein, um alle Gemeindemitglieder unterzubringen, die Miete für das andere ist zu hoch. Da die Gemeinde nur von Spenden lebt, die nicht immer regelmäßig eingehen, ist eine permanente Verpflichtung zum Zahlen von Miete ein Risiko gegenüber der Nutzung des eigenen Gebäudes.

Im Schreiben vom 5. August wurden die finanziellen Forderungen wiederholt. Die Neues Leben Gemeinde soll Grundsteuer für die gesamte Periode, in der sie ihr Gebäude genutzt hat, nachzahlen, und zwar umgerechnet 155.000 Euro. Ansonsten würden ihr die Behörden nicht gestatten, eine neue Gottesdienststätte zu errichten. Nach dem Präsidialdekret über die Steuerbefreiung religiöser Organisationen vom 2. Dezember 2005 ist die Neues Leben Gemeinde von der Zahlung von Grund- und Vermögenssteuer befreit. Diese Steuerbefreiung gilt allerdings nicht für die Abteilung für Reparaturen von Wohnraum und Versorgungsdienste, der die Stadtverwaltung das Grundstück und Gebäude der Gemeinde übereignet hat.

Ähnliche Probleme betreffen auch die in der Roten Kirche im Zentrum von Minsk beheimatete katholische Pfarrgemeinde St. Simon und Helena. Das wegen seiner Ziegelarchitektur im Volksmund so genannte Gebäude ist Eigentum des Exekutivkomitees der Stadt Minsk und wurde nach der Enteignung durch die sowjetischen Behörden nie mehr an die katholische Kirche zurückgegeben. Jetzt fordern die Behörden umgerechnet 118.000 Euro von der Kirche für die durchgeführten Renovierungsarbeiten und Steuern.

 

Verstärkte Kontrolle von Veranstaltungen, Auflösung von Nichtregierungsorganisationen

Aufgrund der Proteste der politischen Opposition hat das Reime auch die Kontrolle über alle Aktivitäten unter Beteiligung einer Vielzahl von Menschen verstärkt. Nach einer Novellierung des Gesetzes über Massenveranstaltungen vom 26. Juni 2021 dürfen Massenveranstaltungen nur noch nach Einholung einer Genehmigung der Ortsbehörden durchgeführt werden, wobei die Behörden berechtigt sind, den Ort der Veranstaltung zu bestimmen und auch die Art der Veranstaltung zu ändern. Liveübertragungen von Veranstaltungen sind verboten.

Im Juli ordnete die Regierung die Auflösung von über 50 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an, denen angebliche Finanzierung aus dem Ausland zur Last gelegt wurde. Eine davon war Veda Vedanta, eine mit der Hare Krishna Gemeinschaft verbundene private Schulungsgesellschaft. Ebenso aufgelöst wurde Human Constanta, ein Menschenrechtszentrum in Minsk. Auch zwei von Protestanten gegründete NGOs sind von der Auflösung betroffen: Das Zentrum für die Unterstützung von Familien und Kindern in Bobruisk, das unter Mitwirkung von Freiwilligen aus verschiedenen christlichen Gemeinschaften in familienrechtlichen Angelegenheiten behilflich war und kinderreiche Familien unterstützte, sowie ACET, eine Organisation für AIDS Aufklärung und Unterstützung von AIDS Patienten und deren Angehörigen, die von Freiwilligen aus mehreren protestantischen Gemeinden unterstützt wurde.

Quelle: Forum 18, Oslo (Bericht vom 3. September 2021)

Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA