25.09.2021

Kasachstan: Zeugen Jehovas verurteilt aufgrund von „Expertenanalyse“

Zwei Ehepaaren, die behaupten, dass sie durch das Lesen von Literatur der Zeugen Jehovas an ihrer psychischen Gesundheit geschädigt wurden, wurde aufgrund einer „Expertenanalyse“ der Literatur der Gemeinschaft im Auftrag des Justizministeriums eine hohe Entschädigung zugesprochen. Laut Gerichtsurteil muss die Gemeinschaft ca. 8 Millionen Tenge an die Kläger bezahlen. Das entspricht mehr als drei durchschnittlichen Jahresgehältern für kasachische Staatsbürger in regulärer Beschäftigung. Die äußerst umfangreiche Analyse wurde in nur acht Tagen erstellt. Bei der Prüfung durch einen Sachverständigen der Verteidigung stellte sich heraus, dass über 60 Prozent des Texts ein Plagiat einer aus Russland stammenden Analyse aus dem Jahr 2008 ist. Diese Teile wurden ohne Quellenangabe übernommen. In der Analyse des kasachischen Justizministeriums heißt es, man hätte in 16 Publikationen der Zeugen Jehovas „versteckte Befehle zur vollständigen Unterordnung unter die Ältesten und Umsetzung all ihrer erforderlichen Empfehlungen und Anordnungen“ gefunden.

Die drei Experten des Justizministeriums behaupteten, die Analyse der Texte hätte einen klar strukturierten Prozess unter Anwendung einer konsequenten Änderung und Kombination verschiedener Methoden der psychologischen und psychotherapeutischen Einflussnahme auf die Anhänger zu Tage gebracht. Unter anderem wird den Autoren der Zeugen Jehovas das Provozieren von kognitiver Dissonanz, der Einsatz von hypnotischer Trance und Informationsüberflutung der Leser zur Last gelegt. Vier der 16 Texte hatten allerdings in der Vergangenheit die verpflichtende staatliche Zensur durch das Komitee für religiöse Angelegenheiten ohne Beanstandung durchlaufen. Die übrigen Texte waren bereits vor Einführung der Zensur religiöser Literatur im Jahr 2011 nach Kasachstan eingeführt wurde.

Missbräuche der Psychiatrie und Vorwürfe der Gesundheitsschädigung gegen dem Regime nicht genehme Religionsgemeinschaften gab es bereits in der Vergangenheit. So wurde bereits im Jahr 2014 der presbyterianische Pastor Kaschkumbayev wegen der angeblichen Schädigung der Gesundheit eines Gemeindemitglieds zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, obwohl die Gläubige aussagte, dass sie nicht geschädigt worden wäre.

Zeugen Jehovas erklärten, dass die bisherigen Gerichtsentscheidungen bisher keine rechtlichen Konsequenzen hatten, sind jedoch besorgt über solche Fälle. „Gerichtsentscheidungen werden in zunehmendem Maß im Sinne einer ständigen Rechtsprechung behandelt,“ erklärten Vertreter der Gemeinschaft von Almaty aus am 23. September gegenüber Forum 18. „Es werden Präzedenzfälle gegen die Religion der Zeugen Jehovas und ihre religiöse Literatur geschaffen.“

Quelle: Forum 18, Oslo (Bericht vom 24. September 2021)

Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA