09.09.2020

Deutschland: „Unermessliches Leid“ erfahren

Bischof Jeremias erinnert an das Schicksal von 250.000 Wolhyniendeutschen

Linstow (idea) – An das Schicksal von 250.000 Wolhyniendeutschen hat der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), Tilman Jeremias (Greifswald), erinnert. Er sprach am 6. September in einem Gottesdienst unter freiem Himmel im Museumsdorf Linstow (bei Rostock). Seit 1993 zeigt das Museum in einer Dauerausstellung die Geschichte und die Lebensweise der Deutschen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in der polnisch-ukrainischen Grenzregion Wolhynien gesiedelt hatten und ab 1939 in das besetzte Polen in den sogenannten „Warthegau“ umgesiedelt worden waren. Nach ihrer Flucht 1945 vor der heranrückenden Roten Armee der Sowjetunion blieben viele von ihnen in Mecklenburg. Rund 70 Familien fanden in Linstow eine neue Heimat.

Trost im christlichen Glauben gefunden

Die Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten habe für die Betroffenen „unermessliches Leid“ mit sich gebracht, sagte Jeremias in seiner Predigt. Innerhalb kürzester Zeit hätten die Menschen auf der Flucht alles zurücklassen müssen, „was ihnen an ihrer Heimat lieb und wert war“. Nach ihrer Ankunft im Westen hätten sie nicht auf Verständnis hoffen dürfen: „Alle waren beschäftigt mit der Not am Ende des Krieges, und kaum jemand hatte ein Herz für die verzweifelte Lage der Vertriebenen.“ Zu DDR-Zeiten seien die Themen Flucht und Vertreibung zudem tabu gewesen. Über den Verlust der Heimat habe man nicht sprechen dürfen. Trost hätten die Wolhyniendeutschen im christlichen Glauben und in ihren lutherischen Traditionen gefunden. Jeremias: „Viele von ihnen berichten, dass es gerade der christliche Glaube war, der sie gestärkt hat auf der Flucht und beim schweren Start in Mecklenburg.“ Die kirchlichen Traditionen, das Lesen der Bibel, das Singen der vertrauten Choräle und das Gebet hätten ihnen neue Kraft gegeben.

Ein weltweit einzigartiges Treffen

Die Flüchtlingspastorin im Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Mecklenburg, Anja Fischer (Schwerin), organisiert seit zwei Jahren die Gottesdienste in Linstow. Dass sie selbst wolhynische Wurzeln hat, erfuhr sie erst nach dem Tod des Großvaters. Nach ihren Worten lebten in Wolhynien „Polen, Ukrainer, Juden, Russen und Deutsche friedlich miteinander bis zu den beiden Kriegen“. Die alten Leute hätten ihr erzählt: „Bei uns war Europa.“ Daran wolle man mit dem Museumsfest anknüpfen: „Hier in Linstow feiern wir jedes Jahr das weltweit einzige Treffen. Zum Museumsfest kommen sogar Menschen aus den USA und Kanada, wohin viele Nachfahren von Wolhyniendeutschen ausgewandert sind.“ Allerdings sei das Fest in diesem Jahr coronabedingt kleiner ausgefallen.