28.05.2007

Türkei: Autopsieberichte der Opfer von Malatya noch nicht veröffentlicht

Zahlen über Messerstiche zweifelhaft

Türkei: Autopsieberichte der Opfer von Malatya noch nicht veröffentlicht

Zahlen über Messerstiche zweifelhaft

(Bonn, bQ - 04.05.2007) Die zuständige Staatsanwaltschaft für die Morde von Malatya hat die
Autopsieberichte der Opfer bislang noch nicht freigegeben. Berichte in der türkischen Presse,
die den Eindruck erweckten, sie hätten die Berichte vorliegen, sind deshalb in den letzten Tagen
immer wieder kritisch hinterfragt worden.
Nach Angaben aus dem unmittelbaren Umfeld von Susanne Geske habe sie den Bericht ihres
Mannes im Beisein ihres Anwalts vor Gericht einsehen dürfen. Sie machte daraufhin gegenüber
Freunden deutlich, dass die sich bislang in den Medien im Umlauf befindlichen Zahlen von 156
Stichwunden in Bezug auf Tilmann Geske definitiv nicht zuträfen, sondern der Bericht von 15
bis 16 Stichen spreche. Dass sie lediglich einen geschönten Bericht zu sehen bekommen habe,
wird bislang ausgeschlossen, vor allem aufgrund eines aktuellen Reports von Ahmet Guvener,
Pastor der protestantischen Gemeinde in Diyarbakir.
Guvener schreibt in einem Brief vom 30. April, dass er, als er Tilmann Geskes Leichnam für die
Beerdigung aus dem Leichenschauhaus abholen wollte, die Gelegenheit gehabt habe, den
Oberkörper des Ermordeten zu sehen. „Ich sah keine Messerstiche. Nur Tilmanns Hals hatte
einen Schnitt von 8-10 Zentimetern“, schreibt er. Berichte, nach denen den Opfern Schnitte an
Nase, Lippen oder Ohren zugefügt worden seien, bezeichnete er als „Gerüchte“, die „nicht die
Wahrheit wiedergeben“. Ein weiterer Gläubiger, Ed Grudier (Adana), habe die Gelegenheit
gehabt, Tilmann Geskes Körper zu sehen. Er wird in dem Brief mit den Worten zitiert, dass er
am Oberkörper drei bis vier Verletzungen durch Messereinwirkung gesehen habe. Als dritter
Zeuge wird Pastor Ihsan Özbek (Ankara) genannt, der die Oberkörper von T. Geske und N.
Aydin habe sehen können, dabei aber auch keine Stichwunden habe feststellen können. Dass
Grudier im Gegensatz zu Guvener und Özbek einige Messerwunden bezeugt, führt Guvener
darauf zurück, dass er möglicherweise sorgfältiger geschaut habe als die beiden anderen. Den
Leichnam von Ugur Yüksel habe niemand der Christen sehen können, da ihn dessen Familie
bereits noch in der Nacht nach dem Tod für die Beerdigung abgeholt habe. Guvener schreibt
aber deutlich, dass er den sich im Umlauf befindlichen detaillierten exzessiven Schilderungen
der Folter von Yüksel keinen Glauben schenken könne, da er seines Erachtens damit unmöglich
noch bis etwa 17:30 Uhr hätte überleben können. Für Guvener ergibt sich folgende
Schlussfolgerung: „Ja, diese Brüder wurden gefoltert, aber nicht in dem beschriebenen
Umfang.“ Dieser Report wird von den leitenden Pastoren Ihsan Özbek und Zekai Tanyar (Izmir)
sowie von Ed Grudier als korrekt und hilfreich bezeichnet, um „unfundierte Übertreibungen“ zu
„korrigieren“.
Die Familie von Necati Aydin hatte nach eigenen Angaben bislang noch keine Möglichkeit, den
entsprechenden Autopsiebericht einzusehen, geht aber davon aus, dass auch hier die bislang
gemeldeten Zahlen der Messerstiche nach unten zu korrigieren seien, da man den Bericht von
Ahmet Guvener als vertrauenswürdig ansehe.
Auch wenn es eine Reihe von sehr spezifischen Details gibt, die die türkischen Medien berichtet
haben, die deren Angaben zufolge aus den Verhören der Täter stammen sollen, bislang nicht
veröffentlicht wurden, aber nach Aussagen damit unmittelbar in Verbindung stehender Personen
korrekt sind, lässt sich die Frage nach der Herkunft der in der Presse als Autopsieberichte
wiedergegebenen Information derzeit nicht klären.
Aufgrund all dieser Daten muss die auch von „Bonner Querschnitte“ „türkischen
Presseberichten zufolge“ gemeldete Zahl von „bis zu 156 Messerstichen“ (BQ 33a) wohl
insgesamt revidiert werden. Dass türkische Zeitungen diese Zahlen tatsächlich so gemeldet
haben, ist unstrittig, dass sie den tatsächlichen Fakten entsprechen, ist mittlerweile ernsthaft zu
bezweifeln. Letzte Sicherheit – sowohl bezüglich der Zahlen als auch bezüglich der Details der
Folterung – können allerdings, wenn überhaupt, nur die noch zu veröffentlichenden
Autopsieberichte geben. Der aufgrund eigener Recherchen in BQ 33a skizzierte Ablauf der
Ereignisse in Malatya hat sich insgesamt aber bestätigt.
Die Korrektur und Zurückweisung „unfundierter Übertreibungen“ durch leitende türkische
Pastoren durch den Bericht von Pastor Guvener bezieht sich nicht zuletzt auf den mittlerweile
auch in deutscher Übersetzung per eMail kursierenden „letter to the Global Church from The
Protestant Church of Smyrna“. Die Herausgeber der „Bonner Querschnitte“ schließen sich
dieser Kritik ausdrücklich an, haben sie doch bereits unmittelbar nach Erhalt dieses Briefes vor
über einer Woche in vielen persönlichen Gesprächen und eMails deren Ablehnung deutlich
gemacht.
Weitere Links: Brief von Pastor Ahmet Guvener in englisch und türkisch

www.bucer.eu/uploads/media/Bericht_Ahmet_Guvener.pdf