28.05.2007

Vietnam: Unfairer Prozess gegen Menschenrechtsanwälte Dai und Nhan vorprogrammiert

Hanoi / Frankfurt am Main/IGFM (7. Mai 2007) – Im Verfahren gegen die bekannten vietnamesischen Rechtsanwälte und Bürgerrechtler Nguyen Van Dai und Le Thi Cong Nhan am 11. März 2007 stellt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) große
Versäumnisse im Verfahren fest. So wurde die Anklageschrift erst neun Tage vor dem geplanten
Gerichtstermin vorgelegt. Die IGFM befürchtet, dass der Prozess unfair verläuft und nicht
internationalen Standards entspricht. Die IGFM ruft Vietnam auf, die Rechte der Angeklagten
zu wahren und die Öffentlichkeit zum Prozess zuzulassen. Ferner appelliert die IGFM in einem
Brief an die deutsche EU-Ratpräsidentschaft, Prozessbeobachter nach Hanoi zu senden.
Die Rechtsanwälte Dai und Nhan wurden der „Propaganda gegen die Sozialistische Republik
Vietnam“ nach Art. 88 des vietnamesischen Strafgesetzbuches (Vietnam-StGB) beschuldigt.
Ihnen droht eine Strafe von drei bis zu zwanzig Jahren Haft. Die Familien der evangelischen
Rechtsanwälte forderten das Volksgericht in Hanoi am 4. Mai auf, den Prozess gegen ihre
Angehörigen um drei Wochen zu verschieben, damit die Verteidigung ausreichend Zeit für die
Vorbereitung hat. Der IGFM liegen eine Kopie der Anklageschrift sowie des Antrags auf
Verschiebung des Prozesses vor.
Rechte der Angeklagten systematisch verletzt
Die Angehörigen der seit dem 6. März inhaftierten Rechtsanwälte beklagen, dass die
Verteidigung erst am 2. Mai die Erlaubnis erhalten hat, rechtlichen Beistand zu leisten. Damit
blieben der Verteidigung nur sieben Arbeitstage für das Studium der Unterlagen sowie für den Besuch ihrer Mandanten. Die Familien der Rechtsanwälte warfen den vietnamesischen
Behörden vor, mehrere Rechte der Inhaftierten absichtlich missachtet zu haben. Nach dem
vietnamesischen Strafgesetz haben Dai und Nhan das Recht auf ein Protokoll über ihre
Verhaftung, auf den Beistand eines Rechtsanwaltes in der Ermittlungsphase, auf den Erhalt des
polizeilichen Ermittlungsergebnisses, auf eine rechtzeitige Mitteilung über die Weitergabe der
Unterlage an andere Behörden und Dritte sowie auf Erhalt der Anklageschrift. Dies sei nicht
geschehen. Insbesondere die Polizei habe durch Hinhaltetaktik versucht, rechtmäßige Antworten
auf die Anträge der Familien zu verhindern. Außerdem habe die Polizei den Antrag der
Verteidigung nicht an das Gericht weitergeleitet, um eine weitere Verzögerung des Verfahrens
zu erzielen, so die IGFM.
Sammlung und Verbreitung reaktionärer Schriften
In der Anklageschrift, die die Verteidigung zum ersten Mal am 2. Mai lesen durfte, wurde den
inhaftierten Rechtsanwälten vorgeworfen, sie hätten „reaktionäre Schriften“ gesammelt und
verbreitet sowie Radiointerviews an ausländische Sender gegeben und
Menschenrechtserziehungskurse betrieben. In zahlreichen Staatszeitungen, die seit zwei
Monaten eine Schmähkampagne gegen die inhaftierten Rechtsanwälte geführt hatten, wurde
auch ihre Menschenrechtsarbeit verurteilt. Sie hätten „die westliche Version der
Menschenrechte“ vertreten und Informationen über Menschenrechtsverletzungen – insbesondere
über die Verfolgung von ethnischen Christen in Nordvietnam – an das Ausland geliefert.
Ausländische Organisationen hätten diese Informationen genutzt, um den Ruf des
vietnamesischen Staates zu schädigen. Die vietnamesische Staatsanwaltschaft in Hanoi stufte
die Aktivitäten der Rechtsanwälte als „gefährlich und systematisch“ ein.
Der IGFM sind die beiden Anwälte aus Hanoi bekannt. Nguyen Van Dai hat viele evangelischen
Christen vor Gericht vertreten, darunter die namhaften Pastoren Nguyen Hong Quang und Than
Van Truong. Le Thi Cong Nhan ist Sprecherin der Progressiven Partei Vietnams, deren Berater
Pfarrer Nguyen Van Ly ist. Der katholische Pfarrer Ly wurde bereits am 30. März zu acht Jahren
Haft und anschließenden fünf Jahren Hausarrest verurteilt.
Die IGFM stellt fest, dass die beiden Rechtsanwälte nur friedlich von ihrem Recht auf
Meinungsfreiheit, das auch in der vietnamesischen Verfassung garantiert ist, Gebrauch gemacht
hatten. Der Prozess gegen Dai und Nhan ist eine grobe Verletzung der Menschenrechte. Nach
ihrer Verhaftung am 6. März wurden die beiden Anwälte aus der Rechtsanwaltkammer
ausgeschlossen. Anschließend erteilte ihnen das Justizamt der Stadt Hanoi ein Berufsverbot.
Weitere Informationen sowie Bilder von Rechtsanwalt Nguyen Van Dai und Rechtsanwältin Le
Thi Cong Nhan finden Sie unter www.menschenrechte.de oder unter presse@igfm.de