18.10.2007

Deutschland: Freikirchen im 19. Jahrhundert zwischen Wertschätzung und Ablehnung

Kassel/Deutschland, 15.10.2007/APD Mit dem Thema "Freikirchen als Aussenseiter. Ihr
Verhältnis zu Staaten und Kirchen im Deutschland des 19. Jahrhunderts" befasste sich der
Verein für Freikirchenforschung (VFF) während seiner Herbsttagung vom 11. bis 13. Oktober
in Niedenstein bei Kassel. Der methodistische Pfarrer im Ruhestand, Dr. Hans Hauzenberger
(Hölstein/Schweiz), beleuchtete dabei die Rolle der Evangelischen Allianz bei der Etablierung
der Freikirchen in Deutschland. Bei ihrer Gründung 1846 in London habe die Allianz
freikirchliche Prinzipien, wie die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Trennung von Kirche
und Staat sowie das Prinzip der Freiwilligkeit, übernommen. Derartige Ideen hätten jedoch im
Deutschland des 19. Jahrhunderts als revolutionär und als Gefahr für die bestehende Ordnung
gegolten, so dass die Evangelische Allianz als eine Angelegenheit der Freikirchen angesehen
worden und damit auf Ablehnung gestossen sei.
Über die Freikirchen aus Sicht des römisch-katholischen Theologen Johann Adam Möhler
(1796-1838) sprach Dr. Tim Lindfeld, Assistent am Johann-Adam-Möhler-Institut Paderborn.
Der Institutsgründer Möhler sei kein Ökumeniker im heutigen Sinne gewesen. Für ihn sei die
Lehre der römisch-katholischen Kirche der Massstab zur Beurteilung von Nichtkatholiken
gewesen. Der Professor in Tübingen und München habe für die von ihm beschriebenen
Wiedertäufer samt Mennoniten, Quäker, Herrnhuter, Methodisten, Swedenborgianer, Sozianer
und Arminianer den damals üblichen Sektenbegriff verwendet. "Dennoch fand er bei ihnen
mehr Übereinstimmung mit der katholischen Lehre als bei den evangelischen Kirchen, so dass
die Sekten für ihn höher zu bewerten waren."
Als die Heilsarmee 1886 in Stuttgart mit ihrer Arbeit begann, habe sie Unterstützung bei den
Methodisten und bei der evangelischen Abstinenzbewegung "Blaues Kreuz" gefunden,
berich t e te Uwe Heimowski , Mi t glied der Heilsarmee und Pastor der
Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Gera. "Abgelehnt wurde sie von Theologen der
evangelischen Kirchen. Auch gab es Übergriffe durch den Strassenpöbel und Einschränkungen
ihrer Arbeit durch die Polizei."
Der Jurist Dr. Harald Mueller (Wunstorf), Leiter des Instituts für Religionsfreiheit an der
adventistischen Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg, erläuterte die rechtliche
Lage der Freikirchen in den deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts. Manche Verfassungen
hätten ihren Bürgern Glaubens- und Gewissensfreiheit zugesichert. Dennoch sei auch in diesen
Ländern zwischen staatlich anerkannten Kirchen und nur geduldeten Religionsgemeinschaften,
die als Vereine unter Polizeirecht standen, unterschieden worden.
Diplom-Theologe Thomas Hahn-Bruckart (Edewecht/Oldenburg) befasste sich mit Friedrich
von Schlümbach (1842-1901), der als Methodist von 1881 bis 1883 aus den USA nach
Deutschland kam, um innerhalb der Landeskirchen mit Genehmigung der zuständigen Pfarrer
Evangelisationen zu halten. Schlümbach gab 1882 den Anstoss zur Gründung des Vereins
Christlicher Junger Männer (CVJM). Obwohl seine Evangelisationen viele Menschen
ansprachen und er nie jemanden von der evangelischen Kirche abwarb, wurde die Kritik an
seiner methodistischen Zugehörigkeit immer grösser. Daher trat Schlümbach aus der
Methodistenkirche aus, schloss sich in den USA der Evangelischen Synode an, um weiterhin
unter den Deutschen evangelischen Glaubens als Evangelist tätig sein zu können.
Stefan Duhr (Berlin) untersuchte im Rahmen seiner Magisterarbeit die freikirchlichen
Bibliotheken der theologischen Seminare der Siebenten-Tags-Adventisten und Baptisten in
Friedensau bei Magdeburg und in Buckow bei Berlin. In Friedensau habe es 1947 einen
Buchbestand von 4.000 Bänden gegeben, der bis 1988 auf 15.000 angewachsen sei. In Buckow
hätten sich 1959 bei Gründung des Seminars lediglich 150 Bücher befunden, die bis 1989 auf
etwa 3.000 Bände hätten aufgestockt werden können. Duhr erläuterte, wie die Bibliotheken sich
neue Bücher auf legale, bedingt legale und illegale Weise beschafften.
Die Haltung von Baptistengemeinden zum NS-Staat stellte Dr. Hans-Joachim Leisten (Berlin)
anhand deren Festschriften dar. Sein Fazit: In den Gemeinden habe grosse Angst geherrscht, so
dass sie sich den damaligen Gegebenheiten angepasst hätten. Günter Balders, Mitglied der
Paul-Gerhard-Gesellschaft, dokumentierte die Wertschätzung der Freikirchen für den
evangelischen Liederdichter Paul Gerhard (1607-1676). In den von ihm untersuchten 43
Liederbüchern von 13 Freikirchen aus den Jahren 1850 bis 1998 seien insgesamt 44
verschiedene Paul-Gerhard-Lieder zu finden.
Die nächste Frühjahrstagung des Vereins für Freikirchenforschung findet vom 6. bis 8. März
2008 zum Thema "Das Erbe weitergeben" an der Theologischen Hochschule der
Siebenten-Tags-Adventisten in Friedensau bei Magdeburg (Deutschland) statt.

Quelle: www.stanet.ch/apd/news/1528.html