04.09.2007

Irak: den Minderheiten im Irak droht die Auslöschung

Kleine religiöse und ethnische Gruppen zwischen islamistischen Extremisten und radikalen Nationalisten<br />Von Gudrun Harrer, Der Standard

Irak: den Minderheiten im Irak droht die Auslöschung

Kleine religiöse und ethnische Gruppen zwischen islamistischen Extremisten und radikalen Nationalisten
Von Gudrun Harrer, Der Standard

Bagdad/Irak, 18.08.2007 (Der Standard) Im Juli waren es die schiitischen Turkmenen von Tuz
Khurmato - 150 Tote -, diesmal traf es die Jesiden in Sinjar. Die irakischen ethnischen und
religiösen Minderheiten sind von der Auslöschung bedroht, zumindest in ihren angestammten Gebieten. Sie werden von islamistischen Extremisten verfolgt und zwischen arabischen und
kurdischen nationalistischen Kräften zerrieben.
Denn der territoriale Gürtel, dessen Zugehörigkeit zum kurdischen oder zum arabischen Irak
noch heuer per Referendum entschieden werden sollte, ist traditionell besonders reich an kleinen
ethnischen und religiösen Gruppen. Sie haben dort, in meist sehr abgeschlossenen
Siedlungsgebieten, Jahrhunderte überlebt. In diesen Gebieten steigen heute die Spannungen und
die Gewalt.
Abgesehen von den Christen der verschiedensten Kirchen (die aber auch in den größeren
Städten im Zentrum und im Süden des Irak leben) sind die religiösen Minderheiten der Jesiden
(siehe Wissen unten) und der Sabäer betroffen (oder Mandäer, wegen der großen Rolle, die
Johannes der Täufer in ihrem Glauben spielt, auch Johanneschristen genannt). Der irakische
"Minderheitenrat" führt Christen, Jesiden und Sabäer als offiziell anerkannte religiöse
Minderheiten an: Die Bahais fehlen, sie sind im Irak ebenso rechtlos wie im Iran.
Der Minderheitenrat macht sich auch nicht mehr die Umstände, die - auch im Koran als
Buchreligion anerkannten - Juden zu erwähnen. Sie waren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die
größte religiöse Minderheit, als mit der Gründung Israels ihre politische Verfolgung einsetzte.
Ein paar hundert Juden haben immerhin noch die Herrschaft Saddam Husseins bis 2003
überstanden, nicht aber die Befreiung durch die Amerikaner. Heute sollen noch 15 (sic!) Juden
im Irak leben.
Als anerkannte ethnische Minderheiten nennt der Minderheitenrat die Faili-Kurden (schiitische
Kurden, denen von Saddam Hussein wegen ihrer Wurzeln in den Zagros-Bergen im Iran die
irakische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde), die Turkmenen, die Assyrer (sprechen aramäisch
und berufen sich auf altassyrische Wurzeln), Shabak (ethnisch und linguistisch den Kurden
verwandt, mit einer eigenen synkretistischen Religion) und Armenier.
Alle Minderheiten haben gemeinsam, dass ihre Zahlen seit 2003 dramatisch geschrumpft sind.
Vertreter der religiösen Minderheiten verübeln vor allem den USA, dass sie die Situation aus
politischen Gründen noch immer beschönigen - hatte man sich doch die Durchsetzung der
"Religionsfreiheit" im Irak als ein Motiv der Invasion auf die Fahnen geheftet. Aus der
Religionsfreiheit wurde höchstens eine staatliche Kultfreiheit, die die Mitglieder von
Minderheiten aber nicht vor der Gewalt von Islamisten - Sunniten und Schiiten gleichermaßen
- schützt.
Die Christen werden dazu von manchen muslimischen Irakern als vom Regime von Saddam
Hussein besonders gehätschelt betrachtet. Tatsächlich stützte sich Saddam gerne auf Gruppen,
von denen er politisch nichts zu befürchten hatte und die ihm, weil schwach, ausgeliefert waren.
Die Instrumentalisierung betraf natürlich auch ethnische Minderheiten, so hatten (sunnitische)
Turkmenen in der irakischen Armee oft recht ansehnliche Karrieren. Sie waren zwar in den
gemischten Gebieten genauso vom Arabisierungsprogramm Saddams betroffen, ihre Rolle als
Gegengewicht zu den Kurden geht aber schon auf die osmanische Zeit zurück, wo sie gezielt am
Eingang zu kurdischen Tälern angesiedelt wurden.
Ähnlich wurden etwa 20.000 Assyrer nach dem Ersten Weltkrieg von den Briten in der Gegend
von Zakho und Dahuk im Nordirak angesiedelt - und von den muslimischen Kurden als fünfte
Kolonne einer fremden Macht empfunden.
Was die Jesiden betrifft, so betonen die Kurden gerne die gemeinsame Ethnizität, was die
Jesiden jedoch manchmal als politische Vereinnahmung empfinden.
Quelle: Der Standard, Wien