05.09.2007

Türkei: Gül will für Religionsfreiheit einstehen

Neuer Türkischer Präsident Gül zeigt sich nach Wahl versöhnlich<br />Von Hidir Goktas und Paul de Bendern

Türkei: Gül will für Religionsfreiheit einstehen

Neuer Türkischer Präsident Gül zeigt sich nach Wahl versöhnlich
Von Hidir Goktas und Paul de Bendern

 

Ankara/Türkei, 28.08.2007 (Reuters) - Ungeachtet scharfer Kritik des Militärs ist der frühere
Islamist Abdullah Gül zum neuen Präsidenten der Türkei gewählt worden.
Der bisherige Außenminister des EU-Aspiranten setzte sich am Dienstag im Parlament in
Ankara im dritten Wahlgang, in dem die absolute Mehrheit ausreichte, gegen zwei Mitbewerber
durch. Gül wiederholte nach seiner Vereidigung, er wolle Präsident aller Türken werden und werde die säkularen Grundsätze der Republik achten, zu denen auch die Religionsfreiheit
gehöre. Die weltlichen Eliten des Landes hegen tiefes Misstrauen gegen ihn.
Die Europäische Union begrüßte die Wahl Güls, der als Architekt des angestrebten türkischen
EU-Beitritts gilt. Durch die Wahl erhielten die Beitrittsbemühungen einen neuen Schub, erklärte
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso in Brüssel. Skeptischer in dieser Frage zeigte
sich Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering. Entscheidend sei, dass sich die Türkei nicht nur
zu europäischen Werten bekenne, sondern sie auch verwirkliche, sagte der CDU-Politiker.
Als elfter Präsident wurde Gül Nachfolger von Ahmet Necdet Sezer. Ministerpräsident Tayyip
Erdogan kündigte unmittelbar nach der Wahl an, dem neuen Präsidenten am Mittwoch seine
Kabinettsliste vorzulegen. Vorgänger Sezer hatte die Bestätigung der Regierungsmannschaft
verweigert.
Noch am Montag warnte Armeechef General Yasar Büyükanit vor einer Aushöhlung der
Trennung von Staat und Religion. Beobachter sahen darin eine Drohung, dass die Armee, die
sich als Hüterin des weltlichen Erbes von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk versteht, einer
schleichenden Islamisierung des Landes nicht tatenlos zusehen wird. Gül, der im neuen Amt
auch Oberkommandierender der Streitkräfte des Nato-Landes ist, hat wiederholt versichert, die
verfassungsmäßige Trennung von Staat und Religion einhalten zu wollen. Der neue Präsident
ist auch deshalb umstritten, weil seine Frau das in öffentlichen Gebäuden verpönte Kopftuch
trägt.
Güls erster Anlauf aufs Präsidentenamt war im Frühjahr am Wahlboykott der oppositionellen
Sozialdemokraten und einem Urteil des Verfassungsgerichts gescheitert. Die Folge waren eine
Staatskrise und vorgezogene Wahlen, aus denen die seit 2002 regierende AKP gestärkt
hervorging. Unter der Regierung von Ministerpräsident Erdogan hat die Türkei einen bislang
ungekannten wirtschaftlichen Aufschwung genommen und sich durch Reformen auf den
EU-Beitritt vorbereitet.
Präsident Gül dürfte Konfrontation mit Eliten vermeiden
Der promovierte Volkswirt Gül, der fließend englisch spricht, gilt innenpolitisch als Reformer.
Er ist ein enger Vertrauter Erdogans, der wie Gül früher Islamist war.
Viele Beobachter gehen davon aus, dass Gül eine Konfrontation mit dem Militär vermeiden
wird. "Von einem Präsidenten Gül sind keine radikalen Schritte zu erwarten. Seine Gegner, die
solche Entscheidungen befürchten, wird er überraschen und seine Anhänger, die auf radikale
Schritte hoffen, wird er enttäuschen", sagte der Politikexperte Cengiz Candar voraus. Die
türkischen Finanzmärkte hatten nach der Warnung der Armee nervös reagiert, sie litten aber
auch unter den schwächeren Weltmärkten.
Der türkische Präsident hat überwiegend repräsentative Aufgaben. Er kann mit seinem Veto
aber Gesetze und die Ernennung von Beamten blockieren. Außerdem beruft er Richter in ihre
Ämter.
Quelle: Nachrichtenagentur REUTERS