07.02.2008
Türkei: Deutscher Pastor trotzt der Gefahr in der Türkei
Thema Christenverfolgung: Das Leben unter dem Halbmond kann für Christen gefährlich sein. Einige Türken sehen Christen als Spione, die die Türkei zerstören wollen. Steine und Molotowcocktails fliegen gegen die Gotteshäuser.<br />Von unserer Korrespondentin<br />Susanne Güsten
Türkei: Deutscher Pastor trotzt der Gefahr in der Türkei
Thema Christenverfolgung: Das Leben unter dem Halbmond kann für Christen gefährlich sein. Einige Türken sehen Christen als Spione, die die Türkei zerstören wollen. Steine und Molotowcocktails fliegen gegen die Gotteshäuser.
Von unserer Korrespondentin
Susanne Güsten
Schwäbische Zeitung, 14.1.2008/ IZMIT - Am heutigen Montag wird der Prozess gegen die
mutmaßlichen Mörder dreier Christen im osttürkischen Malatya fortgesetzt. Das Leben für
Christen in der Türkei ist nach wie vor gefährlich. Wolfgang Häde, Pastor in Izmit, wird auf
Schritt und Tritt von einem Leibwächter begleitet.
Zum Mittagessen gehen der Pastor von Izmit und sein Leibwächter gerne in eine Garküche an
der Hauptstraße. Über Fleischbällchen und Gemüse spricht Pastor Wolfgang Häde ein kurzes
Gebet, mit Rücksicht auf seinen Tischgenossen auf Türkisch. Seit neun Monaten leben der
Protestant und der Polizist so zusammen – seit im vergangenen April in Malatya drei
protestantische Christen ermordet wurden und Wolfgang Häde der nächste sein sollte. Der
deutsche Missionar wird bei seiner Arbeit seither vom türkischen Staat geschützt.
Der Rückweg zur Kirche führt den deutschen Pastor und seinen türkischen Hirten nach dem
Essen durch die engen Gassen des Cukurbag-Stadtviertels. Aus einem Friseurladen tritt der
Barbier heraus, um die beiden Männer – den 49-jährigen Pastor und den Personenschützer in
den Mittvierzigern – mit Handschlag zu begrüßen. „Der hat bei Wolfgang jetzt einen zweiten
Kunden dazu“, scherzt der Leibwächter, der Mehmet heißen soll.
Mitglieder bleiben fern
Nicht alle Nachbarn sehen den protestantischen Pastor und seine Kirche so gelassen:
Maschendraht vor den Fenstern des Gemeindehauses soll das Gebäude vor Steinen und
Molotowcocktails schützen. „Izmit Protestan Kilise“ – Protestantische Kirche Izmit – steht in
stolzen Lettern über dem Eingang des kleinen Gemeindehauses. Die Kirche, die einzige in der
200 000 Einwohner starken Industriestadt am Marmarameer, will für sich und ihre Botschaft
werben und zum Eintreten einladen. Gleich neben dem Schriftzug ist seit den Morden von
Malatya aber auch eine Sicherheitskamera angebracht.
Hädes ohnehin winzige Gemeinde ist seit dem Massaker von Malatya noch weiter geschrumpft.
Von den 20 bis 30 Gemeindemitgliedern sind viele weggeblieben. Ob sie sich mehr vor
ultranationalistischen Mörderbanden fürchten, vor den Nachbarn oder vor dem Staat ist schwer
zu sagen: Vom Zerfall des Osmanischen Reiches ist weiten Teilen der türkischen Gesellschaft
bis heute die Wahnvorstellung geblieben, dass es sich bei den Christen im Land um Spione des
feindlichen Auslands handele, die die Türkei zerstören wollten. Den schwersten Stand haben die
Protestanten, weil sie in der Regel vom Islam übergetreten sind. „Der Abfall vom Islam wird
hierzulande noch immer als Schande, als Verrat am eigenen Land empfunden“, sagt Häde.
Trotzdem gibt es die kleine Gemeinde in Izmit schon fast zehn Jahre. Ihre Kosten deckt sie aus
Kollekten, den Lebensunterhalt des Pastors und seiner Familie finanziert Hädes hessische
Heimatkirchengemeinde. Der spanische Pastor, der die Kirche in Izmit als Ablegerin seiner
evangelischen Gemeinde in Istanbul gegründet hatte, war es, der Wolfgang Häde vor sechs
Jahren den Weg wies. Damals war Häde auf der Suche. „Gott, gib mir eine Lebensaufgabe“,
betete er jahrelang. Zurück im Gemeindehaus, schaltet Wolfgang Häde den Bildschirm ein, der
die Aufnahmen der Sicherheitskamera draußen zeigt. Mehmet wacht im Foyer. Oft kommt
Hädes Ehefrau Janet im Gemeindehaus vorbei. Janet Häde ist eine tief gläubige Christin. Den
Glauben braucht sie in diesen Tagen: Ihre Schwester Semse Aydin ist die Witwe von Necati
Aydin, dem protestantischen Pastor von Malatya, der im Frühjahr ermordet wurde. Auf dem
Bildschirm vor Häde geraten Schatten plötzlich in Bewegung – ein Besucher, der fortgeschickt
wird. Brandanschläge, Drohbriefe und Psycho-Terror sind auch dieser Gemeinde nicht fremd;
mindestens ein halbes Dutzend solcher Angriffe auf die Kirche hat es allein in den vergangenen
drei Jahren gegeben.
Nichts von alledem hatte die Christen auf das Grauen von Malatya vorbereiten können. Beim
Bibelgesprächskreis zogen fünf Männer plötzlich ihre Messer und metzelten die anwesenden
Christen hin. Stundenlang dauerte das Martyrium von Hädes Schwager Necati Aydin, dem
türkischen Christen Ugur Yüksel und dem deutschen Gemeindemitglied Tilman Geske, bis die
Mörder ihnen die Kehlen durchschnitten. Auch Häde stand auf der Todesliste. „Pastor
Wolfgang in Izmit“, so sagten die Täter von Malatya im Polizeiverhör aus, wäre das nächste
Opfer gewesen.
Die Angst bleibt Warum die Täter ausgerechnet ihn für den obersten Missionar im Land hielten,
versteht Wolfgang Häde bis heute nicht. Schließlich sind in der Türkei mehrere Hundert
evangelistische Christen aus aller Welt im Einsatz, die meisten kommen aus Amerika und
Südkorea. Manche haben größere Gemeinden als Wolfgang Häde, aber Erfolg haben sie in der
Türkei alle nicht: Bei einer Bevölkerung von 70 Millionen Menschen gibt es rund 2500
türkische Protestanten.
Trotzdem beschwören Nationalisten bis hinauf ins Parlament die Gefahr für die Nation, die von
den Missionaren ausgehe. Die Behörden prüfen bei Arbeitsgenehmigungen für Ausländer
routinemäßig, ob es sich bei den Antragstellern um „Missionare, Spione oder Prostituierte“
handele. Auf der Straße wird von aufgewiegelten Jugendlichen entsprechend gehandelt: So
meinte der 16-Jährige, der vergangenes Jahr in Trabzon den katholischen Priester Andrea
Santoro ermordete, einen Missionar vor sich zu haben. In Izmit verhaftete die Polizei im
vergangenen Sommer eine Bande, die ein Attentat auf Häde vorbereitet haben soll.
Auf Schritt und Tritt wird der Pastor Häde von dem Personenschützer begleitet. Die Angst kann
aber auch der nicht völlig vertreiben, räumt Häde ein: „Ich bin nicht besonders heldenhaft und
habe manchmal auch Angst.“ Izmit zu verlassen, kommt für ihn trotzdem nicht in Frage: Wenn
er türkische Gemeindemitglieder ermutige, zu Jesus Christus zu stehen, „dann kann ich als
Pastor nicht einfach abhauen“.