15.01.2008
Leitartikel: Gefährliche Mission
von Till-R. Stoldt
14. Januar 2008, 04:00 Uhr Welt-Online - Muslime, die zum Christentum übergetreten sind,
leben hierzulande gefährlich - vor allem, wenn sie unter ihren ehemaligen Glaubensbrüdern für
ihre neue Religion werben
Als habe er dem Leibhaftigen ins Auge geschaut, verfärbt sich das Gesicht des älteren Herrn mit
dem grauen Bart und dem weißen Käppi dunkelrot. Mit bebender Stimme faucht er auf
Türkisch: "Was fällt dir ein? Du sagst mir, einem Muslim, ich solle Christ werden?" "Genau",
erwidert der angesprochene Esat Avcioglu, seines Zeichens Pastor einer türkischen
Christengemeinde. Dann setzt er nach: "Sie haben die freie Wahl! Lesen Sie das Traktat, dann
können Sie überlegen, ob Sie Christ werden wollen." Gleichzeitig hält er dem Muslim ein
Heftchen vor die Brust (Titel: "Wie komme ich in den Himmel?").
"Freie Wahl?", raunzt der Muslim ungläubig. Doch dann stutzt er, schnappt sich das Heftchen,
verschwindet - und hat Bekanntschaft mit einem unbequemen Grundrecht gemacht: mit
Religionsfreiheit, die das Recht auf Mission und Glaubensabfall einschließt.
Über Muslimmission, wie die türkisch-evangelikale Gemeinde Pfarrer Avcioglus aus Köln sie
betreibt, wird derzeit heftig gerungen: Eine Position lautet, Kirche müsse hiesigen Muslimen
das Evangelium bringen und selbstbewusst die geltende Religionsfreiheit nutzen. Dies
verkünden Teile der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) um den Ratsvorsitzenden
Wolfgang Huber und der Evangelikalen-Dachverband Evangelische Allianz in Deutschland
(EAD). Ein anderer Teil der EKD spricht sich gegen Missionsarbeit aus. So verfassten zahlreiche
Theologen kürzlich einen offenen Brief, in dem sie vor Muslimmission warnten, weil sie dem
Religionsfrieden schade. Sogleich attestierten auch islamische Verbände, Mission schüre
Konflikte.
Und es stimmt ja: Religionsfreiheit ist konfliktträchtig. Nur sind die Opfer dieser Konflikte
zunächst einmal nicht die Muslime. Kaum jemand veranschaulicht dies besser als die bis zu
6000 türkischen oder arabischen Evangelikalen in Deutschland, die meist erst hier vom Islam
zum Christentum übertraten und nun Muslime zu bekehren versuchen.
Wenn zum Beispiel die Gemeindeglieder Pfarrer Avcioglus in die Kölner Zuwandererviertel
ziehen, in Chorweiler Büchertische aufstellen und mit Gitarren musizieren oder in Nippes
Passanten ansprechen, dann werden sie oft als Volksverräter, Höllenpack und Gotteslästerer
beschimpft oder hören gar Morddrohungen.
Welche Opfer sie erbringen müssen, weil sie ein Grundrecht in Anspruch nehmen, zeigen vor
allem aber die Lebensgeschichten konvertierter Ex-Muslime, von denen die Marburger
Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann einige gesammelt hat: Mal wurden die
Neu-Christen von ihren Familien verstoßen, gejagt oder verprügelt, mal fast totgeschlagen oder
angezündet.
Auch in der Kölner Gemeinde kursieren Geschichten von niedergestochenen oder
verstümmelten Konvertiten. Aber das sind Ausnahmen. Häufiger sind weniger blutige und
dennoch brutale Schicksale. Da ist etwa die 60-jährige Sacide, eine kleinwüchsige Dame mit
leicht verklärtem Lächeln. Einige Zeit nach ihrem Übertritt zum Christentum verstarb ihre
Mutter. Als sie zum Begräbnis in die türkische Heimat reiste, ließen Schwester und Schwager
sie nicht mehr an die Leiche der Mutter herantreten. Als Abtrünnige sei Sacide unrein, sie
beschmutze das Begräbnis. "Ich habe meiner Schwester trotzdem vergeben", sagt Sacide. Das
habe Gott von ihr verlangt.
Oder die Geschichte von Mehmet, ebenfalls ein Kölner Gemeindeglied (mit diesem verklärten
Lächeln). Gemeinsam mit seinen Eltern konvertierte er zum Glauben an Christus. Nachdem die
Familie dies bekannt gemacht hatte, bekam sie Besuch von Mehmets Neffen. Kaum war der
Neffe in der Wohnung, prügelte er auf Mehmets alten Vater ein - weil der die "Familienehre
verraten" habe.
Als der muskulöse Mehmet dazwischensprang, sagte der geprügelte Vater nur: "Lass ihn,
Mehmet! Wäre ich noch Muslim, hätte ich vielleicht auch so gehandelt." So viel Güte erweichte
sogar das Herz des zornigen Neffen.
In dieser Opferbereitschaft liegt womöglich ein Schlüssel zum - wenngleich bescheidenen -
Erfolg der winzigen Minderheit. Immerhin wuchs die Kölner Gemeinde binnen 15 Jahren von
drei auf 40 Familien an. Und auch andere türkisch-christliche Gemeinden berichten von Zulauf.
Was nach Erfolgsgeschichte klingt, ließe sich allerdings auch ganz anders erzählen: als
Zerstörungswerk. So jedenfalls wird das selbstbewusste Auftreten türkischer Christen im
muslimischen Milieu oft erlebt. Schließlich brechen die missionarischen Neu-Christen in eine
meist homogene Lebenswelt ein, in der Familie, Volk und Tradition noch als rein muslimisch
wahrgenommen werden. Wer in diese vom Pluralismus kaum berührte Welt mit einem fremden
Glauben eindringe, zerstört laut dem Kulturanthropologen Werner Schiffauer in den Augen
vieler Muslime eine stabile Ordnung, aus der sie Geborgenheit und Glaubenskraft schöpfen.
Zudem ist den zugewanderten Muslimen auch aus ihren Herkunftsländern eine
Gleichberechtigung nicht muslimischer Glaubensgemeinschaften unbekannt. Und von Ägypten
bis in die Türkei werden christliche Missionare und Konvertiten noch heute öffentlich als
Ruhestörer und Anarchisten bezeichnet.
Deshalb wohl bekämpfen manche Muslime hierzulande die Religionsfreiheit so ungeniert: weil
sie sich als Verteidiger einer heilen Welt verstehen. Wenn man so will: weil sie sich im
konservativen Abwehrkampf gegen die zerstörerisch-pluralistische Moderne sehen.
In dieser Auseinandersetzung sehen viele in den türkischen Christen Streiter für das westliche
Freiheitsverständnis. Denn sie fordern unter muslimischen Angehörigen und Bekannten Respekt
für das Recht auf religiöse Entscheidungsfreiheit ein, sie verkünden, wenngleich als Nebeneffekt
ihres Bekehrungseifers, das westliche Ideal des mündigen Einzelnen, der aufgrund freien
Entschlusses seinen Lebensweg wählt.
Was schon beim Gottesdienst der Kölner Gemeinde ins Auge springt, wo Männer und Frauen
bunt gemischt sitzen und mit gen Himmel gestreckten Händen Lobpreislieder singen. Kaum ist
der Gesang - der an orientalische Liebeslieder erinnert - verklungen, beginnt geradezu eine
Siegesfeier religiöser Selbstbestimmung:
Zwei junge, frisch bekehrte Ex-Muslime mit Kevin-Kuranyi-Bärtchen treten ans Pult und
erzählen, welche Argumente für Christus oder Mohammed sie monatelang abwogen, bevor sie
sich aus freien Stücken für das Christentum entschieden (zum Beispiel: "Erst die Feindesliebe
Jesu brachte mir Frieden mit den Kollegen", oder: "Der Geist Jesu lebt in den
Menschenrechten").
Beide berichten auch, wie sie sich dem Druck ihrer Familien widersetzten, der von angedrohtem
Kontaktabbruch und in Aussicht gestellter Enterbung bis zum Vorwurf reichte, sie verrieten
Ehre, Ahnen und Heimat. Doch inzwischen haben zumindest die Eltern dieser beiden jungen
Männer akzeptiert, dass ihre Kinder selbst entscheiden, welchen Glaubensweg sie einschlagen.
Seitdem wehe in seiner Familie ein neuer Wind, erzählt einer der Konvertiten: "Harmonisch ist
es nicht immer, aber dafür darf ich glauben, was ich will."
Das klingt nach Freiheit.
www.welt.de/welt_print/article1550271/Gefaehrliche_Mission.htmlsiehe Kommemtar/Zusammenfassung unten