03.01.2011
Weißrussland: Hoffnung auf Religionsfreiheit
Bericht der Kommission für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz - WEA-RLC vom 3. Januar 2011
Weißrussland: Hoffnung auf Religionsfreiheit
Bericht der Kommission für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz - WEA-RLC vom 3. Januar 2011
Die ehemalige Sowjetrepublik Belarus (Weißrussland) ist einer der Staaten, in denen die Religionsfreiheit und andere Grundfreiheiten am stärksten verletzt werden. Der starke Mann des Landes, Alexander Lukaschenko, hält sich seit 1994 durch praktische Ausschaltung der Opposition und Wahlschwindel im Amt. Im letzten Monat (Dezember 2010) sicherte er sich durch angeblich manipulierte Wahlen eine vierte Amtsperiode und die nächste Wahl ist erst in fünf Jahren. Gibt es also Hoffnung auf Veränderungen?
Nach dem harten Vorgehen des autoritären Regimes gegen Personen, die gegen die manipulierte Präsidentenwahl protestierten, haben viele die Hoffnung verloren. Am 19. Dezember protestierten tausende Menschen auf den Straßen der Hauptstadt Minsk gegen die Wahlen, nachdem Lukaschenko zum überlegenen Sieger erklärt worden war. Viele von ihnen wurden verhaftet und geschlagen, darunter auch junge Frauen und die meisten der neun Oppositionskandidaten.
Die darauf folgende strenge Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft hatte wenig Auswirkung auf den Präsidenten. Am Tag danach, ließ er das 2003 eröffnete Minsker Büro der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schließen, da die OSZE-Wahlbeobachter über Mängel bei der Wahl berichtet hatte.
Danach sandte er eine Wohlfühl Weihnachtsbotschaft an die mehrheitlich christliche Bevölkerung. „Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zum Weihnachtsfest. Für alle Christen ist Weihnachten eine Quelle des Glaubens, der Reinheit und Aufrichtigkeit. Es lehrt uns Erbarmen und Menschlichkeit und hilft uns daher, besser, humaner und ehrlicher zu werden ... In diesen Tagen verstehen wir sehr genau, dass der Friede in unserem Land von uns abhängig ist. Nur gemeinsam, durch gemeinsame Anstrengungen können wir den Frieden in unserer gemeinsamen weißrussischen Heimat erhalten und diese bereichern und verschönern“, lautete die schriftliche Botschaft.
Lukaschenko bezeichnet sich selbst als „orthodoxen Atheisten“. Doch die Mehrheit der 10 Millionen Weißrussen sind keine Atheisten. Etwa 60 % der Bevölkerung bezeichnen sich laut Daten des Bevollmächtigten Vertreters für Religiöse und die Nationalitäten betreffende Angelegenheiten als religiös. Etwa 82 % sind Mitglieder der dem Moskauer Patriarchat unterstehenden orthodoxen Kirche Weißrusslands, die - wenn auch nur auf dem Papier - einen Sonderstatus bei der Regierung genießt. Etwa 12 % sind Katholiken, 4 % Muslime, Anhänger der Hare Krischna Bewegung und Baha’i. Protestantische Gruppen machen gerade zwei Prozent der Bevölkerung aus.
Die Religionsgemeinschaften unterliegen einer strengen Reglementierung durch die Regierung Lukaschenko. Die Verfassung garantiert allen Religionsgemeinschaften Gleichheit vor dem Gesetz und Freiheit, sieht aber auch staatliche Regelungen im Zusammenhang mit „ihrem Einfluss auf die Bildung geistiger, kultureller und staatlicher Traditionen des weißrussischen Volkes“ vor.
Nach dem Religionsgesetz von 2002 werden traditionelle Glaubensgemeinschaften anerkannt, insbesondere die orthodoxe, katholische und lutherische Kirche, sowie der Islam und das Judentum. Ausgeschlossen von dieser Anerkennung bleiben neuere Gruppierungen sowie auch einige Konfessionen, die bereits seit dem 17. Jahrhundert im Lande bestehen, wie die priesterlosen Altgläubigen und die evangelische Kirche helvetischen Bekenntnisses (Kalvinisten).
Das Gesetz von 2002 sieht eine strenge Regierungskontrolle über das Wirken der Kirchen und sonstigen religiösen Institutionen vor. Die Registrierung aller Gruppen ist verpflichtend. Die dabei einzuhaltenden Formalitäten sind so kompliziert, dass die Regierung beliebigen oder allen Gruppen die Registrierung aus „technischen“ Gründen verweigern kann. Nicht registrierte Gruppen dürfen sich nicht betätigen. Jede Betätigung durch eine nicht registrierte Gruppe zieht eine hohe Geldstrafe und/oder eine dreijährige Gefängnisstrafe nach sich. Die Religionsgemeinschaften dürfen nur in den Gebieten wirken, in denen sie registriert sind. Darüber hinaus bedarf der Import und die Verbreitung von Literatur durch Religionsgemeinschaften der vorherigen Zustimmung der Regierung.
Die Ideologie des Regimes ist ein postsowjetischer linker Konservativismus und man kümmert sich daher nur wenig um Demokratie, Religionsfreiheit oder sonstige bürgerliche Rechte. Doch die Wurzel der Repression ist augenscheinlich vor allem die persönliche Machtgier Lukaschenkos.
Lukaschenko wurde nach dem Beginn einer Welle der Revolution im Osten zunehmend autokratischer. Im Jahr 2000 musste der diktatorische Präsident Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, nach landesweiten Demonstrationen gegen die umstrittenen Wahlen zurücktreten. Die „Rosenrevolution“ in Georgien - geprägt von massiven Protesten gegen Wahlschwindel - erzwang 2003 den Rücktritt von Präsident Eduard Schewardnadse. Ein Jahr darauf führte die „Orange Revolution“ in der Ukraine - unter anderem auch im Zusammenhang mit Protesten gegen die Präsidentenwahl - zum Sturz der Regierung. 2005 kam es im Zuge der „Tulpenrevolution“ in Kirgistan nach den Parlamentswahlen ebenfalls zu einem Machtwechsel.
Um allen derartigen Versuchen durch progressive Bevölkerungsschichten und die Opposition in Belarus zuvorzukommen, verschärfte Lukaschenko die Kontrolle über die Wirtschaftsaktivitäten, das Parlament, die Gerichte und Medien noch mehr und begann mit der Ausschaltung der Zivilgesellschaft. Im Laufe der Jahre ist es dem Regime Lukaschenko gelungen, seine soziale, kulturelle und politische Kontrolle über das Land zu konsolidieren.
Die Regierung von Belarus ist Eigentümerin von etwa 80 % der Industrie und der wichtigste Arbeitgeber des Landes. Und die Regierung beschäftigt die Arbeitnehmer aufgrund von Kurzzeitverträgen, um in der Lage zu sein, jede Art von mangelnder Loyalität durch Nichtverlängerung der Arbeitsverträge zu bestrafen.
Lukaschenkos Problem mit der Religion ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Religion hat das Potenzial, Menschen zu mobilisieren, sich für eine gerechte Sache einzusetzen, insbesondere in einem Land, in dem die Rechte von Religionsgemeinschaften eingeschränkt werden. Und einige Kirchen bzw. christliche Gemeinden streben offen nach Veränderungen. Die Neues Leben Gemeinde hat z.B. 2006 einen Hungerstreik organisiert und um Beteiligung anderer Gemeinden geworben, um eine Abänderung des Religionsgesetzes von 2002 zu erwirken, auch wenn es der Bewegung nicht gelungen ist, die Rücknahme der restriktiven Bestimmungen des Gesetzes herbeizuführen. Überdies ist bekannt, dass zahlreiche Führungspersönlichkeiten der Opposition bekennende Christen sind.
Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten haben sich bemüht, Reformen in Belarus zu unterstützen, jedoch mit wenig Erfolg. Lukaschenko hat diplomatisches Geschick bewiesen, indem er sich die strategische Lage von Belarus zwischen Russland und Europa zu Nutze machte.
Mit der Zusage der Integration mit Russland hat Lukaschenko Moskau für seine Interessen benutzt, das Belarus mit hoch subventioniertem Erdöl beliefert und dem Land dadurch zum Überleben und sogar zu einem gewissen Wohlstand verhilft. Während sich Russland dessen bewusst ist, dass Lukaschenko nur wenig für die Vereinigung der beiden Staaten getan hat und die bilateralen Beziehungen zeitweiligen Schwankungen unterworfen sind, möchte Moskau Belarus nicht ganz an die EU verlieren.
Anfänglich versuchte die EU, Druck auszuüben, um Veränderungen in Belarus herbeizuführen. So wurde z.B. ein Einreiseverbot für den Präsidenten und hohe Regierungsvertreter verhängt. Doch durch die Isolierung von Belarus wurde wenig erreicht. 2008 hob die EU das Einreiseverbot auf und versprach Hilfe, in der Hoffnung, dadurch zu erreichen, was mit Druck nicht erreicht werden konnte. Doch auch das führte nicht zum Ziel. Zum Teil kam der Umschwung in der Politik der EU als Reaktion auf die Folgen des Krieges zwischen Russland und Georgien zustande - man erwartete, dass Russland Belarus Anreize bieten würde, um sich seine Unterstützung zu sichern.
Eine Diplomatie des Zwanges gegenüber Belarus ist kaum zweckmäßig, da das Land wenig Verbindungen zu europäischen Institutionen hat. Belarus ist Mitglied der von Russland dominierten Gemeinschaft unabhängiger Staaten. Überdies scheint Lukaschenko sowohl eine EU Mitgliedschaft als auch eine wesentliche Integration mit Russland vermeiden zu wollen.
Da sich die russische Regierung dessen bewusst ist, dass eine echte Vereinigung zwischen Russland und Belarus nicht in Sicht ist, könnte es sein, dass man nicht mehr sehr lange bereit ist, hoch subventioniertes Erdöl zu liefern und dadurch das Regime in Belarus in Schwierigkeiten bringt, da die Menschen sich an einen relativ hohen Lebensstandard gewöhnt haben. Dadurch könnte Lukaschenko gezwungen sein, die Wirtschaft zu liberalisieren und damit den Weg für politische Veränderungen zu ebnen. Außer Belarus entscheidet sich für die Alternative, um Investitionen aus Venezuela, China und dem Iran zu werben.
Trotz aller Schwierigkeiten ist eine Veränderung in Belarus nicht ausgeschlossen.
Als Alternative oder Ergänzung zur bisherigen „Zuckerbrot und Peitsche“ Strategie könnte die EU versuchen, eine engere Verbindung mit der weißrussischen Gesellschaft im allgemeinen und insbesondere mit den Akteuren der Zivilgesellschaft herzustellen. Es gibt in Belarus zahlreiche NGOs, die sich zwar nicht offen an politischen Aktivitäten beteiligen, doch wenn man sie stärkt und unterstützt, werden sie in der Lage sein, auf dem Weg zu Veränderungen voranzugehen.
Die Bildung der öffentliche Meinung zugunsten der Religionsfreiheit und anderer Grundfreiheiten ist ebenso erforderlich. Gruppen und Menschenrechtsorganisationen könnten unabhängige Medien unterstützen, Studenten und Wissenschaftlern aus Belarus Stipendien und Mitgliedschaften anbieten und sonstige Aktivitäten fördern, um den Informationsfluss und die Bewusstseinsbildung in Belarus zu fördern.
Insbesondere sollte auch die orthodoxe Kirche von Belarus Ziel des Lobbying sein, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Obwohl in Belarus die Trennung von Kirche und Staat gegeben und die staatliche Unterstützung für die orthodoxe Kirche unbedeutend ist, können - da es sich um eine große Organisation handelt - einige ihrer Leiter dazu beitragen, die Meinungsbildung der Menschen in strategischer und vernünftiger Weise zu unterstützen.
Die Basis der Unterstützer Lukaschenkos, vor allem Angehörige der älteren Generation und der Landbevölkerung, die nach wie vor stolz auf die sowjetische Vergangenheit des Landes sind, ist offensichtlich im Abnehmen. Andrerseits nehmen die Menschen in zunehmenden Maß ihren Mut zusammen, sich zu vereinigen und gegen die nicht zu rechtfertigenden Praktiken der Regierung zu äußern, so wie am 19. Dezember 2010, als Hunderdtausende gegen das Wahlergebnis protestierten. Und darin liegt Hoffnung.
Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der Österreichischen Evangelischen Allianz