07.01.2011

Deutschland: Islamisten bestrafen wachsenden Mut der Christen

In der islamischen Welt werden alteingesessene Christengemeinschaften zum Ziel von Terror. Ein Theologe hat dafür eine Erklärung.

Deutschland: Islamisten bestrafen wachsenden Mut der Christen

In der islamischen Welt werden alteingesessene Christengemeinschaften zum Ziel von Terror. Ein Theologe hat dafür eine Erklärung.

 

 

 

Welt Online: Professor Schirrmacher, eine Welle der Betroffenheit hat die Öffentlichkeit seit dem Attentat auf ägyptische Christen an Silvester erfasst. Ist antichristlicher Terror denn so neu?

Thomas Schirrmacher: Nein, aber er gewinnt neue Qualität. 2010 sind auch alteingesessene Christengemeinschaften in der islamischen Welt verstärkt zum Ziel von Terror und Selbstmordattentaten geworden. Mal wurden in Pakistan über 20 Christen getötet, mal im Irak 50, nun im ägyptischen Alexandria 23 Gottesdienstbesucher.

Welt Online: Morde an Christen kamen in diesen Ländern schon früher vor. Und dass es unter bald 1,5 Milliarden Muslimen eine kleine gewalttätige Minderheit gibt, ist auch nicht ganz neu.

Schirrmacher: Ja, aber in Pakistan sind früher vielleicht drei Gläubige pro Jahr gelyncht worden, weil ein radikaler Imam ihnen Blasphemie oder Abfall vom Islam vorwarf. Bei den jüngsten Anschlägen starben aber auf einen Schlag so viele Menschen wie sonst in fünf bis zehn Jahren.

Welt Online: Orientalische Christen sind für Terroristen also in die erste Reihe der Feinde aufgerückt?

Schirrmacher: Das Feindbild der Terroristen ist jedenfalls gröber, undifferenzierter geworden. Alle Christen werden nun in einen Sack gesteckt: Einheimische, Ausländische, Orthodoxe, Katholische, Evangelikale.

Welt Online: Und das alarmiert auch hierzulande?

Schirrmacher: Ja, dazu kommt ein weiterer Umstand: Bei manchen Attentaten ist unklar, ob die Terroristen mit staatlichen Instanzen zusammenarbeiteten. Von den Kopten in Alexandria höre ich immer wieder die Frage, warum ausgerechnet am Tag des Attentats keine Polizisten die angegriffene Kirche beschützt hätten. Sonst werden in Ägypten rund um die Uhr alle Gottesdienste bewacht. Alarmierend wirkt aber auch die Tatsache, dass sich der Hass auf orientalische Christen bis in unsere Breiten erstreckt.

Welt Online: Sie meinen die womöglich religiös motivierten Übergriffe auf den Bischof der syrisch-aramäischen Christen in Warburg?

Schirrmacher: Aber auch die jüngsten Drohungen von Al-Qaida-Sympathisanten gegen die deutschen Koptengemeinden und -klöster von Frankfurt bis Höxter, wo sich die deutsche Zentrale der Kopten befindet.

Welt Online: Wie erklären Sie diese Übergriffe und Drohungen?

Schirrmacher: Die orientalischen Christen – ob Aramäer, Armenier oder Kopten – protestierten 2010 laut gegen ihre Diskriminierung in den islamischen Mehrheitsgesellschaften. Dieser Protest fand in Europa und in den Herkunftsländern statt. Terror und Drohungen in Europa wie im Orient sind auch eine Reaktion der Islamisten auf diesen wachsenden Mut.

In der Nacht vom 6. auf den 7. Januar feiern die koptischen Christen ihr Weihnachtsfest.

Der Grund für den Zeitunterschied zum Weihnachtsfest der westlichen Christen liegt in der Orientierung an verschiedenen Kalendern. Wie in vielen orthodoxen Glaubensformen sind die Festtage der koptischen Kirche nach dem julianischen Kalender datiert. Dieser ist in der westlichen Welt dem Gregorianischen Kalender gewichen, sein Namensgeber Papst Gregor XIII. führte ihn 1582 ein. Die Differenz zwischen beiden Kalendern beträgt 13 Tage.

Ablauf

Es gibt nur wenige Unterschiede zum westlichen Weihnachtsfest, der Anlass ist die Geburt von Jesus Christus. „Auch bei uns gibt es einen Weihnachtsbaum, eine Krippe und die heilige Messe“, erklärt Vater Boules N. Shehata, koptischer Priester in der Düsseldorfer Sankt Maria Kirche. Der Gottesdienst nehme allerdings deutlich mehr Zeit in Anspruch als bei westlichen Christen. „Es ist intensiver, wir singen spezielle, langsame Weihnachtslieder und auch die Liturgie dauert länger“, berichtet Liliana Basta, sie ist mit Priester Shehata verheiratet.

In der Regel dauert die Messe vier Stunden und geht von 20 bis 24 Uhr. „Danach treffen sich viele Gläubige und essen gemeinsam.“ Aufgetischt werden traditionelle Speisen wie das spinatähnliche „Molokhia“ oder „Kobeba“, eine bestimmte Art Hackfleisch.

Vorbereitung

Streng gläubige Kopten fasten im Vorfeld des Weihnachtsfests 43 Tage lang und ernähren sich in dieser Zeit vegan.

Quelle: dapd

Welt Online: Die Christen werden selbstbewusst – und dafür bestraft?

Schirrmacher: Ja, der historische Deal zwischen muslimischer Mehrheit und christlicher Minderheit wird zunehmend aufgekündigt. Er bestand darin, dass die orientalischen Christen nicht laut und schon gar nicht gegenüber dem Ausland über ihre rechtlichen Benachteiligungen klagten. Im Gegenzug ließ man sie als Bürger zweiter Klasse in Ruhe.

Welt Online: Wo sonst beobachten Sie das Ende dieses „Deals“?

Schirrmacher: Offenkundig im Irak. Nachdem einige irakische Bischöfe begannen, die Weltöffentlichkeit über ihr Leid zu informieren, verschlimmerte sich die Lage der irakischen Christen noch.

Welt Online: Stehen die irakischen Bischöfe denn geschlossen hinter der Strategie öffentlicher Hilferufe?

Schirrmacher: Keineswegs! Viele Bischöfe plädieren dafür, lieber leise diskriminiert zu werden, statt sich laut zu beschweren und dafür ermordet zu werden. Ähnlich riskant leben die Christen in der Türkei: Der Mord an den drei Evangelikalen von Malatya lässt sich ebenfalls als Bestrafungsaktion verstehen. In Malatya war ein Zentrum alteingesessener Türken entstanden, die sich zum christlichen Glauben bekehrt hatten und nun offensiv Gleichberechtigung einforderten. Einige verlangten, in ihrem Ausweis den Eintrag „Muslim“ durch „Christ“ zu ersetzen, andere wagten, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen – gegen ihren Staat. So viel Selbstbewusstsein dulden Radikalislamisten nicht.

Welt Online: Ähnlich steht es um die große religiöse Minderheit der Aleviten in der Türkei. Auch deren Führer werden von Extremisten bedroht ...

Schirrmacher: ... weil auch die Aleviten zunehmend selbstbewusst die Menschenrechte für alle Bürger in der Türkei einklagen.

Welt Online: Islamexperten wie der Jesuit Khalil Samir sagen, die Extremisten wollten durch Terror die Regierung stürzen, indem sie ein „Klima des Konflikts“ schaffen. Um die Christen gehe es ihnen nicht, die seien nur Mittel zur Destabilisierung.

Schirrmacher: Das tröstet die Betroffenen natürlich nicht. Aber es stimmt: Die radikalen Islamisten wollen zunächst mal ihre eigene Regierung treffen. Und ihre Chancen stehen nicht so schlecht, schließlich sind Länder wie Ägypten wacklige Diktaturen, die ohne westliche Unterstützung kaum überleben könnten.

Welt Online: Hatte es einen stabilisierenden Effekt, dass diese Woche Tausende muslimische Studenten in Kairo gegen den Terror protestierten und verkündeten, antichristliche Attentäter verrieten den Islam?

Schirrmacher: Ja, die Frage, was das System destabilisiert und den Terroristen in die Hände spielt, muss sich aber auch die westliche Politik stellen. Die streitet ja, wie man Druck auf Ägypten erhöhen kann, damit das Land seine Christen besser schützt.

Der Terroranschlag in der Silvesternacht auf ein Gotteshaus in der ägyptischen Stadt Alexandria richtete sich gegen die Glaubensgemeinschaft der koptischen Christen. Die koptische Kirche ist eine Sonderform der orientalisch-orthodoxen Kirche und zählt weltweit zwischen 15 und 20 Millionen Mitglieder.

Ägypten 

Die größte Ansammlung von sieben bis neun Millionen Gläubigen befindet sich in Ägypten, die dortigen Kopten sind die größte christliche Gemeinde im Nahen Osten. Der Ursprung der Glaubensrichtung liegt ebenfalls in Ägypten: Als Gründer gilt der Evangelist Markus, im ersten Jahrhundert nach Christus war er Bischof in der Hafenstadt Alexandria.

Göttliche und menschliche Natur

Zur Abspaltung von der römisch-katholischen Kirche führte das Konzil von Chalkedon im Jahr 451, auf dem sich die geistlichen Vertreter der verschiedenen Glaubensrichtungen nicht auf ein einheitliches Bekenntnis bezüglich der Natur Jesu einigen konnten. Seitdem vertreten die Anhänger der koptischen Kirche die von anderen Glaubensrichtungen abgelehnte Auffassung, dass die göttliche und menschliche Natur miteinander verbunden und in einer einzigen Natur vereint seien.

Papst Schenuda III.

Oberhaupt der koptischen Kirche ist seit 1971 Papst Schenuda III., seine genaue Bezeichnung lautet „Papst von Alexandrien und Patriarch des Stuhles des Heiligen Markus“. Sein höchster Stellvertreter in Deutschland ist der Bischof Anba Damian. Dem Bundesinnenministerium zufolge leben etwa 6.000 koptische Christen in Deutschland.

Im Unterschied zu anderen orthodoxen und orientalischen christlichen Glaubensformen betreibt die koptische Kirche aktiv Jugendarbeit und soziale Dienste.

Quelle: dapd

Welt Online: Bereits vor Weihnachten wurde im Bundestag über Christenverfolgung gestritten – während Sie mit irakischen Bischöfen auf der Zuschauertribüne saßen. Vor allem SPD-Redner mahnten, man solle nicht zu sehr auf Christendiskriminierung im Ausland, dafür mehr auf Muslimdiskriminierung im Inland schauen. Ist diese Selbstkritik nicht christlich?

Schirrmacher: Sie klingt so. Unbestreitbar sind die hiesigen Muslimverbände nicht in jeder Hinsicht mit den großen Kirchen gleichberechtigt. Es gibt kaum islamische Kindergärten und Schulen, keine Muslime in den Medienräten und kein islamisches Pendant zur Kirchensteuer. Nur: Diese Ungleichbehandlung ist doch nicht vergleichbar mit der massenhaften Ermordung von Christen. Wer das bestreitet, hat nicht nachgedacht.

Welt Online: Wie haben die irakischen Bischöfe auf der Tribüne reagiert, als die SPD dem Antrag zum besseren Schutz der Religionsfreiheit wegen der genannten Bedenken nicht zustimmte?

Schirrmacher: Die verstanden die Welt nicht mehr. Dagegen fanden sie Anerkennung für die Grünen, die trotz ähnlicher Bedenken dem Regierungsantrag zustimmten.

Welt Online: Es warnen aber nicht nur Sozialdemokraten davor, dass hiesige Muslime Diskriminierungsopfer werden könnten, wenn zu laut über Christenverfolgung im Namen des Islam gesprochen wird.

Schirrmacher: Aber ein Herz für verfolgte Christen bedeutet doch nicht Herzlosigkeit gegenüber Muslimen. Wenn die Politik sich gegen Machismo engagiert, ist das doch auch nicht gleich männerfeindlich. Die Politik sollte schlicht dorthin gucken, wo gerade die massivsten Menschenrechtsverletzungen stattfinden.

Welt Online: Also fordern Sie Engagement auch für andersgläubige Verfolgungsopfer.

Schirrmacher: Natürlich! Politiker in einem christlich geprägten Land müssen sich für alle Verfolgungsopfer stärker einsetzen. Aber daraus darf nicht der Schluss gezogen werden, dass man sich für alle einsetzt außer für Christen.

Welt Online: Welche Verfolgungsfälle wollen Sie sich demnächst genauer anschauen?

Schirrmacher: Zum Beispiel die Diskriminierung indischer Muslime durch radikale Hindus oder die von Hindus durch Buddhisten auf Sri Lanka. Auch da gibt’s viel zu tun.