08.01.2011

Christenverfolgung: Kirchgang als Todesrisiko

von Wieland Schneider, Helmar Dumbs, Sascha Zastiral und Angela Köhler (Die Presse)

Christenverfolgung: Kirchgang als Todesrisiko

von Wieland Schneider, Helmar Dumbs, Sascha Zastiral und Angela Köhler (Die Presse)

 

Im Nahen Osten, der Heimat des Christentums, ist die Lage besonders dramatisch. Die Minderheit sieht sich den Übergriffen wegen der Diskriminierung durch die Behörden vielfach schutzlos ausgeliefert.

Weihnachten – die stillste Zeit im Jahr. In Kirkuk wurde dieser Satz auf beängstigende Weise Realität: Die Kathedrale in der nordirakischen Stadt blieb am Heiligen Abend diesmal leer. Aus Angst vor Attentaten feierten Kirkuks Christen keine größeren Weihnachtsfeste in ihren Häusern, die Kirchen blieben ungeschmückt.

„Das waren traurige Weihnachten. Wir zelebrierten in der Kathedrale nur eine Messe, und zwar erst am 25. Dezember – doch wir waren dabei nicht allein“, erzählt Erzbischof Louis Sako. Denn viele waren gekommen, um ihre Solidarität mit der bedrohten christlichen Minderheit im Irak auszudrücken: der Bürgermeister und der Armeechef von Kirkuk, die Scheichs arabischer Stämme und auch die Imame. „Sie wollten uns sagen: Habt keine Angst. Wir brauchen euch hier. Wir sind ein Ziel der Terroristen so wie ihr.“ Sako weiß die Gesten seiner muslimischen Nachbarn zu schätzen – auch, dass ihn am Montag eine Delegation von 21 Scheichs aus dem Südirak besuchte, um Unterstützung zu signalisieren. „Aber da draußen sind auch die Terroristen. So etwas wie Sicherheit gibt es für uns nicht.“

Dass dieser Satz auch für sie zutrifft, wurde Ägyptens Kopten in der Silvesternacht blutig vor Augen geführt: Nach jüngsten Erkenntnissen war es ein Selbstmordattentat, dem 23 Gläubige im Eingangsbereich der Allerheiligen-Kirche in Alexandria zum Opfer fielen. Die Kirchentüren hatten sich gerade geöffnet, um die Gottesdienstbesucher ins neue Jahr zu entlassen. Ein Jahr, das für sie mit ungeahntem Horror begann. Der Regierung wäre es am liebsten, wenn sie die Tat auf ausländische Extremisten aus dem al-Qaida-Umfeld zurückführen könnte.

„Wenn al-Qaida tatsächlich im globalen Jihad die Verfolgung der Christen auf ihr Programm gesetzt hat, dann haben wir es mit einer ganz neuen Dimension zu tun“, ist Johann Marte, Präsident der christlichen Stiftung „Pro Oriente“, höchst alarmiert.

Sicherheitslage verschlechtert. Rund um das irakische Kirkuk haben Extremistengruppen wie al-Qaida längst die Jagd auf Christen eröffnet. Erzbischof Sako versucht, die Hoffnung nicht zu verlieren. Doch unter den etwa 10.000 Christen rund um die Stadt wächst die Angst: „Immer mehr fürchten sich davor, in die Messe zu kommen“, berichtet der chaldäische Geistliche. „Die Sicherheitslage verschlechtert sich zunehmend“, klagt Sako. Seine Aussagen stützt der aktuelle Welt-Verfolgungs-Index, den die NGO „Open Doors“ zusammenstellt: Der Irak hat sich von Platz 17 auf Platz acht verschlechtert und zählt damit zu den zehn für Christen gefährlichsten Ländern der Welt.

Auch in der Hauptstadt Bagdad nimmt der Druck zu: „Kirchen werden überfallen, vor den Häusern der Gläubigen explodieren Bomben. Offenbar gibt es einen Plan, alle Christen aus Bagdad zu vertreiben“, sagt Erzbischof Sako. Viele haben deshalb in den vergangenen Jahren den Irak verlassen. Noch vor zehn Jahren lebte dort eine Million Christen. Heute sind es noch geschätzte 400.000. Viele sind auch aus dem Süden in die autonome Kurdenregion im Norden geflohen, denn die Kurdenführer haben der Minderheit öffentlich angeboten, sie zu beschützen.

Irak und Ägypten sind keine Einzelfälle: Pogromartige Ausschreitungen gegen Christen in Indien, (Todes-)Urteile nach einem abstrusen Blasphemie-Gesetz in Pakistan, Terror gegen zum Christentum konvertierte Afghanen: Generell hat sich die Situation für Christen in der Welt in den letzten Jahren „zum Schlechteren entwickelt, und zwar eindeutig“, sagt Johann Marte von Pro Oriente. „Von hundert Personen, die wegen ihres Glaubens umgebracht werden, sind 80 Christen“, zitiert Marte Zahlen der OSZE.

Unter jenen Staaten, in denen Christen besonders stark unterdrückt werden, sind viele islamische (siehe Grafik). Herrscher wie Hosni Mubarak in Ägypten hätten früher ihre schützende Hand über die Christen gehalten: „Dieser Schutz ist in den letzten Jahren fast weggefallen. Und das treibt die Kopten jetzt auf die Barrikaden.“

Scharia versus Menschenrechte. Ein Grundproblem werde deutlich, wenn man sich die Kairoer Erklärung der Menschenrechte von 1990 ansehe, meint Marte. Diese Erklärung, die von den Staaten der „Organisation der Islamischen Konferenz“ verabschiedet wurde, stellt die Menschenrechte unter den Vorbehalt der Scharia: „Das bedeutet, dass Muslime allein dem göttlichen Recht zu folgen haben.“

Die Diskriminierung setzt sich oft nahtlos fort, wenn Übergriffe der Polizei gemeldet werden. Pfarrer Luspida Simandjuntak weiß ein Lied davon zu singen. Er war mit einem Kirchenältesten seiner Gemeinde in Bekasi, einer Großstadt östlich von Indonesiens Hauptstadt Jakarta, am 12. September 2010 auf dem Weg zur Messe. Einige junge Männer pöbelten die beiden erst an, dann prügelten sie auf sie ein. Der Kirchenälteste wurde mit Messerstichen schwer verletzt, sie überlebten den Angriff knapp.

Die Behörden erklärten schnell, es habe sich um einen gewöhnlichen Überfall gehandelt. Doch die Angreifer gehören der „Islamischen Verteidigerfront“ (FPI) an, einer Gruppe selbsternannter Moralwächter. Deren Anführer Murhali Barda und zwölf seiner Anhänger stehen nun wegen des Angriffs vor Gericht. Bereits im Dezember kam es erneut zu Übergriffen auf christliche Gottesdienste in anderen Landesteilen.

Dabei ist der größte Teil der Menschen in Indonesien, dem bevölkerungsreichsten muslimischen Staat der Welt, stolz auf das tolerante Miteinander. Radikale Ideen sind den Menschen hier eigentlich fremd. Doch seit einigen Jahren treten radikale Gruppen immer lauter auf. Sie hetzen gegen alles, was sie als „unislamisch“ ansehen.

Auch im mehrheitlich hinduistischen Indien kam es in den vergangenen Jahren zu schwersten Angriffen auf Christen. Im September 2008 attackierten fanatische Hindus im Bundesstaat Karnataka an einem einzigen Tag zwölf Kirchen. Seitdem kommt es beinahe täglich zu kleineren Übergriffen. Dahinter steht der fanatische „Welthindurat“ (VHP). Da die hinduistische Gesellschaft in tausende Gruppen gespalten ist, soll die gewaltsame Abgrenzung von Minderheiten – wie Christen und Muslimen – eine Einheit hervorbringen.

Pogrome. Die schwersten Angriffe ereigneten sich in Orissa im Osten des Landes. Dort kam es nach dem Mord an einem Hindufanatiker 2008 zu regelrechten Pogromen gegen Christen. VHP-Anhänger töteten binnen weniger Tage mehr als 100 Christen und brannten über 4600 Häuser, 252 Kirchen und 13 Schulen nieder.

Auch wenn islamische Länder die Negativ-Liste von „Open Doors“ dominieren: Bereits zum neunten Mal in Folge ist Nordkorea das Land mit der schlimmsten Christenverfolgung. Im „Paradies der Werktätigen“ muss die Bevölkerung ohne Alternative an das Wort der Partei glauben. Ihr Gott heißt Kim Jong-il. Immer mehr Menschen, die aus Nordkorea fliehen, tun dies aus Glaubensgründen.

Seit der Staatsgründung Nordkoreas wurden mindestens 1500 Kirchen zerstört. Dabei war die heutige Metropole der Diktatur, Pjöngjang, noch vor 100 Jahren das Zentrum des koreanischen Christentums. Formell verspricht Artikel 68 der kommunistischen Verfassung zwar Glaubensfreiheit, wenn das nicht zur „Verletzung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung“ führt. Laut „Open Doors“ schmachten 70.000 nordkoreanische Christen in Arbeits- und Umerziehungslagern. Nach Angaben des Regimes agieren nicht mehr als 10.000 Gläubige außerhalb von Gefängnismauern in „Propaganda-Kirchen“, wie sie die Menschenrechtler von Human Rights Watch nennen. Außerhalb dieses staatlich erlaubten Korridors ist es höchst gefährlich, an etwas anderes als den weltweiten Sieg der kommunistischen Lebensweise zu glauben.

Falsche Toleranz. Seit Jahren machen Vereine wie Pro Oriente oder CSI auf die Verfolgungen rund um die Welt aufmerksam. Doch erst in letzter Zeit findet das Widerhall in politischen Äußerungen, wenn etwa Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy von einer „religiösen Säuberung“ im Nahen Osten spricht oder die bayrische CSU fordert, dass Ländern, in denen Christen verfolgt werden, die Entwicklungshilfe gestrichen wird. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger hat immerhin schon Ende 2009 dazu aufgerufen, der weltweiten Christenverfolgung entgegenzutreten. Warum das in der Politik so lange kein Thema war? Marte: „Vielleicht, weil das Christentum in Europa kein sehr hohes Rating mehr hat.“ Toleranz sei in diesem Zusammenhang das falsche Rezept: „Es darf keine Toleranz bei einer Einschränkung der Menschenrechte geben.“

„Wir brauchen deutliche Zeichen der Solidarität unserer Brüder und Schwestern im Westen“, fordert Erzbischof Sako in Kirkuk, „und Signale der religiösen Führer. Sie müssen ihre Anhänger erziehen. Sie müssen ihnen klarmachen, dass keine Religion über der anderen steht.“