12.06.2020
Pakistan: "Blasphemie – Pakistans tödliches Gesetz"
„Wer Allahs Ehre infrage stellt, darf getötet werden“ - Wer wissen will, wie es in der Islamischen Republik Pakistan um die Religionsfreiheit bestellt ist, muss die Arte-Dokumentation „Blasphemie – Pakistans tödliches Gesetz“ gesehen haben. Eine Rezension von Karsten Huhn - idea
Es sind schockierende Bilder: Bei einer Demonstration der TLP, einer dschihadistischen Partei in Pakistan, skandiert eine riesige, aufgeputschte Menge: „Wir sind hier, um Köpfe abschneiden zu lassen.“ Parteiführer der TLP ist der islamische Geistliche Khadim Hussain Rizvi. Er erklärt, wer den Propheten Mohammed beleidige, begehe Blasphemie und damit eine unverzeihliche Straftat: „Wer Allahs Ehre infrage stellt, darf getötet werden.“ Ein Moslem, der zu Blasphemie schweigt, verwirke sein Existenzrecht. Für die TLP-Partei sind die Durchsetzung des Blasphemiegesetzes sowie die Einführung der Scharia die zentralen Wahlkampf-Themen.
Todesurteil für eine Christin
Das pakistanische Blasphemiegesetz wurde 1860 von der britischen Kolonialregierung erlassen, um alle Religionen zu schützen. 1947 wurde Britisch-Indien unabhängig und teilte sich in das (überwiegend hinduistische) Indien und das (zu 96 Prozent aus Muslimen bestehende) Pakistan. 1956 rief sich Pakistan zur ersten Islamischen Republik der Welt aus. 1986 verschärfte das Land das Blasphemiegesetz: Auf die Lästerung des Propheten steht seitdem die Todesstrafe. Bis heute hat es über 1.500 Prozesse gegeben. Der bekannteste Fall wird in der Dokumentation erzählt: Der Christin Asia Bibi wurde zur Last gelegt, sie habe bei einer Mittagspause mit anderen – muslimischen – Frauen den Propheten verunglimpft. Bibi bezeichnete diese Anschuldigungen als falsch. Sie sei von den Frauen aufgefordert worden, zum Islam zu konvertieren. Sie habe geantwortet: „Jedes Mal fangt ihr wieder damit an. Ihr habt euren Glauben, ich habe meinen.“ Gotteslästerung habe sie nicht begangen. Aussage stand gegen Aussage. Bibis Anwalt Nadeem Anthony bezeichnete den Fall als „komplett erfunden“. Dennoch wurde Bibi 2010 für schuldig befunden und als erste Frau wegen „Gotteslästerung“ zum Tode verurteilt. Erst nach mehrjähriger Haft wurde sie 2018 vom Obersten Gerichtshof Pakistans freigesprochen; 2019 wurde der Freispruch höchstrichterlich bestätigt und Bibi konnte nach Kanada ausreisen. Landesweit wurde gegen den Freispruch und die Freilassung heftig protestiert.
Der Leibwächter als Mörder
Bewundernswert ist der Mut der Menschen, die sich dem Mob entgegenstellen und für die Durchsetzung des Rechts sorgen. Denn wer sich dem Volkszorn entgegenstellt, begibt sich in Lebensgefahr. Regisseur Mohammed Naqvi zeigt in seiner Dokumentation, wie gefährlich die Beteiligten leben: Auf Facebook und YouTube wird in Videos die Tötung von Anwälten, Richtern und Politikern gefordert. Immer wieder kommt es bei Blasphemieprozessen zu Gewalt. Ein Gouverneur, der sich für die Freilassung Asia Bibis einsetzte, wurde von seinem eigenen Leibwächter erschossen. Daraufhin kam es zu TLP-Demonstrationen für den Leibwächter, auf denen dieser „als wahrer Diener des Propheten“ gefeiert wurde: „Wir werden uns rächen und künftige Generationen ebenfalls.“ Imam Rizvi erklärte: „Ich dankte Gott, dass der Feind des Propheten getötet wurde.“
Das Blasphemiegesetz ist ein Willkürparagraf
40 Prozent der Blasphemieprozesse richten sich gegen religiöse Minderheiten (obwohl diese nur drei Prozent der Bevölkerung ausmachen). In 60 Prozent der Fälle sind jedoch Muslime betroffen. Wenn man in Pakistan jemanden aus dem Weg räumen wolle, müsse man ihn nur der Blasphemie bezichtigen, sagt eine Rechtsanwältin. Ein in „Blasphemie“ gezeigter Fall ist der des Journalistikstudenten Mashal Khan. Er wurde von einem Lynchmob in Peschawar so lange mit Holzlatten geschlagen, bis er starb. In einem Facebook-Aufruf gegen ihn wurde ihm – fälschlicherweise – Blasphemie vorgeworfen. Tatsächlich hatte er jedoch gegen das Missmanagement der Universitätsleitung sowie gegen überhöhte Studiengebühren protestiert. Khans gewaltsamer Tod wurde von den Tätern mit einem Mobiltelefon gefilmt und über Soziale Medien verbreitet. 61 Mittäter wurden inhaftiert; einer wurde zur Todesstrafe verurteilt, vier zu lebenslanger Haft.
Dieser Film ist angesichts der geschilderten und gezeigten Gewalt kaum auszuhalten. Besonders erschütternd ist, wie Imam Rizvi zu Hass und Gewalt aufstachelt und dabei von seinen Anhängern wie ein Heiliger verehrt wird. Derzeit warten in Pakistan 17 Menschen auf ihre Hinrichtung wegen vermeintlicher Gotteslästerung. Pakistans Blasphemiegesetz ist ein Willkürparagraf. Er kann jeden treffen.
Blasphemie – Pakistans tödliches Gesetz, Regie: Mohammed Naqvi, Dienstag, 16. Juni, 21.30 Uhr, Arte