29.06.2002

Pakistan: Wegen Blasphemie Verurteilter Muslim im Gefängnis erschossen

75 warten auf ihr Urteil<br />

Pakistan: Wegen Blasphemie Verurteilter Muslim im Gefängnis erschossen

75 warten auf ihr Urteil

(Compass Direct/Offene Grenzen/WEA) - M. Yousaf Ali, ein wegen angeblicher Gotteslästerung (Blasphemie) zum Tode verurteilter moderater pakistanischer Muslim, wurde am 11.6.02 in Lahores Kot Lakhpat Zentralgefängnis von einem Mithäftling erschossen.

Berichten zufolge wurde er gerade von seiner Todeszelle in einen anderen Block verlegt, als ihn ein wegen Mordes Verurteilter Mithäftling mit vier Pistolenschüssen in die Brust tötete. Die "Daily Times" berichtete, der Mörder habe dem herbeigeeilten Gefängnisdirektor entgegengeschrien: "Es war eure Pflicht, aber ich habe es getan." Eine andere Zeitung berichtete, dass im Gefängnis eine Panik ausbrach, die erst nach vier Stunden unter Kontrolle gebracht werden konnte.

Der Gefängnisdirektor gab seinen Rücktritt bekannt. Sein Stellvertreter und zwei Aufseher wurden wegen Pflichtversäumnis festgenommen.

Es handelte sich um keine routinemäßige Verlegung. Dass der Mörder, der die Waffe seit vier Monaten besessen haben soll, mit der Pistole in der Hand bereit stand und auf Yousaf wartete, deutet auf eine Komplizenschaft der Wärter.

Yousaf Ali, 60J., war ein moderater, aber religiös eingestellter Muslim, der nach zwei Jahren Untersuchungshaft im August 2000 unter der Anklage, er habe sich selbst zu einem Propheten erklärt, zum Tode verurteilt worden war.

Nach Aussagen eines Informanten, der ihn für unschuldig hält, basierte das Urteil auf der Video-Aufzeichnung einer von Yousaf besuchten Versammlung, wo er lediglich sagte, er "fühle hier die Gegenwart des Propheten Mohammed."

Der Anschlag vergrößert die Besorgnis von Menschenrechtsanwälten und den Familien anderer wegen angeblicher Blasphemie Verurteilten, dass ähnliche Angriffe auf ihr Leben erfolgen könnten. Von mindestens weiteren 75 pakistanischen Bürgern ist bekannt, dass sie unter der Beschuldigung der Blasphemie gegenwärtig in den Gefängnissen des Landes einsitzen. Im Jahr 2001 allein kamen ca. 40 Muslime, 23 Mitglieder der Ahmadi-Sekte, 10 Christen und 2 Hindus wegen Blasphemie ins Gefängnis.

Da die Zahl inhaftierter islamistischer Aktivisten in den letzten Monaten angestiegen ist, weil die Regierung hart gegen den internationalen Terrorismus vorgeht, müssen sich jetzt öfters wegen des Blasphemie Gesetzes Inhaftierte die Zellen mit den gewalttätigsten Gefangenen teilen. Einige stehen mit Gruppen wie El-Kaida in Verbindung. Diese Häftlinge bedrohen und schlagen die Mitgefangenen, wann immer sie die Gelegenheit dazu bekommen.

Auch Ayub Masih befindet sich in einer Todeszelle. Er ist der erste Christ, gegen dessen Todesurteil nach der Bestätigung in zweiter Instanz vor dem Obersten Gerichtshof Pakistans Berufung eingelegt worden ist. Sein Verteidiger vertritt im Revisionsprozess vor dem High Court in Lahore auch einen muslimischen Professor, der im vergangenen Oktober zum Tode verurteilt worden ist.

Die vor 16 Jahren unter dem Regime Zia ul-Haq verschärften, nicht eindeutig formulierten Blasphemiegesetze schreiben die Hinrichtung jedes wegen Lästerung des Propheten Mohammed Verurteilten vor und fordern lange Gefängnisstrafen und Bußgelder für "geringere" Vergehen gegen den Islam und den Koran. Zwar ist bis jetzt noch niemand hingerichtet worden, doch die Angeklagten verbringen Jahre in Untersuchungshaft und müssen bei einem Freispruch aus dem Lande fliehen, um nicht ermordet zu werden.

Sowohl unter der vorigen Regierung als auch unter dem gegenwärtigen Regime von General Pervez Musharraf ist versucht worden, Änderungen in der Prozessordnung einzuführen, um einen Missbrauch dieser umstrittenen "schwarzen Gesetze" zu verhindern. Doch aufgrund von Gewaltandrohungen durch islamistische, politische Gruppen wich die
Regierung in Islamabad jedesmal wieder zurück. (www.offenegrenzen.de)

Hier eine Liste der z.Zt. in U-haft befindlichen, uns bekannten Christen, die :


Name: Ayub Masih
Festgenommen: October 14, 1996
Angeklagt wegen: "Lästerung"/Blasphemie
Urteil: Todesstrafe. Die Todesstrafe ist die z.Zt. einzig zulässige Strafe für Blasphemie nach der Pakistan Penal Code 295/c ("Lästerung"/Blasphemie gegen den Prophet des Islam, den Koran oder den Glauben des Islam. Es ist jedoch noch kein Urteil gegen einen Christen vollstreckt worden, und die gemäßigte Regierung unter President Pervez Musharraf sucht nach Wegen, eine Ersatzstrafe einzuführen. Die Fundamentalisten lehnen dies auf das schärfste ab.

Name: Ranjha Masih
Festgenommen: 8 Mai, 1998
Angeklagt wegen: "Lästerung"/Blasphemie (weil er ein Schild beschädigt haben soll, das Verse aus dem Koran enthielt)
Urteil: unbekannt

Name: Aslam Masih
Festgenommen: 29 November, 1998
Angeklagt wegen: "Lästerung"/Blasphemie (stammt aus dem Bezirk Faisalabad, ist Schäfer und soll Koranverse in den Schmutz gezogen haben. Inhaftiert ist Aslam im Zentralgefängnis von Faisalabad)
Urteil: zwei mal lebenslänglich und eine Geldbuße von 100,000 Rupien. (Diese Strafe wird als nicht rechtmäßsig von Fundamentalisten angesehen - s.o. zu Ayub Masih)

Name: Jhang Amjad and Asif Masih
Festgenommen: Juni 1999
Angeklagt wegen: "Lästerung"/Blasphemie (Verbrennung eines Koran)
Urteil: lebenslänglich (Diese Strafe wird als nicht rechtmäßsig von Fundamentalisten angesehen - s.o. zu Ayub Masih)

Name: Augustine "Kingri" Masih
Festgenommen: 4 Mai, 2000
Angeklagt wegen: "Lästerung"/Blasphemie (während eines Besuchs bei Verwandten Christen, als sie angegriffen und schwer geschlagen wurden)
Urteil: noch nicht entschieden

Name: Pervez Masih
Festgenommen: 1 April, 2001
Angeklagt wegen: "Lästerung"/Blasphemie (gegen Muhammed während Nachhilfeunterricht)
Urteil: noch nicht entschieden


Richter und Gerichte stehen oft unter dem Druck islamischer Extremisten und verzögern Urteile jahrelang. So wurde etwa der Richter Arif Bhatti, der die Christen Rahmat und Salamat Masih vom Vorwurf der Blasphemie freigesprochen hatte, am 10.Oktober 1997 in seinem Büro in Lahore von einem Mitglied einer militanten islamischen Organisation erschossen.