05.03.2002

Evangelikaler, türkischer Christ vor Gericht

vor dem 4. Strafgericht Erster Instanz Diyarbakir läuft momentan ein Verfahren gegen den Christen Kemal Timur unter dem Aktenzeichen No. 2000/788.

Evangelikaler, türkischer Christ vor Gericht

vor dem 4. Strafgericht Erster Instanz Diyarbakir läuft momentan ein Verfahren gegen den Christen Kemal Timur unter dem Aktenzeichen No. 2000/788.

(Compass Direct/Offene Grenzen) - Timur, 33, wird vorgeworfen, den Islam beleidigt zu haben, als er vor zwei Jahren Neue Testamente verteilte.

Nachdem der Prozeß im Januar 2001 begann, hat es öfters Verzögerungen gegeben. Gestern wurde die Verhandlung erneut um 20 Wochen vertagt. Nur weniger Minuten nachdem die vier internationalen Beobachter, inklusive zwei Vertreter einer Deutschen Menschenrechtsorganisation und ein ausländischer Journalist im Gerichtsgebäude am 5.2.2002 eintrafen, tauchte eine Truppe der Geheimpolizei auf, um den Verhandlungsverlauf zu überwachen. Auch ein paar türkische Christen saßen auf der Zuhörerbank hinter dem Angeklagten.

Der Richter, der die Anwesenheit einer Gruppe Beobachter zu Protokoll gab, untersagte die Benutzung von Kameras im Gerichtssaal. Zum zweiten Mal sind die Polizisten, die vorgeladen waren, um gegen Timur auszusagen, nicht erschienen. Dem Gericht wurde erklärt, dass die betroffenen Polizisten inzwischen in zwei andere Städte versetzt wurden und es ihnen nicht möglich sei, an der Verhandlung persönlich teilzunehmen.

Beide Polizisten waren an der Verhaftung Timurs vor einer Schule im Mai 2000 beteiligt gewesen, als er dort Neue Testamente verteilte. Timur, dessen Verteilaktion nicht gegen das Gesetz verstieß, wurde am nächsten Tag frei gelassen, ohne dass gegen ihn Anklage erhoben wurde. Doch sieben Monate später setzte man ihn davon in Kenntnis, dass er laut Artikel 175 des türkischen Gesetzbuches am Tag seiner Verhaftung den Islam verleumdet habe. Ihm wird vorgeworfen, den Prophet Mohammed einen Hexenmeister genannt zu haben.

Die Aussagen, die von Zeugen eingereicht wurden, wirken widersprüchlich bezüglich wo und wann Timur diese abfällige Bemerkung gemacht haben soll. Während ein Mitarbeiter der Schule behauptet, die Verleumdung gehört zu haben, als Timur auf der Straße mit Studenten redete, steht im Polizeibericht, dass die Bemerkung im Auto fiel als sie unterwegs zum Polizeibüro waren.

Während der kurzen Verhandlung hat die Verteidigung erklärt, dass die Anklage völlig unbegründet sei und der Angeklagte lediglich ein Opfer religiöser Vorurteile geworden sei.

Timur, der früher Muslim war, hat sich vor ca. 5 Jahren zu Christentum bekehrt. Er wurde getauft und hat auch seine neue Religion in seinen Personalausweis eintragen lassen. Er ist Mitglied einer kleinen Evangelischen Kirche in Diyarbakir.

Der Richter, der erst letzten Oktober den Fall von einem anderen Richter übernahm, schien aber über Timurs Religion nicht informiert zu sein. "Welcher Religion gehört er denn an" fragte er den Verteidiger, der daraufhin erklärte, Timur sei Evangelischer Christ. Der Richter beriet sich mit dem Staatsanwalt und ordnete dann an, dass die beiden Polizisten vor dem zuständigen Gericht in Belikesir und Ankara eine Zeugenaussage machen sollen. Diese sollen dann an das Gericht in Diyarbakir rechtzeitig zur nächsten Anhörung weitergeleitet werden. Diese wurde für den 20. Juni angesetzt.

Timur ist verheiratet und hat drei Kinder. Falls er für schuldig erklärt wird, erwarten ihn 6 bis 12 Monate Haft. Er ist vom Beruf Klempner und gehört zu den 70% Arbeitslosen der Bevölkerung von Diyarbakir.

Weitere Informationen und eine Petition sind erhältlich bei Wolfgang Leo, Leo@ead.de