06.12.2007

Türkei: Schlag gegen die Religionsfreiheit im Malatya-Prozess


B O N N (29. November 2007) - Eine weitere Einschüchterung und Gefährdung von Türken, die
am christlichen Glauben interessiert seien, befürchtet Ron Kubsch vom Institut für Islamfragen
durch das Vorgehen der Staatsanwaltschaft im Prozess um die drei am 18. April 2007
ermordeten Mitarbeiter des christlichen Zirve-Verlages in Malatya.
Bereits vor dem ersten Verhandlungstag am Freitag hatte Orhan Kemal Cengiz, einer der
Anwälte der Hinterbliebenen, bedauert, dass sich von den 31 Aktenordnern allein 16 nicht mit
den Tätern, sondern ausgiebig mit den missionarischen Aktivitäten der Opfer und anderer
protestantischer Christen im Land beschäftigten. So habe der Staatsanwalt beispielsweise
sämtliche detaillierte Informationen von den Computerfestplatten der Opfer über einzelne
Interessenten am Christentum mit ihren Namen und Adressen in die Prozessakten aufgenommen.
Dagegen blieben wesentliche Fragen nach dem Beziehungsnetzwerk der Täter, ihren
Unterstützern und der Wirkung provozierender Publikationen örtlicher Zeitungen
unberücksichtigt.
Briefe der Täter an ihre Familien und Bekannte verdeutlichten, dass die Täter ihr Verbrechen als
Opfer für das Heimatland verständen und sich dafür geschätzt wissen wollten. Für Cengiz hat der
zunächst auf den 14.
Januar vertagte Prozess wegweisende Bedeutung für die Zukunft des Landes, in dem selbst
offizielle Vertreter des Staates christliche Missionare noch immer als ?Feinde mitten im Land"
und ?Agenten fremder Staaten" darstellten und dadurch ähnliche Vorfälle wie in Malatya
beförderten.
Christen droht neun Jahre Haft wegen Weitergabe ihres Glaubens
Sorgen um die Lage der Religions- und Meinungsfreiheit der Türkei löst auch der heute, am 29.
November 2007, fortgesetzte Prozess gegen Hakan Tastan und Turan Topal aus. Den beiden
türkischen Christen drohen wegen Herabsetzung der türkischen Identität nach Artikel 301/1 der
türkischen Strafgesetzgebung, wegen Missionierung Minderjähriger und Beleidigung des Islam
(Artikel 216/1) und unerlaubten Sammelns vertraulicher Informationen von Staatsbürgern
(Artikel 135/1) bis zu neun Jahren Haft. In der Presse warf man den beiden zudem Frauenhandel,
Waffenbesitz und Kooperation mit Terroristen vor. Die beiden Angeklagten wiesen bereits in den
ersten Verhandlungen diese Vorwürfe empört zurück. Sie bezeichneten sich als Patrioten und
bekannten sich zugleich zum christlichen Glauben. Da der Begriff ?Evangelium" gute Nachricht
bedeute, wollten sie das Neue Testament an Menschen weitergeben, die sich dafür interessierten.
Auch in diesem Fall beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft bei der Durchsuchung ihrer
Wohnungen 5000 Adressen von interessierten Muslimen und gab leicht anonymisierte Beispiele
zur Abschreckung an die Presse weiter.
EU-Bericht: Keine Verbesserung der Situation für Nichtmuslime
Bereits der neueste Türkei-Entwicklungs-Bericht der Europäischen Union vom 6. November
hatte festgestellt, dass sich die Situation für Nichtmuslime nicht verbessert habe. Vor allem die
Religionsfreiheit bleibt unzureichend. In den Personalausweisen ist weiterhin die
Religionszugehörigkeit verzeichnet. Ein auf Antrag leer bleibendes Feld kann zu
Diskriminierungen führen. Zudem werden christliche Missionare in den Medien und von
staatlichen Stellen als Bedrohung der türkischen Integrität bezeichnet, nichtmuslimischen
Vereinigungen die öffentliche Anerkennung versagt und ihr Besitz nicht selten staatlich enteignet.
Hassreden gegen Nichtmuslime bleiben unbestraft. Bauvorhaben werden häufig verzögert oder
ganz blockiert. Gemeinden können außerdem ihre bestehenden Gottesdiensträumlichkeiten nicht
als solche im Stadtbebauungsplan anmelden, sodass sie als illegal jederzeit durch polizeiliche
Anordnung geschlossen werden können.