06.12.2007

Türkei: Was erzeugt Intoleranz und Gewalt?


30. November AKREF/JJ In der Türkei leben Angehörige verschiedenster
Religionsgemeinschaften. Neben der Mehrheit der sunnitischen Moslems gibt es die Aleviten (mit
etwa 17 Millionen Angehörigen die größte religiöse Minderheit), Schiiten, verschiedene
islamische Bruderschaften und Bewegungen, katholische und evangelische Christen,
evangelikale, griechisch orthodoxe und syrisch orthodoxe Christen, Zeugen Jehovas, Bahai und
andere.
Der Prozess gegen die Mörder der Christen Necati Aydin, Ugur Yüksel und Tilman Geske, die
im April dieses Jahres in Malatya einem brutalen Anschlag zum Opfer fielen, hat dazu geführt,
dass man sich wieder die Frage stellt, was zu derartiger Intoleranz und Gewalt führt. In einem
persönlichen Kommentar nennt der türkische Christ Güzide Ceyhan folgende drei Faktoren:
Desinformation durch die prominente Persönlichkeiten und die Medien, den Aufstieg des
türkischen Nationalismus und die Marginalisierung kleinerer Gruppen innerhalb der türkischen
Gesellschaft. Darunter haben sowohl Minderheitengemeinschaften innerhalb des Islams als auch
Christen und Gemeinschaften wie die Bahai zu leiden.
Desinformation in den Medien betrifft unter andrem die Darstellung von Missionaren als
Bedrohung der Gesellschaft und die immer wieder aufgestellte Behauptung, dass die nicht
moslemischen Minderheiten nicht Teil der türkischen Gesellschaft sind. Diese Desinformation
wird sowohl von landesweiten als auch lokalen Medien betrieben, insbesondere wenn es um
Bekehrung zum Christentum geht. Der türkische Anwalt Orhan Kemal, der einen Bund
evangelischer Gemeinden vertritt erklärte kurz nach den Morden von Malatya, dass obwohl
Missionstätigkeit in der Türkei keine Straftat ist, Politiker und die Medien durch konstante
Wiederholung dieser Behauptung diese zum "Verbrechen" gemacht haben, das Privatpersonen
dann in Selbstjustiz "bestrafen".
Ein besonderer Fall der Desinformation ist das Plädoyer des Staatsanwalts im Mordprozess von
Malatya, in dem die Missionstätigkeit der Opfer mehr betont wird als die Taten der Täter. Der
Anwalt der Opfer meinte: "Sie versuchen zu beweisen, dass Missionstätigkeit eine ungerechte
Provokation ist, um ein mildes Urteil zu erwirken." Der Anwalt der Opfer befürchtet, dass eine
derartige Vorgangsweise die Tür für neue Übergriffe öffnet.
Bereits vor dem Prozess waren in Medienberichten die Opfer angegriffen worden, und nicht die
Täter. Sogar der Anwalt der Opfer wurde angegriffen. In einer TV Serie namens "Kurtlar Vadisi"
(Das Tal der Wölfe") wurden kürzlich Missionare als Personen dargestellt, die den Glauben
armer Familien erkaufen. Professor Zekerya Beyaz, Dekan der (moslemischen) theologischen
Fakultät der Marmara Universität erklärte im Fernsehen: "Missionare machen alle unsere jungen
Menschen zu Christen und eröffnen illegale Kirchen unter dem Schutz des Gesetzes. Ein Buch
mit dem Titel "Dikkat Misyoner Geliyor" ("Achtung, Missionare kommen") wurde veröffentlicht.
Die sensationalistische Medienberichterstattung gibt den Christen in den meisten Fällen keine
Chance zu einer Stellungnahme. Besorgnis erregend ist, dass manche Medien die Adressen von
christlichen Gemeinden und Namen von Verantwortlichen veröffentlicht haben, und diese somit
der Gefahr von Angriffen aussetzen.
Die türkische Geschichte lehrt, dass Gruppen, die als "unakzeptabel" oder als "Bedrohung der
Nation" gebrandmarkt werden, sehr schnell Opfer von Gewalttaten werden können. 1955 war
es der Progrom gegen die armenische und griechische Minderheit in Istanbul, 1993 forderte ein
Bombenattentat auf Aleviten in Sivas 37 Todesopfer. Derzeit werden türkische Staatsbürger
kurdischer Abstammung generell verdächtigt, Sympathisanten der terroristischen PKK zu sein.
Seit 2006 gab es zahlreiche Übergriffe und Drohungen gegen evangelikale Christen.
Dennoch gibt es von Seiten der Türkei ernsthafte Bemühungen, den nationalen und
internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte gerecht zu werden. Viele
Türken mit verschiedenen Religionsbekenntnissen und auch solche ohne religiöses Bekenntnis
setzen sich für die Förderung der Demokratie und Menschenrechte ein und die Zivilgesellschaft
macht Fortschritte.
Quelle: Forum 18 News Service, Oslo