01.02.2007

Irak: "Wer bleibt, stirbt" Christenverfolgung im Irak

Von Gabriela Keller, Damaskus
SPIEGEL ONLINE - 01. Dezember 2006, 06:42 - Vor dem blutigen Chaos im Irak sind 800.000
Menschen nach Syrien geflohen. Jede Woche kommen 4000 weitere hinzu. Zurzeit strömen
scharenweise Christen über die Grenze: In ihrer alten Heimat werden sie verfolgt, in ihrer neuen
erwartet sie ein Leben in Elend.
Damaskus - Die Abendmesse in der chaldäischen Kirche endet, die Dunkelheit liegt wie eine
staubige Decke über der Altstadt von Damaskus. Der elektrische Heiligenschein einer
Marienstatue strahlt über den Kirchhof, daneben stehen die Gläubigen beieinander. Es gab eine
Zeit, da sollte das Gotteshaus geschlossen werden, weil es in Syrien kaum chaldäische
Katholiken gibt. Nun sind die Bänke jeden Abend bis auf den letzten Platz mit Irakern besetzt.
Wer sie anspricht, wird bestürmt mit Berichten gezielter Christenverfolgung im Irak: Sie
berichten von brennenden Kirchen, von ermordeten Pfarrern.
Ein schmaler, alter Mann löst sich aus der Menge. In kleinen Schritten bahnt er sich den Weg
durch die Gassen. Um ihn herum drängeln Passanten. Wirklich wahrzunehmen scheint er sie
nicht. So als würde all das hier, die Fremde und dieses neue Leben, das doch keines ist, an ihm
vorbeiziehen wie ein Film. "Hier können wir keine Existenz aufbauen", sagt er. "Und kein
anderes Land will uns, also gibt es keine Hoffnung." Vor zwei Jahren ist der 64-Jährige aus
Bagdad geflohen. "Sechs meiner Cousins haben sie ermordet", erzählt er. Seinen Namen will er
nicht nennen - auch im Exil hat er noch Angst vor seinen Verfolgern. "Danach kamen die
Drohungen am Telefon: Wenn wir den Irak nicht verlassen, werden sie uns auch töten, haben sie
gesagt. Sie wollen alle Christen vertreiben", sagt er. "Wer bleibt, stirbt."
Stiller Exodus von 800.000 Menschen
Mit seiner Frau und drei erwachsenen Töchtern wohnt er heute in einer Drei-Zimmer-Wohnung.
Um einen Plastiktisch stehen Plastikstühle, an der Decke brennt eine nackte Glühbirne. Die
einst wohlhabende Familie lebt von 200 Dollar im Monat, das Geld schicken Verwandte aus
Australien. Der 64- Jährige läuft jeden Abend zur Kirche, tagsüber betet er und wartet. Nichts
gibt es zu tun für den Lehrer, der nicht arbeiten kann, weil es in Syrien nicht einmal Arbeit für
die Einheimischen gibt. "Mein Leben haben sie mir mit vorgehaltener Waffe weggenommen."
Mit dem Einmarsch der Amerikaner hat 2003 ein stiller Exodus aus dem Irak begonnen.
800.000 Menschen sollen bislang vor dem blutigen Chaos nach Syrien geflohen sein. Und
obwohl Christen nur vier Prozent der Bevölkerung ausmachen, stellen sie unter den
Flüchtlingen mehr als 30 Prozent, schätzt Schwester Antoinette Arbash. "Wenn das so
weitergeht, wird es bald im Irak keine Christen mehr geben", sagt die Nonne, die im
Damaszener Caritas-Flüchtlingsbüro hilft, Iraker mit Nahrung, Medizin und finanzieller
Nothilfe zu versorgen. "Viele haben ihre Häuser und Autos verkauft und sich bisher mit ihren
Ersparnissen über Wasser gehalten. Nun sind sie aber schon Jahre hier, die meisten haben ihr
Geld aufgebraucht und rutschen immer tiefer in die Armut ab."
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Die irakischen Flüchtlinge können ohne Beschränkung nach Syrien einreisen und ihre Kinder
kostenlos zur Schule schicken, doch sie bekommen keine Arbeitsgenehmigung. "Sie können nur
in schlecht bezahlten, ungesicherten Verhältnissen arbeiten", erklärt die Nonne.
Schlimmstenfalls vor Armut umkommen
So bleibt den Heimatlosen kaum eine Möglichkeit, ihr Leben zu finanzieren. Schon jetzt geht
etwa jedes dritte Kind nicht zur Schule, weil die Eltern nicht einmal Bücher und Stifte bezahlen
können - oder weil die Kinder zum Arbeiten oder Betteln geschickt werden. "Die Probleme
wachsen. Die Kriminalität nimmt zu und etliche Frauen - selbst Mädchen ab zwölf Jahren -
müssen sich prostituieren", schildert Schwester Antoinette. "Hier bahnt sich eine große soziale
Katastrophe an."
Jaqueline Ghazi Hermes gehört zu jenen Flüchtlingen, die vor dem Nichts stehen. Sie sitzt im
übervollen Wartezimmer des Caritas-Flüchtlingsbüros, in dem irakische Christen wie Sunniten
und Schiiten auf eine Hilfe zum Überleben hoffen. Sie trägt eine Seidenbluse, doch ihre Füße
stecken in Badelatschen. "Vor zwei Jahren bin ich mit meiner Mutter aus Bagdad geflohen. Hier
teilen wir uns ein unmöbliertes Zimmer", erzählt sie. "Jetzt wird unser Geld weniger und
weniger." Die 44-Jährige hängt wie erschöpft im Stuhl, ihr Gesicht findet keinen Ausdruck
mehr. "Was wir tun, wenn es aufgebraucht ist, wissen wir nicht."
Christin weigert sich Schleier zu tragen: Kündigung
In Bagdad hat sie in einer Kommunikationsagentur gearbeitet. "Mein Chef war Schiit, und
irgendwann hat er uns allen verlangt, einen Schleier zu tragen." Als die Christin sich weigerte,
setzte der Geschäftsführer sie unter Druck, bis sie kündigte. "Wir haben neben einer Kirche
gewohnt, und wurden jeden Tag bedroht. Wir haben monatelang in Todesangst gelebt." Die
Entscheidung, den Irak zu verlassen, fällte sie dennoch erst, nachdem die Extremisten ihr Haus
in die Luft gesprengt hatten. "Alles, was wir hatten, war zerstört."
Während die Iraker in Syrien im Elend versinken, wächst ihre Zahl dramatisch weiter. "Jede
Woche kommen rund 4000 Flüchtlinge über die Grenze", sagt Dietrun Günther, Senior
Protection Officer beim Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Derzeit müht sich das Werk,
mehr Unterstützung aus den Geberländern nach Syrien zu bringen. "Wir müssen hier von einer
Flüchtlingskrise sprechen", sagt sie.
"Es ist absehbar, dass Syrien das bald nicht mehr tragen kann." Sollte das Land seine Grenze
schließen, wäre auch der Westen mit dem Problem konfrontiert: "Wenn sie hier in der Region
nicht mehr überleben können, werden sie irgendwie Wege nach Europa finden."
Rohbauten an ungepflasterten Trampelpfaden In Damaskus gibt es mittlerweile Gegenden, die
mehrheitlich von Irakern bewohnt sind. Nach Jaramana sind Tausende Christen gezogen. Der
explodierende Wohnraumbedarf hat den ganzen Vorort in eine Großbaustelle verwandelt: An
ungepflasterten Trampelpfaden wachsen Rohbauten in die Höhe, Hausskelette in verschiedenen
Stadien der Fertigstellung stehen gequetscht in den Lücken zwischen Plattenbauten; wo noch ein
Fleckchen Freiraum war, gähnen Baugruben, an den Rändern des Viertels wuchern Slums ins
Brachland.
"Hier in Jaramana gibt es mehr als 400 irakische Geschäfte und Restaurants", sagt Amanoail
Khoshaba. Der Leiter des Büros der irakischen Assyrisch-Demokratischen Bewegung in
Damaskus hilft seinen Landsleuten, Zugang zu kostenloser Behandlung in Krankenhäusern zu
bekommen. "In Syrien finden die Christen aus dem Irak eine sichere Zuflucht", sagt er. "Und
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solange die Gewalt sich gegen sie richtet, werden sie weiter zu Tausenden kommen." Khoshaba
erzählt, dass es in seiner Heimatstadt Basra vor vier Jahren noch 1500 christliche Familien gab,
"davon sind jetzt sind vielleicht noch 200 übrig."
Neben Khoshabas Büro lehnt der 29-jährige Bassam Mouzafar am Türrahmen seines neuen
Reisebüros und sieht zu, wie die Monteure ein Neonschild an die Fassade schrauben. Am 11.
Juli ist er aus Bagdad gekommen. "Sie haben versucht, mich zu entführen, um Lösegeld zu
erpressen", erzählt er. Als er seinen Angreifern zu entkommen versuchte, schossen sie ihm drei
Mal in die Brust. "Sobald meine Wunden verheilt waren, bin ich geflohen, denn ich wusste, sie
würden wiederkommen." Seine Familie sei reich gewesen, habe Immobilien und Geschäfte
besessen. "Nun muss ich in der Fremde wieder bei Null anfangen."

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