01.02.2007

Pakistan: Gericht spricht geistig behinderten Christen frei

Weiterer Christ erhält Haftverschonung – 17-Jähriger soll den Koran geschändet haben

Pakistan: Gericht spricht geistig behinderten Christen frei

Weiterer Christ erhält Haftverschonung – 17-Jähriger soll den Koran geschändet haben

ISTANBUL, 24. Januar 2007 - Zwei wegen angeblicher Blasphemie inhaftierte Christen wurden in Pakistan aus dem Gefängnis entlassen. Das Gericht sprach am 19. Januar Shahbaz Masih (28) mit der Begründung frei, der Angeklagte sei geistesgestört. Shahbaz Masih saß fünf Jahre im Gefängnis. Der Richter am Obersten Gerichtshof in Lahore wies auf eine geistige Behinderung hin. Außerdem, so Richter Muhammad Ijaz Chaudhry, gäbe es keine Augenzeugen für die ihm vorgeworfene Beleidigung des Islams. Obwohl ein Psychiater ausgesagte, Masih sei geistig gestört, wurde er nach zwei Paragrafen des Blasphemiegesetzes im pakistanischen Strafrecht zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Seit Juni 2001 saß er in der psychiatrischen
Abteilung des Bezirksgefängnisses von Faisalabad. Der Anwalt des 28-Jährigen, Khalil Tahir Sindhu, fürchtet nun um das Leben seines Mandanten. Einige Muslime hatten gegen das Urteil protestiert. Er hofft daher auf Asyl für ihn im Ausland.
Shahbaz Masihs Eltern und fünf seiner Geschwister mussten mehrmals während des Verfahrens untertauchen, da sie von radikalen
Gruppen bedroht wurden. Nach dem Urteilsspruch riefen 60 bewaffnete islamische Geistliche im Gerichtssaal Parolen, mit denen sie den Schuldspruch und das islamische Recht lobten.

17-jähriger Christ auf Kaution entlassen

Auf Kaution wurde ein weiterer Christ aus Faisalabad entlassen. Der 17-jährige Shahid Masih ist untergetaucht und wartet nun auf die Entscheidung des Gerichts. Shahid Masih soll den Koran geschändet haben. „Auch nachdem ich Haftverschonung erhalten habe, fühle ich mich nicht sicher, weil ich untergetaucht leben muss", sagte Shahid Masih in einem Telefonat mit dem Informationsdienst Compass Direct. Sein Anwalt Khalil Tahir Sindhu berichtete, dass sich der junge Mann und seine Familie nur heimlich bei Nacht sehen können. Muslimische
Extremisten empfänden die Entlassung Masihs als ungerecht. Der 17-Jährige wird verdächtigt, Seiten aus einem Buch mit Koranversen gerissen zu haben. Am 21. September bat der in der Punjab inhaftierte Shahid Masih über seinen Anwalt, das Verfahren gegen ihn aus Mangel an Beweisen einzustellen. Der einzige Anhaltspunkt gegen Masih sei, so sein Anwalt Khalil Tahir Sindhu, die Aussage eines Muslims, der aufgrund desselben Verbrechens angeklagt sei. Nach
pakistanischem Recht darf diese Aussagen jedoch nicht als Beweis zugelassen werden. Wird der Siebzehnjährige nach Artikel 295-B des Blasphemiegesetzes schuldig gesprochen, droht ihm eine lebenslange Haftstrafe. Das Gesetz erklärt die Schändung des Korans zum Verbrechen. In diesen Fall hat sich auch der Christ und Abgeordnete im Provinzparlament des Punjab, Joel Amir Sahotra, auf Bitten der Familie eingeschaltet. Sahotra ist davon überzeugt, dass Masih fälschlich beschuldigt worden ist und appellierte am 21. September 2006 an den Ministerpräsidenten des Punjabs.

Hintergrund:
Shahid Masih ist einer der wenigen pakistanischen Christen, die bei Verdacht auf Blasphemie, von einer unteren Instanz Haftverschonung erhalten haben. Die meisten Angeklagten sitzen jahrelang im Gefängnis, bevor der Richter eines höheren Gerichts über ihr Schicksal entscheidet. „Im Allgemeinen beantragen wir aus Sicherheitsgründen keine Haftverschonung", kommentierte Peter Jacob, geschäftsführender Sekretär der pakistanischen Kommission für
Gerechtigkeit und Frieden. Christen seien in solchen Fällen im Gefängnis am sichersten. Aber auch im Gefängnis kann es für Blasphemieverdächtige gefährlich sein: „Ich wurde von meinen
Mitgefangenen geschlagen, bevor man mich in eine Einzelzelle steckte", sagte Shahid Masih gegenüber Compass Direct.
Auch Anwalt Khalil Tahir Sindhu wird wegen seines - oft ostenfreien -Engagements bedroht. Um Anschlägen zu entgehen, sind seine Frau und seine Söhne zeitweise untergetaucht.
Mindestens 23 Menschen, denen Blasphemie vorgeworfen wird, seinen in Pakistan ermordet worden, seit die Blasphemiegesetze in den 1980er Jahren in Kraft traten. Ein Viertel davon waren Christen. Oft würden, so der Anwalt weiter, Blasphemieanschuldigungen die
Aufmerksamkeit von Islamisten auf sich ziehen, die schnell zur Selbstjustiz greifen, wenn sie glauben, der Freispruch eines Verdächtigen sei nicht gerechtfertigt. Von den rund 162 Millionen
Einwohnern Pakistans sind rund zwei Prozent Christen und 96 Prozent Muslime.