19.07.2007
Deutschland: Ministerrat beschließt Maßnahmenkonzept zur Bekämpfung von Zwangsheirat
Ministerpräsident Günther H. Oettinger und Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll:
Deutschland: Ministerrat beschließt Maßnahmenkonzept zur Bekämpfung von Zwangsheirat
Ministerpräsident Günther H. Oettinger und Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll:
Zwangsheirat eklatanter Verstoß gegen Menschenrechte - Migrantinnen über
grundlegende Rechte informieren
19.06.2007 „Was in manchen Familien mit Migrationshintergrund als traditionelles und
religiöses Instrument zur Festigung familiärer Bindungen missverstanden wird, ist ein eklatanter
Verstoß gegen die Menschenrechte. Vor allem Mädchen und junge Frauen werden im Namen
einer zweifelhaften Ehre unterdrückt und zwangsweise verheiratet. Solche Angriffe auf die
Würde des Menschen dürfen wir nicht tolerieren. Ziel unseres Maßnahmenkonzepts ist es,
Migrantinnen davor besser zu schützen und sie durch verstärkte Prävention und Aufklärung
über ihre grundlegenden Rechte besonders im häuslichen Umfeld zu informieren", erklärten
Ministerpräsident Günther H. Oettinger und der Integrationsbeauftragte der Landesregierung,
Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll am Dienstag (19. Juni 2007) in Stuttgart.
Der Ministerrat hatte am Montag (18. Juni 2007) ein unter Federführung des Justizministers
erarbeitetes Handlungskonzept zur Bekämpfung der Zwangsheirat beschlossen. Damit werde die
bereits im Jahre 2004 mit einer baden-württembergischen Bundesratsinitiative aufgenommene
Bekämpfung der Zwangsheirat und die Bekämpfung von Verbrechen im Namen der Ehre
entschieden weitergeführt, unterstrichen Oettinger und Goll.
Unrechtsbewusstsein in den Familien schaffen
Die Landesregierung habe sich bereits erfolgreich dafür eingesetzt, im Bereich des
Ehegattennachzugs ein Mindestalter von 18 Jahren einzuführen sowie den Nachweis von
zumindest einfachen Deutschkenntnissen vor der Einreise zu verlangen, unterstrich der
Ministerpräsident. Mit dem nun beschlossenen Maßnahmenkonzept lege Baden-Württemberg
einen weiteren nachhaltigen Baustein zur Integration zugewanderter Menschen vor.
Traditionell-patriarchalische Verhaltensweisen müssten aufgebrochen und zurück gedrängt
werden. „Wenn es uns gelingt, ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein in den betroffenen
Familien zu schaffen, ist schon viel gewonnen."
Mehrsprachige Informationen und Beratung der Betroffenen
Weil Zwangsverheiratung für viele betroffene Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund
noch ein Tabu-Thema sei und sie oft nicht wüssten, welche Rechte ihnen zustünden und wem
sie sich anvertrauen könnten, stünden mehrsprachige Informationen im Mittelpunkt des
Maßnahmenkonzepts. „Wir wollen die betroffenen Personen durch geeignete
Beratungsangebote in die Lage versetzen, von ihrem Selbstbestimmungsrecht auch tatsächlich
Gebrauch zu machen. Zu wissen, dass bestimmte Traditionen aus dem familiären Umfeld mit
der Rechts- und Werteordnung unseres Landes nicht vereinbar sind, ist der erste Schritt, um sich
aus Zwängen und Gewaltbeziehungen zu lösen und den Partner frei zu wählen", hoben
Ministerpräsident Oettinger und Justizminister Goll hervor. Das Konzept sehe daher die
Erstellung von 200.000 mehrsprachigen Informationsbroschüren vor allem für Mädchen vor.
Parallel hierzu solle eine mehrsprachige Internetseite mit Informationen über Rechtslage,
Hilfsangebote und weitere Informationsquellen eingerichtet werden.
Aufklärungsarbeit muss in der Schule beginnen
Umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen seien auch im schulischen Bereich vorgesehen. „Die
Schule ist häufig der einzige Ort, an dem viele Migrantinnen und Migranten, die potentiell von
Zwangsheirat betroffen sind, erreicht werden können. Gezielte Aufklärungsarbeit muss deshalb
in den Schulen beginnen", forderten Oettinger und Goll. Bereits seit Ende 2006 sei eine
Themenbank „Zwangsheirat" auf dem Unterrichtsserver „SESAM" (Server für schulische Arbeit
mit Medien) eingerichtet, die weiter ausgebaut werde. Dort stehe den Lehrkräften
umfangreiches Unterrichtsmaterial zum Thema Zwangsheirat zur Verfügung. Zum Jahresbeginn
2008 sei ferner eine Fortbildungsreihe für Fachkräfte zum Thema Zwangsheirat geplant.
Außerdem würden der Landeselternbeirat, der Landesschulbeirat, der Landesschülerbeirat sowie
das Landeskuratorium für außerschulische Jugendbildung über das Thema Zwangsheirat
informiert und über die getroffenen Maßnahmen in den Ressorts unterrichtet werden. Die
Landesregierung werde zudem durch Rundschreiben an Schulämter, Schulleitungen und
Elternbeiräte auf entsprechende Maßnahmen bzw. Handlungsmöglichkeiten gegen Zwangsheirat
und „Ehrverbrechen" hinweisen.
Verhaltensleitfaden für Umgang mit Bedrohungssituationen
Das Maßnahmenkonzept beinhalte neben der Durchführung einer interdisziplinären
Zwangsheirat-Fachkonferenz der Landesregierung auch die Erstellung eines einheitlichen
Verhaltensleitfadens unter Federführung des Justizministers und Integrationsbeauftragten. Der
Leitfaden werde Kontaktadressen und gebotene Verhaltensweisen für den Umgang mit
konkreten Bedrohungssituationen liefern. Er richte sich an die Justiz-, Polizei- und
Ausländerbehörden, ebenso wie an Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher sowie
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sozial- und Jugendämtern, sagten Oettinger und Goll.
Dialog mit Migrantenorganisationen vertiefen
Die Landesregierung befinde sich zudem im regelmäßigen und auch intensiven Gespräch mit
Vertretern von Migrantenorganisationen, hob Goll hervor. Dabei stehe regelmäßig auch das
Thema Zwangsheirat auf der Tagesordnung. Aufbauend auf dem Modellprojekt „Transfer
Interkultureller Kompetenz" (TIK) und dem hieraus entstandenen Leitfaden „Polizei und
Moscheevereine" suche die Polizei Baden-Württemberg zum Beispiel gezielt den Dialog und
die Zusammenarbeit mit den örtlichen Moscheevereinen.
Gesetzentwurf baldmöglichst beschließen
Daneben habe Baden-Württemberg bereits im Jahre 2004 als erste Landesregierung einen
Gesetzesentwurf im Bundesrat eingebracht, wonach ein eigener Straftatbestand „Zwangsheirat"
ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll, unterstrichen Ministerpräsident Oettinger und
Justizminister Goll. Danach soll derjenige, der einen anderen mit Gewalt oder durch Drohungen
zur Ehe nötigt, künftig mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft
werden. Der Gesetzentwurf sei im Bundesrat bereits im Februar 2006 mehrheitlich beschlossen
worden und warte seitdem auf seinen Aufruf im Bundestag. „Warum man sich dort nicht mit
unserem Gesetzentwurf befassen will, ist nicht nachvollziehbar", sagten Oettinger und Goll.
Immerhin sei das Thema Zwangsheirat sogar in der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD
im Bund enthalten. „Wir fordern Bundestag und Bundesregierung auf, unseren Gesetzentwurf
zu unterstützen und baldmöglichst zu beschließen. Dazu gehört auch, die Möglichkeiten für
Änderungen des Aufenthaltsgesetzes zu prüfen."
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter www.justiz-bw.de, Stichwort:
Integrationsbeauftragter/Zwangsheirat. Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an den Leiter der
Stabsstelle des Integrationsbeauftragten der Landesregierung, Christian Storr, unter der
Rufnummer 0711/126-2990 oder unter der E-Mail-Adresse storr@integrationsbeauftragter.de .
Quelle: Staatsministerium