20.06.2007

Deutschland: auf dem Kirchentag Kontroverse zwischen Muslimen und Protestanten

K ö l n (idea) - 7.06.07– Führende Vertreter des Islam und der evangelischen Kirche haben sich
auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Köln teilweise heftig gestritten. Eines der
kontroversen Themen am 7. Juni war das im November veröffentlichte EKD-Papier „Klarheit
und gute Nachbarschaft“. Darin hatte die EKD deutlicher als früher die Unterschiede zum Islam
benannt und auch dafür plädiert, den christlichen Glauben gegenüber Muslimen zu bekennen.
Spitzenrepräsentanten muslimischer Verbände bekräftigten auf dem Kirchentag die Kritik an
dem Papier. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Ayyub Köhler (Köln) sagte, das
Papier verstärke das Misstrauen gegenüber den Muslimen in Deutschland „gerade in einer Zeit,
in der die Muslime an allen Fronten um ihre Religionsfreiheit ringen“. Er habe vom
Protestantismus mehr Verständnis erhofft. Köhler forderte dazu auf, einen „Religionsfrieden“
mit den Muslimen zu schließen. Der Beauftragte für den interreligiösen Dialog der
„Türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion“ (DITIB), Bekir Alboga (Köln),
bezeichnete das Verhältnis zwischen den islamischen Verbänden und der EKD als „noch nicht
entspannt“. Er habe den EKD-Ratsvorsitzenden, Bischof Wolfgang Huber (Berlin), gebeten,
durch öffentliche Äußerungen für Entspannung zu sorgen. „Ich habe dieses von ihm bis heute
noch nicht gehört“, so Alboga. Zahlreiche Besucher der Veranstaltung quittierten diese
Äußerung mit Pfiffen. Wie Alboga weiter sagte, sei es jedoch ein „gewaltiger Schritt in die
richtige Richtung“ gewesen, dass der Rat der EKD einer Einladung zu einem Gespräch am 30.
Mai in einer Mannheimer Moschee gefolgt sei. Ziel müsse es sein, die Spannungen gemeinsam
abzubauen.
Differenzierte Sicht der EKD zum Islam
Huber wies die Vorwürfe von Köhler und Alboga energisch zurück. Der Fortschritt bestehe
nicht darin, dass die EKD der Einladung nach Mannheim gefolgt sei, sondern darin, dass sie
überhaupt von den Muslimen eingeladen worden sei. In der EKD-Handreichung werde in
keinem einzigen Satz ein Generalverdacht gegenüber Muslimen erhoben. Das Papier enthalte
eine differenzierte Sicht des Islam. Huber betonte zugleich, dass sich die evangelischen Kirchen
„schon lange mit Beharrlichkeit“ für die Religionsfreiheit der Muslime in Deutschland
einsetzten, etwa für den muslimischen Religionsunterricht.
Bewundernswert: Witwe vergibt Mördern
Zugleich äußerte er sich besorgt über die Lage christlicher Minderheiten in zahlreichen
islamisch geprägten Ländern. Die Morde an drei Christen im türkischen Malatya, darunter an
dem Deutschen Tilmann Geske, zeigten, wie stark die Religionsfreiheit bedroht sei. Seine
Erschütterung über diese Tat verbinde sich mit Bewunderung für die Witwe Susanne Geske. Sie
hat den Mördern vergeben und lebt weiter mit ihren Kindern in Malatya.
Rolle der Frau: Huber widerspricht muslimischer Darstellung
Kontroverse Standpunkte wurden in der Diskussion auch hinsichtlich der Rolle der Frau
deutlich. Alboga und Köhler erklärten, Frauen und Männer hätten im Islam gleiche Rechte.
Köhler beklagte, dass Musliminnen, die in Deutschland ein Kopftuch tragen, von
Geschäftsleuten nicht im Publikumsverkehr eingesetzt werden. Huber widersprach der
Darstellung der beiden Islam-Vertreter. Nirgendwo sei ihm die unterschiedliche Behandlung der
Geschlechter so deutlich geworden wie „in der Männerdominanz in der Moschee“.
Grünen-Chefin: Islam in Deutschland einbürgern
Die Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, bezeichnete die Achtung der
Religionsfreiheit als Grundkriterium für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Sie
sprach sich ferner dafür aus, den Islam in Deutschland einzubürgern. Roth wandte sich dagegen,
Frauen zu diskreditieren, die einen Schleier oder ein Kopftuch tragen. Sie hätten selbst das
Recht zu entscheiden, wie sie sich kleideten. Allerdings dürfe es auch kein Diktat geben, sich
verschleiern zu müssen. Der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Ali Ertan
Toprak (Recklinghausen), rief Alboga und Köhler auf, sich auch in islamischen Ländern für die
Rechte der Frauen einzusetzen. Diese dürften in Saudi-Arabien nicht einmal Auto fahren.