08.05.2007
Türkei: Wenn Christen als Bedrohung angesehen werden
Pressemeldung anlässlich der Ermordung von drei Christen in Malatya<br />Von Christine Schirrmacher
Türkei: Wenn Christen als Bedrohung angesehen werden
Pressemeldung anlässlich der Ermordung von drei Christen in Malatya
Von Christine Schirrmacher
B O N N (19. April 2007) - In der Türkei gibt es unterschiedliche gesellschaftliche
Gruppierungen, die das Land in Spannung versetzen. Da ist die Europa zugewandte
städtisch-aufgeklärte Bildungselite, in der Frauen viele Entscheidungs- und
Bewegungsfreiheiten genießen, da ist das große Feld der Anhängerschaft eines traditionellen
Islam mit konservativ verteilten Rollen zwischen Mann und Frau und da ist der radikale
Nationalismus und religiöse Extremismus, der sich vehement und immer wieder gewalttätig
gegen jeden westlichen "christlichen" Einfluss in der Türkei wendet. Er erkennt in der
Werbung für den christlichen Glauben, ja in der Existenz von Christen auf türkischem Boden
eine unmittelbare Bedrohung und eine Unterminierung der Einheit der Nation und des
Türkentums.
Türkei: Weit entfernt von Religionsfreiheit
Noch immer ist die Türkei weit entfernt von dem, was hier im Westen Religionsfreiheit
genannt und selbstverständlich für alle religiösen Gruppierungen praktiziert wird. Christen
werden bei der Ausübung ihres Glaubens trotz teilweise anderslautender Gesetzeslage, die
sich im Zuge der EU-Beitrittshoffnungen grundsätzlich verbessert hat, auch heute viele Steine
in den Weg gelegt - wie etwa beim Erwerb von Grund und Boden oder bei der Ausbildung
ihres Priesternachwuchses. Christen werden widerrechtlich verhaftet, es kommt zu
Einschüchterungen und Störungen von Gottesdiensten. Aus berechtigten Gründen fragen sich
Christen in der Türkei immer wieder, ob sie von den Sicherheitskräften angesichts häufig
angedrohter Anschläge auf Gebäude und Menschenleben wirksam geschützt werden - bevor
es eben zum Schlimmsten kommt.
Wo Muslime zum Christentum konvertieren
Aber wo Druck und Unfreiheit regieren, beginnen Menschen, Fragen zu stellen. Manche
wenden sich trotz der gesellschaftlichen Nachteile und Drohungen vom Islam ab und
konvertieren zum Christentum. Die evangelisch geprägten Freikirchen in der Türkei sind die
einzigen Gemeinden, die nennenswert wachsen. Noch immer ist die Zahl dieser Christen mit
insgesamt rund 4.000 Menschen überaus gering, aber dass sie überhaupt existieren, nährt die
Gegenwehr und die Feindbilder radikaler Gruppen. Beredtes Zeugnis dafür sind die
Ermordung des katholischen Priesters Andrea Santoro in Trabzon im Jahr 2006 als
vermeintliche Vergeltungstat für die "Beleidigung" Muhammads durch einige Karikaturen in
Dänemark, die bisher unaufgeklärte dramatische Ermordung des armenischen Publizisten
Hrant Dink vor wenigen Monaten und jetzt die brutale Hinrichtung dreier evangelischer
Christen, die nichts anderes taten, als Bibeln zum Verkauf anzubieten.
"Aggressive Mission"
Unterbleiben sollte in der Berichterstattung über die Tat jede klischeehafte Interpretation.
Eine überregionale Zeitung in Deutschland stellte etwa per Ferndiagnose sofort fest, dass die
drei betroffenen Christen in der Türkei "aggressiv missioniert" hätten. Will die Zeitung damit
sagen, dass man die Attentäter doch irgendwie in ihrer Reaktion verstehen kann? ?Aggressiv
missionieren? wird in einem islamischen Land niemand, es sei denn, er will auf der Stelle
verhaftet oder ausgewiesen werden. Aber wenn Menschen Fragen stellen, über ihren eigenen
und den christlichen Glauben sprechen und eine Bibel besitzen möchten, dann gehört es zu
den grundlegenden Menschenrechten, ihnen das zu erlauben.
Die Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Christine Schirrmacher ist wissenschaftliche Leiterin des
Islaminstituts in Bonn und Autorin zahlreicher Bücher zum Thema Islam. Zuletzt erschienen:
"Islam und christlicher Glaube. Ein Vergleich" (Hännsler Verlag).