09.05.2007
Türkei: Der jüngste Christenmord zeigt - Massiv bedrohen Islamisten die Minderheiten
Gewalttaten sind kein Einzelfall - Wie viel Hass lauert da noch?<br />Von Till Stoldt
Türkei: Der jüngste Christenmord zeigt - Massiv bedrohen Islamisten die Minderheiten
Gewalttaten sind kein Einzelfall - Wie viel Hass lauert da noch?
Von Till Stoldt
WamS 22. April 2007, 00:00 Uhr Der zunehmende Christenhass in der Türkei rückt verstärkt ins Blickfeld deutscher Politiker und Kirchenleute. Zu regelmäßig werden inzwischen Gewalttaten und Attentate aus der Türkei gemeldet, als dass sie darüber noch hinweggehen wollten. Und tatsächlich verbirgt sich hinter dem jüngsten Christenmord mehr als ein Einzelfall. Am Mittwoch waren im anatolischen Malatya drei Christen, darunter ein Deutscher, von
national-religiösen Türken getötet worden. Der Mord ist exemplarisch für die immer heftigere Auseinandersetzung zwischen radikalen Muslimen und Nationalisten auf der einen sowie
religiösen Minderheiten und weltlichen Türken auf der anderen Seite. Diesen Konflikt belegt
eine Vielzahl antichristlicher und nationalistischer Gewalttaten, die sich in den vergangenen
Jahren zutrugen.
Bislang drangen jedoch nur wenige Fälle ins Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit vor.
Bekannt sind zwar die Morde an dem christlich-armenischen Journalisten Hrant Dink 2007
und an zwei Priestern 2005 und 2006 durch nationalistische Islamisten. Unbekannt ist
dagegen der Fakt, dass 2006 fast alle drei Wochen Christen in der Türkei von religiösen
Radikalen mit Waffen angegriffen wurden.
Die entsprechenden Berichte der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM),
der katholischen Hilfsorganisation Kirche in Not oder des Internationalen Instituts für
Religionsfreiheit in Bonn wurden bislang nur selten wahrgenommen. Anders ist kaum zu
erklären, warum Türkei-Kritiker wie CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sich oft verlassen
fühlen, wenn sie ein Klima der Aggression in der Türkei beklagen.
Tatsächlich werden dort die antichristlichen Exzesse von einem aggressiven Klima
begünstigt. Dieses schüren über alle sonstigen Unterschiede hinweg die islamischkonservative
Regierung, der weltliche Machtapparat in Verwaltung und Armee und so
manches Medium. So verkündet die Regierung immer neu, sie werde die rechtliche
Christendiskriminierung beibehalten, was viele Medien als Akt nationaler Selbstbehauptung
feiern. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der türkische Außenminister Abdullah
Gül den Mord "aufs Schärfste" verurteilte. Mehr Sorgen als das Schicksal der Christen
bereitete ihm das "beschädigte Ansehen" der Türkei im Ausland.
Türkische Politiker bekräftigen vor allem, dass Kirchen keinen Rechtsstatus erhalten dürften.
Deswegen können sie keine Verträge abschließen und kein Eigentum kaufen oder verkaufen.
Ausgerechnet während des Papstbesuches im November blockierte der gemäßigte
Staatspräsident Ahmet Sezer ein Gesetz, das es Kirchen erleichtern sollte, enteignetes
Eigentum zurückzukaufen. Und die im Ausland auf ein liberales Image bedachte staatliche
Religionsbehörde Diyanet verstieg sich zu der Warnung, christliche Mission gefährde die
"Existenz der türkischen Nation".
Dennoch wächst unter den bislang diskriminierten Glaubensgemeinschaften der Mut, für
Religionsfreiheit zu kämpfen. Dies gilt vor allem für die lange unterdrückten Aleviten, etwa
20 Prozent der über 70 Millionen Türken, aber auch für die geschätzten 100 000 Christen im
Land. Unter ihnen sind es vorrangig kleine evangelische Freikirchen, die es wagen, Bibeln zu
verschenken.
Im gegenwärtigen Klima wird schon dies von vielen Muslimen als Provokation empfunden.
Die religiösen Minderheiten hoffen dagegen auf die erzieherische Kraft der
EU-Beitrittsverhandlungen. So protestierten rund 300 000 Türken vor knapp zwei Wochen
dagegen, dass der streng islamische Premierminister Tayyip Erdogan zur Wahl um das
Präsidentenamt antritt - weil dann die vollständige Islamisierung der Republik drohe. Und
schon nach der Ermordung Hrant Dinks riefen 100 000 Demonstranten: "Wir alle sind
Armenier." Nach dem Mord an den Christen waren es zwar nur einige Hundert Menschen, die
"Wir alle sind Christen" skandierten. Das waren gleichwohl deutlich mehr als je zuvor.
URL: www.welt.de/wams_print/article826165/Wie_viel_Hass_lauert_da_noch.html