20.05.2007

Irak: Entführter Priester spricht über die Zeit seiner Geiselhaft

von Peter Lamprecht (Compass Direct)

Irak: Entführter Priester spricht über die Zeit seiner Geiselhaft

von Peter Lamprecht (Compass Direct)

ANKAWA, Irak, 05. Mai 2007 - Es war seltsam: Der irakische Priester Douglas Yusuf Al-Bazy
begrüßte mich fröhlich. Er lachte und machte Witze bevor er begann, Einzelheiten seiner
Entführung und Folterung zu erzählen. „Ich habe keine Angst mehr", sagte der chaldäische
Priester. „Wenn du dem Tod ins Gesicht geblickt hast, hast du danach keine Angst mehr vor
dem Tod."
Als ich im St.-Petrus-Seminar in der nordirakischen Stadt Ankawa eintraf, war ich mir nicht
sicher, ob hinter den Entführungen von Christen ein anti-christliches Motiv liegt oder ob
Christen lediglich die Opfer von Banden wurden, die, um sich zu bereichern, jeden ins Visier
nehmen, der nach Wohlstand aussieht. In ganz Irak sind die Erzählungen über
Zwangsislamisierung, Verschleppung von Christen und Kirchenzerstörung bekannt, doch
Augenzeugenberichte zu erhalten erwies sich als fast unmöglich. Das theologische Seminar und
das von der Kirche betriebene College mussten im Dezember 2006 nach der dritten Entführung
eines Mitarbeiters in fünf Monaten von Bagdad nach Ankawa bei Erbil verlegt werden.
Vielleicht waren die zwischen Juli und Dezember 2006 insgesamt fünf verschleppten
Geistlichen aber nur Opfer von Banden, denen es völlig gleich ist, ob ihre Gefangenen Sunniten,
Schiiten oder Christen sind. Die Opfer wurden nach Zahlung von Lösegeld wieder freigelassen
und noch viele andere Iraker wurden und werden verschleppt. Nun hoffte ich, der chaldäische
Priester vor mir würde mir einige Hinweise auf die Motive der Entführer liefern.
Al-Bazy erzählte, wie ihn seine Entführer am 19. November 2005 nach der Sonntagsmesse im
Kofferraum ihres Wagens bis Einbruch der Dunkelheit umhergefahren haben. Dann brachten sie
ihn in ein Haus, wo sie das „Koran-Fernsehen“ laut aufdrehten, so dass die Nachbarn ihn nicht
hören konnten, sondern glauben sollten, eine gute muslimische Familie würde im Haus wohnen.
Der Priester verzog das Gesicht. Plastische Chirurgen hatten in Italien an seinem Gesicht wahre
Wunder vollbracht. Seine Entführer hätten ihm die Zähne ausgeschlagen, seinen Schnurrbart mit
Zigarettenstummeln abgebrannt und mit Pinzetten wurden seine sensibelsten Körperteile
bearbeitet. „Der schlimmste Tag war der sechste", sagte Al-Bazy. „Da schlugen sie mit einem
Hammer auf meinen ganzen Körper ein. Mehr als hundertmal setzten sie mir eine ungeladene
Pistole an den Kopf und drückten ab. Meine Seele starb wieder und wieder." Da habe er sie
endlich gebeten, ihn umzubringen, und den Erstaunten erklärt: „Für euch ist der Tod vielleicht
das Ende, aber für uns ist der Tod nur der Anfang." Der Geistliche sagte, sein Glaube an Gott
habe ihn geistig stark gehalten. Auch das Beten des Rosenkranzes habe in dieser schlimmen
Lage eine neue Bedeutung für ihn erlangt. Am schlimmsten sei der Mangel an Essen und
Wasser gewesen, berichtete Al-Bazy. Er habe Halluzinationen von Freunden und Angehörigen
gehabt, die ihm Wasser brachten.
Entführung auf Bestellung
Als die Entführer ihn schließlich nach seiner Vorstellung von der Gruppe fragten, der sie
angehörten, wusste er, dass sein Leben am seidenen Faden hängen könnte, und antwortete
vorsichtig. Unter anderen Umständen seien sie sicher Lehrer, Ärzte und Anwälte, sagte er.
„Aber weil die Zeiten so schlecht sind, seid ihr gezwungen gewesen, im Widerstand zu
arbeiten", habe er gesagt und damit eine Flut von Emotionen ausgelöst. Während er mit auf den
Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen dagesessen habe, hätten sie ihm von ihren
Leiden erzählt und wie sie gezwungen waren, als Entführer zu arbeiten. Jemand ´von weiter
oben´ würde ihnen immer den Namen und ein Kopfgeld für eine zu entführende Person nennen
und sie nach Lieferung bezahlen. „Man bezahlt uns, man gibt uns Häuser, Polizeiwagen,
Krankenwagen und Walkie-Talkies", habe ein Entführer gesagt.
Wie Al-Bazy erfuhr, ist Geld nicht das Wichtigste bei einer Entführung. Ihn zu verschleppen sei
der einfachste Weg gewesen, auf die mehreren hundert Familien seines Bagdader Pfarrbezirks
abzuzielen. Christen würden auch ins Visier genommen, weil sie gebildet, im Allgemeinen
finanziell gut gestellt und ungeschützt sind, da sie keine eigene Miliz haben. Außerdem würden
Christen und ihre Überzeugungen als Bedrohung gesehen. Im Bezirk Dora von Bagdad sind seit
August sieben Kirchen komplett geschlossen worden oder es findet nur einmal im Monat ein
Gottesdienst statt. Hier kam es zu den heftigsten Kämpfen zwischen US-Streitkräften,
irakischen Polizisten und militanten Sunniten. In den letzten Wochen haben islamistische
Gruppen christliche Familien bedroht und sie von ihren Wohnorten vertrieben. Der Dekan des
Seminars, der regelmäßig nach Bagdad reist, hofft aber, dabei helfen zu können, dass christliche
Familien in Bagdad bleiben, auch wenn sie von gefährlicheren Gegenden in friedlichere
umziehen müssen. „Wir sind die einzigen, die von Versöhnung reden können, weil uns von Gott
Versöhnung geschenkt worden ist."