11.12.2008
Irak: Religiöse Verfolgung - Christen erleben im Irak die Hölle auf Erden
Von Stephan Köhnlein
11. Dezember 2008, 09:42 Uhr (Welt Online) - Verfolgung, Enteignungen und Entführungen: Seit Monaten beklagen die Kirchen die dramatische Lage von Christen im Irak. Doch in der EU herrscht Uneinigkeit über die Verteilung der Flüchtlinge. Bei ihrer Konferenz in Potsdam könnten die Innenminister der Länder sich auf eine Aufnahmequote für Deutschland einigen.
Wegen ihres Glaubens werden sie enteignet, entführt, gefoltert und getötet. Zu Hunderttausenden fliehen die Christen deswegen aus dem Irak. Seit Monaten dringen die Kirchen in Deutschland auf die Aufnahme der Flüchtlinge. Doch die Politiker schieben die Verantwortung zwischen Brüssel und Berlin hin und her. Bei der Innenministerkonferenz in Potsdam könnte nun ein wichtiger Schritt nach vorne getan werden.
Für internationales Aufsehen sorgte im Februar der Fall des Erzbischofs von Mossul, Paulos Faraj Rahho. Er wurde nach einer Andacht verschleppt, sein Fahrer und zwei Begleiter auf der Stelle erschossen.
Die Entführer des Bischofs forderten Lösegeld, erst eine, später drei Millionen US-Dollar. Außerdem – so ihre Forderung – sollten die Christen sich am Kampf gegen die amerikanischen Truppen beteiligen. Alle Verhandlungen blieben erfolglos. Zwei Wochen später wurde der Leichnam des Geistlichen gefunden.
Rahho war Oberhaupt der chaldäischen Katholiken, der größten Gemeinschaft innerhalb der christlichen Minderheit im Irak. Im Mai wurde ein mutmaßlicher Al-Kaida-Führer wegen der Beteiligung an der Entführung und Ermordung des Geistlichen zum Tode verurteilt.
Doch die Situation der Christen hat sich seitdem nicht gebessert. In den Kirchen explodieren weiter Bomben, Geistliche werden auf offener Straße ermordet. Christen, die im Irak bleiben wollen, müssen oft horrende Schutzgelder zahlen oder eine Tochter mit einem Muslim verheiraten.
Dabei ist das Gebiet des heutigen Irak ursprünglich ein Land der Bibel, insbesondere des Alten Testaments. Das Paradies der Schöpfungsgeschichte und die Sintflut werden in einem Teil Mesopotamiens angesiedelt. Die Sippe Abrahams stammt aus der Gegend von Ur – im Süden des Landes. Schon im Frühchristentum breitete sich das Christentum rasch über den Nahen Osten aus, wo eine große Zahl von Bischofstädten gegründet wurde – auch auf dem Gebiet des heutigen Iraks.
Bereits unter der Herrschaft von Saddam Hussein mussten Christen ihren Teil an Not und Leid ertragen. Nach dem Sturz Saddams gab es bei vielen zunächst Hoffnung auf Besserung. Doch diese Hoffnung wurde schnell enttäuscht.
„Hatte es zunächst noch so ausgesehen, als hätten die Christen in dem ausgebrochenen Chaos von Krieg und Bürgerkrieg einfach nur das Schicksal aller Iraker zu teilen, stellte sich dann heraus, dass gerade die Christen sich zur Zielscheibe fundamentalistischer Fanatiker entwickelten", berichtet das Hilfswerk Kirche in Not.
Die Christen seien mehr als alle anderen ethnischen oder religiösen Gruppen Opfer von Gewalt und beispielloser Brutalität geworden. Auch der neue Staat gewähre ihnen nur sehr unzureichend Schutz.
In seiner Dokumentation „Christen in großer Bedrängnis" hat das Hilfswerk eine Reihe von erschütternden Fällen zusammengestellt, die das Ausmaß und die Grausamkeit der Übergriffe auf Christen im Irak zumindest ansatzweise deutlich machen.
„Die Christen im Westen glauben nicht mehr an die Hölle", wird Weihbischof Schlemon Warduni aus Bagdad in der Dokumentation zitiert: „Sie sollten einmal hierher kommen – dann würden sie ihre Meinung schnell ändern. Hier finden sie die Hölle auf Erden."
Die Kirchen machen seit Monaten immer wieder nachdrücklich auf das Leid der irakischen Christen aufmerksam und fordern die Politik zum Handeln auf. Seit Kriegsbeginn im März 2003 soll etwa die Hälfte der 1,5 Millionen Christen den Irak verlassen haben. „Oft bleibt ihnen nur die Wahl zwischen Tod und Flucht", erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber.
Evangelische wie katholische Kirche werfen der Politik vor, die Entscheidung über die Aufnahme der Flüchtlinge zu verschleppen. Die Hilfe werde unnötig „auf die lange Bank geschoben", kritisierte kürzlich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. Es gebe „eine ganze Reihe von Flüchtlingen aus dem heutigen Irak, die in Jordanien, in Syrien oder im Libanon leben. Die haben keine Chance, in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückzukehren", sagte er.
Auch die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl warf Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vor, eine Hinhaltetaktik zu verfolgen.
Bei der Innenministerkonferenz, die bis Freitag in Potsdam tagt, könnte nun immerhin eine Entscheidung über mögliche Aufnahmequoten fallen. Es wird erwartet, dass allein Deutschland bis zu 5.000 Iraker aufnehmen könnte.
Bundesinnenminister Schäuble soll seine Länderkollegen über die Erkenntnisse einer EU-Delegation und des Flüchtlingshilfswerks UNHCR unterrichten, die Flüchtlingslager in den Nachbarländern des Iraks besuchen hat. Auf dieser Grundlage könnten die Landesinnenminister dann über Aufnahmequoten entscheiden. Eine gesamteuropäische Initiative könnte dann beim nächsten EU-Innenministertreffen am 27. und 28. November beschlossen werden.
Mit AP
http://www.welt.de/politik/article2747773/Christen-erleben-im-Irak-die-Hoelle-auf-Erden.html