11.05.2008

Türkei: Religionsdialog am Bosporus

Außenministerin Plassnik traf bei ihrem Türkei-Besuch mit Patriarch Bartholomaios und dem Großmufti zusammen Von Margaretha Kopeinig

Türkei: Religionsdialog am Bosporus

Außenministerin Plassnik traf bei ihrem Türkei-Besuch mit Patriarch Bartholomaios und dem Großmufti zusammen

Von Margaretha Kopeinig

 

Istanbul/Türkei, 22.04.2008 (Kurier) Sie sind ein Brückenkopf, unsere Botschafter in der Türkei." Dieses Kompliment machte Außenministerin Ursula Plassnik den Schülern und Lehrern des österreichischen St. Georgs-Kolleg in Istanbul, einer Schule, die bereits seit 1882 besteht. Als Geschenk an die Schüler gab es Fußbälle und T-Shirts. Am zweiten Tag ihrer offiziellen Türkei-Reise besuchte Plassnik am Dienstag die Stadt am Bosporus und traf hier die religiösen Würdenträger, Patriarch Bartholomaios I. und den Großmufti von Istanbul, Mustafa Cagrici. Mit beiden besprach sie die Frage der Religionsfreiheit und die Rechte religiöser Minderheiten in der Türkei. Die Durchsetzung und Einhaltung dieser Rechte sei unabdingbar für einen möglichen Beitritt zur EU. Gegenüber dem Großmufti formulierte Plassnik drei Botschaften: "Die Verantwortung für die Trennung von Religion und Tradition, die Ermutigung, dass die religiöse Mehrheit auf Minderheiten zugeht, und die Einhaltung der Gleichberechtigung von Mann und Frau." Der Großmufti ließ aber keinen Zweifel daran, dass er seine religiöse Aufgabe darin sehe, jede muslimische Frau zum Tragen des Kopftuches zu motivieren.

Kopftuch und Demokratie

Damit signalisierte er Unterstützung für die Vorsitzende der regierenden konservativislamischen AKP, Fatma Sahin. Sie verteidigt die Aufhebung des Kopftuchverbots an Universitäten und kann sich sogar noch mehr vorstellen. "Meine persönliche Meinung kann ich jetzt nicht sagen." Es bleibt aber kein Geheimnis, dass sie den Plan verfolgt, Frauen in allen Gesellschaftsbereichen zu ermöglichen, ihr Haar zu bedecken. "Ich will das, was bei euch auch möglich ist. Wenn die Türkei einmal frei und demokratisch ist, wird das alles möglich sein", sagt die Chemikerin gegenüber österreichischen Journalisten. Sie selbst trägt kein Kopftuch, sondern schwarze High Heels und einen engen Rock. "Meine Schwester bevorzugt die Kopfbedeckung. Das ist Ausdruck ihres Lebensstils." Dass das Kopftuch bei vielen Frauen mittlerweile als politisches Statement verwendet wird, lässt sie nicht gelten: "Das wird nur in den Medien so gesehen. Bei uns ist es Ausdruck von Individualität." Für die moderne türkische Frau wünscht sie sich mehr Job-Möglichkeiten und Arbeitsplätze. Wie das mit dem Wunsch von AKP-Chef und Premier Erdogan, jede türkische Frau solle drei Kinder bekommen, vereinbar sei, darauf konnte sie keine Antwort geben. Von vielen wird Erdogans Anliegen kritisiert, weil dadurch Frauen für längere Zeit vom Berufsleben ausgeschlossen werden.

"Sozialdemokratische Politik"

Mit einer Aussage lässt Fatma Sahin aufhorchen: Sie will, dass die AKP sich der Partei der Europäischen Sozialdemokraten anschließt und nicht – wie derzeit – einen Beobachterstatus bei der Europäischen Volkspartei hat. Grund: "Wir definieren uns als konservativ, machen aber eigentlich eine sozialdemokratische Politik."

Quelle: KURIER, Wien, Ausgabe vom 22.04.2008