30.12.2009

Türkei: Istanbul Europäische Kulturhauptstadt 2010 trotz Menschenrechtsverletzungen

IGFM kritisiert Vergabe des Ehrentitels trotz Einschränkung der Religionsfreiheit

Türkei: Istanbul Europäische Kulturhauptstadt 2010 trotz Menschenrechtsverletzungen

IGFM kritisiert Vergabe des Ehrentitels trotz Einschränkung der Religionsfreiheit

Istanbul - Frankfurt am Main (30. Dezember 2009) – Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) appelliert zum Jahreswechsel an den Bürgermeister der türkischen Metropole Istanbul, die ein Jahr den Ehrentitel „Europäische Kulturhauptstadt 2010“ tragen darf, die in seinem Einflussbereich vorkommenden Eingriffe in die Religionsfreiheit christlicher Kirchen zu beenden und damit ein Zeichen für den Willen der Türkei zu setzen, sich peu à peu den europäischen Standards in Bezug auf Religionsfreiheit annähern zu wollen. Gleichzeitig wirft die Menschenrechtsorganisation den Juroren vor, den Ehrentitel vorschnell und ohne Vorbedingungen verliehen zu haben. Nach Meinung der Menschenrechtsorganisation hätten die Juroren nicht übersehen dürfen, dass die Religionsfreiheit in der sich multikulturell und multireligiös gebenden Stadt nicht gewährleistet sei und gegen die Türkei verhängte Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs auf Rückgabe enteigneten Eigentums der griechisch-orthodoxen Kirche in Istanbul nicht oder nicht wertgerecht umgesetzt worden seien. Die IGFM appellierte an den Bürgermeister der Metropole, das 1971 geschlossene griechisch-orthodoxe Priesterseminar auf der Insel Heybali zu besuchen und die mehrfach von Regierungsvertretern angekündigte Wiedereröffnung zu verwirklichen.

In Istanbul gibt es rund 150 Kirchen, es gibt ein lebendiges christliches Gemeindeleben. Jedoch wird ihre kulturelle und rechtliche Existenz in einem Ausmaß unterdrückt und beschnitten, wie man es von einer Weltstadt mit Niveau nicht erwarten darf. Weil Kirchen und christliche Gemeinden keine eigene Rechtspersönlichkeit haben, muss das Vermögen über Stiftungen verwaltet werden. Allein in Istanbul muss der Immobilienbesitz der griechisch-orthoxen Kirche von 58 Stiftungen verwaltet werden; für die nur noch 3.000 in Istanbul verbliebenen Griechen müssen 420 Personen als Stiftungsräte fungieren. Bisher lehnen die Behörden eine Umorganisation ab. Spekulation auf kostenfreien Erhalt der Immobilien im Erbfall wäre eine andere Form des Diebstahls und zutiefst unmoralisch, so die Wertung der IGFM.

Für den Annäherungsprozess zwischen der Türkei und Armenien wäre es eine große Geste, wenn auch ihr theologisches Seminar wiedereröffnet würde. Die Schließung des theologischen Seminars der Armenier in Istanbul im Jahr 1969 bringe die armenische Kirche in Schwierigkeiten, Nachwuchs für fehlende Priester und Religionspädagogen zu finden. Wer jedoch in der Türkei als Priester seiner Gemeinde tätig werden wolle, müsse Türke sein – und dennoch habe man die Priesterseminare schließen lassen. Damit sei die Existenz der gesamten Gemeinde gefährdet. Armenische Schulen und Schüler in Istanbul sähen sich Drohungen und Angriffen ausgesetzt.

Der Bürgermeister müsse sich über den Stand der Ermittlungen gegen diejenigen öffentlich äußern, die im August 2009 die Häuser armenischer und griechisch-orthodoxer Christen in den Istanbuler Stadtvierteln Ferikoy und Kurtulus mit grünen und roten Schildern etikettiert hatten. Viele Christen hätten sich an die die Vorgänge vor dem Pogrom an Christen 1955 erinnert.

Die IGFM, die die Lage der Christen seit mehr als zwei Jahrzehnten mehrfach vor Ort untersucht hat, könne die am 20. Dezember vom CBS ausgestrahlte Äußerung des in Istanbul ansässigen griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomaios I zu einem Gefühl des „Gekreuzigt-Seins“ nachempfinden. Der türkische Staat verweigert Bartholomaios trotz gegenteiliger Ankündigungen den Titel eines „Ökumenischen Patriarchen“ in seiner Funktion als Ehrenoberhaupt aller orthodoxen Christen. Der in Istanbul residierende armenisch-orthodoxe Patriarch Mesrob II habe Anfang 2008 wegen konkreter Morddrohungen Anzeige erstattet.

„Ökumenischer Tag der verfolgten Christen“ gerade 2010 angebracht

In Zusammenhang mit dem jetzt von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für 2010 angekündigten „Tag des bedrohten Christentums“ sollte es 2010 unter den christlichen Konfessionen in Deutschland zu einem gemeinsam datierten Erinnerungstag kommen. Auch der große „Ökumenische Kirchentag“ Mai 2010 in München plädiere für eine breite Gemeinsamkeit der Konfessionen. Die IGFM werde sich – auch im Hinblick auf die Lage der Christen in der Türkei – auf dem Kirchentag für die Einrichtung eines „Ökumenischen Tages der verfolgten Christen“ einsetzen. Geeignet sei beispielsweise der Stephanustag am 26. Dezember, der bereits von der katholischen Kirche Deutschlands und der württembergischen Landeskirche in diesem Sinne begangen werde.