06.01.2009
China: Religiöses Tauwetter?
Funktionäre verhandeln mit Leitern von Untergrundgemeinden
P e k i n g (idea) - 6.01.09– Können Untergrundkirchen in der Volksrepublik China auf staatliches Entgegenkommen hoffen? Von Geheimgesprächen kommunistischer Funktionäre mit Vertretern staatlich nicht anerkannter protestantischer Hauskirchen berichtet die China-Korrespondentin der britischen Zeitung Times, Jane Macartney, aus Peking. Erstmals hätten sich beide Seiten nicht als Feinde, sondern als Verhandlungspartner gegenübergesessen.
Die Annäherung stehe unter anderem im Zusammenhang mit dem 60-jährigen Jubiläum der Staatsgründung Chinas in diesem Jahr; die Machthaber wollten dafür sorgen, dass die Feiern möglichst ohne Missklänge verlaufen. Nach 1949 mussten alle ausländischen Missionare das Land verlassen. Während der maoistischen Kulturrevolution von 1966 bis 1976 sollte jegliche Religion ausgemerzt werden. Dabei kamen vermutlich mehr als 20 Millionen Menschen um, darunter etwa 34.000 Christen. Noch 1979 konnte der Besitz einer Bibel zur Verhaftung führen. Danach aber blühte das religiöse Leben auf.
Doppelt so viele Christen wie KP-Mitglieder?
Heute gibt die Gesamtzahl der Christen Rätsel auf. Der Times zufolge gehen Funktionäre in privaten Schätzungen von 130 Millionen aus; das wären mehr als doppelt so viele wie die 74 Millionen Mitglieder der Kommunistischen Partei. Viel niedrigere Zahlen nennt die deutsch-amerikanische Organisation „China Partner“ (Boca Raton/US-Bundesstaat Florida), die vor allem mit staatlich anerkannten Kirchen zusammenarbeitet. Aufgrund einer landesweiten Umfrage rechnet sie mit rund 40 Millionen Protestanten. Unbestritten ist, dass sich die meisten Christen in nicht registrierten Gemeinden versammeln, weil sie eine Kontrolle durch das Regime ablehnen. Die anerkannten protestantischen Dachorganisationen – die Drei-Selbst-Bewegung und der Chinesische Christenrat - repräsentieren 18 Millionen Mitglieder. Von den etwa 20 Millionen Katholiken gehören rund sechs Millionen regimetreuen Kirchen an. Nach Schätzungen leben in der Volksrepublik ferner rund 100 Millionen Buddhisten, 30 Millionen Taoisten und 25 Millionen Muslime.
Christen bilden keine Opposition
Nach Angaben der Times ist das Wachstum der Christengemeinden ein Hauptgrund für die staatliche Annäherung. Das Entwicklungs- und Forschungszentrums des Staatsrats habe ein Treffen mit einem Dutzend Akademikern arrangiert, die sich in Hausgemeinden engagieren. Zu einem weiteren Gespräch seien sechs protestantische Hauskirchenleiter gebeten worden. Pastor Ezra Jin, Gründer der Zion-Gemeinde, sei von der Einladung angesichts der gewachsenen religiösen Offenheit nicht überrascht gewesen. Mehrere Hundert Mitglieder von Jins nicht anerkannter Gemeinde versammeln sich sonntags in einem Bürogebäude. Kleinere christliche Zirkel kommen in Privaträumen zusammen. Wie Jin der Times sagte, habe die Regierung offenbar eingesehen, dass die Protestanten keine Opposition bilden, sondern zur inneren Stabilität und Harmonie beitragen. Die Funktionäre hätten unter anderem erfahren wollen, warum sich die Untergrundgemeinden gegen eine staatliche Registrierung sträuben und weshalb sie die Führung der Drei-Selbst-Bewegung und des Christenrats nicht akzeptieren.
Peking baut Kirchen wieder auf
Mitte Januar hatte die offizielle Zeitung China Daily berichtet, dass die Stadt Peking zwölf Kirchen, Moscheen und buddhistische Tempel für umgerechnet 1,35 Millionen Euro wiederaufbauen oder restaurieren wolle. Damit solle der wachsenden Zahl von Gläubigen der Zugang zu religiösen Stätten erleichtert werden, so das englischsprachige Blatt. Dabei handelt es sich um Versammlungsstätten der staatlich anerkannten Religionen – Taoismus, Buddhismus, Islam, Katholizismus und Protestantismus.