15.11.2009

EU-Urteil: Das Kreuz ist das Logo Europas

12 Thesen zum Kreuz in öffentlichen Räumen von Martin Kugler

EU-Urteil: Das Kreuz ist das Logo Europas

12 Thesen zum Kreuz in öffentlichen Räumen

von Martin Kugler

 

I    Das Recht auf Religionsfreiheit kann nur seine Ausübung bedeuten – nicht die Freiheit      von Konfrontation.

II   Sinn der Religionsfreiheit ist es nicht, eine Gesellschaft zu schaffen, die religionsfrei ist.

III  Kreuze zu demontieren ist eine Verletzung auf derselben Ebene, wie es das Anbringen      des Kreuzes für die Atheisten ist. Die leere weiße Wand ist auch eine ideologische      Aussage – vor allem dann, wenn sie vorher jahrhundertlang nicht leer war. Ein      „wertneutraler" Staat ist eine Fiktion, die oft propagandistisch benützt wird.

IV   Ein angebliches Recht, nicht mit religiösen Inhalten konfrontiert zu werden, kann also      nicht stärker sein als das Recht zur freien Religionsausübung.

V    Die Staaten, welche Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben,      verstanden unter dem „Recht auf Religionsfreiheit" mit Sicherheit nicht eine „Freiheit von      Religion".

VI   Juristen sprechen von der „slippery slope" (Achtung Glatteis!): Wehret den Anfängen!      Heute sind von dem Bildersturm Institutionen betroffen, morgen das Halsketterl      außerhalb meiner Wohnung!

VII  Statt religiöse Intoleranz zu bekämpfen, wird die Religion in Form ihrer Symbole      bekämpft.

VIII Man kann nicht politische Probleme bekämpfen, indem man die Religion bekämpft .

IX   Antireligiöser Fundamentalismus macht sich zum Komplizen religiöser Fundamentalismen      indem er sie durch Intoleranz provoziert.

X    Das Christentum drängt seiner Natur gemäß nach außen – es kann sich niemals als      Privatsache abtun oder ins Ghetto sperren lassen!

XI   Die betroffene Bevölkerung möchte mehrheitlich die Kreuze behalten! Es ist auch      demokratiepolitisch problematisch, Einzelinteressen so eklatant den Vorrang      einzuräumen.

XII  Das Kreuz ist das Logo Europas. Es ist ein religiöses Symbol, aber doch wesentlich mehr  als das.

Als der Wiener Kardinal König 1960 nach seinem schweren Autounfall im damaligen Jugoslawien aus dem Koma erwachte, sah er an der Wand des Spitalzimmers ein Bild Titos. Für den jungen Erzbischof war dieses Erlebnis der Anfang eines inneren Prozesses, der ihn zu einer besonderen Solidarität mit den Christen der kommunistischen Länder führte. Für uns kann das Bild dieser Situation eine Hilfe sein, mit einem Missverständnis aufzuräumen, mit dem heute in Europa Politik gemacht wird. Es handelt sich um den Irrglauben, echte Religionsfreiheit sei dann gegeben, wenn eine Gesellschaft frei von Religion ist, oder – etwas diplomatischer formuliert: Laizismus ist die adäquate Weise, in der der Staat seine Neutralität ausdrückt. Dieses Missverständnis, das zur Zeit durch ein Gerichtsurteil des EGMR propagiert wird, be ruht auf zwei Annahmen, die in einem vernünftigen, frei von Vorurteilen geführten Diskurs leicht widerlegt werden könnten.

Erstens: die Rede vom wertneutralen Staat. Sie ist schlicht naiv und Ergebnis einer Illusion.

Zweitens: die Annahme, eine Öffentlichkeit ohne jede Präsenz religiösen Lebens oder religiöser Symbole wäre eine „tolerantere" oder der Gewissensfreiheit angemessener als ein „Public Square" der Äußerungen religiösen Glaubens zulässt oder sogar fördert.

Über die erste der beiden Voraussetzungen unseres Missverständnisses darf man eigentlich lachen: wertneutraler Staat? Gegenüber Steuerhinterziehung und Korruption? Gegenüber Fremdenhass und Diskriminierung? Gegenüber Umweltsünden und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz? Ein Staat, der Neonazis verbietet, Pornographie erlaubt, bestimmte Formen der Entwicklungshilfe steuerlich begünstigt und andere nicht… alles aufgrund neutraler Werte?

Da will uns doch jemand für dumm verkaufen. Schon Goethe wetterte gegen den Unsinn, von „liberalen Ideen" zu reden. Ideen sollen womöglich gut oder richtig sein, liberal soll unsere Haltung gegenüber Menschen mit anderen Ideen sein. Die Rede vom wertneutralen Staat kann ich als Historiker nur so interpretieren: Sie ist eine etwas verspätete Überreaktion europäischer Intellektueller gegen das Bündnis von Thron und Altar vergangener Zeiten.

Die zweite Annahme muss man hingegen ernster nehmen: Der große jüdische Rechtsgelehrte Joseph Weiler meinte angesichts der Debatte über den Gottesbezug in der Europäischen Verfassung: Er als Angehöriger einer religiösen Minderheit fühle sich in einer Gesellschaft besser aufgehoben, die ihre religiösen Symbole respektiert, als in einer laizistischen, die selbst missionarisch gegen jede Glaubensäußerung vorgeht und zudem ihre Wurzel verleugnet. Man könnte noch hinzufügen: Auch die Demontage der Kreuze in einem öffentlichen Spital und die verbleibenden weißen Wände sind ein Zeichen, bergen eine Symbolik und senden Signale an einen sterbenden Patienten, der zu ihnen hinaufblickt.

Natürlich könnte sich die atheistische Mutter eines Schuldkindes durch das Kreuz im Klassenzimmer belästigt fühlen. Doch das ist unvermeidbar. Auch ich fühle mich belästigt, wenn ich beim Betreten jedes österreichischen Postamts ein Foto des Bundespräsidenten erblicke, den ich nicht gewählt habe. Oder wenn ich am Weg zum Kindergarten meiner Tochter die von mir mitfinanzierten Plakate der Gemeinde Wien betrachten muss. Beeinflussung, ideologische Signale, visuelle Präsenz, übrigens auch sexistische, wird es immer und überall geben. Die Frage ist nur, in welcher Form und mit welchem Inhalt. Und da soll sich der Staat nur sehr maßvoll einmischen. Und wenn, dann nicht durch Verbote, die die Religion ins Ghetto einsperren. Das Kreuz ist heute weniger denn je ein Zeichen des Zwanges, sondern eines der Identit&a uml;t und des Zusammenhalts Europas. Und deshalb hat es nicht nur Kardinal König im jugoslawischen Spitalszimmer gefehlt. Es würde auch mir und meinen kirchenfernen Freunden fehlen: Auf den Berggipfeln der Schweizer Alpen, den Kirchen Burgunds und den Rettungswagen des Roten Kreuzes. Das Kreuz ist für den Christen Anspruch und Geheimnis. Aber für Europa ist es das erfolgreichste und beste Logo aller Zeiten. Es soll sichtbar bleiben.

(Tageszeitung Die Presse, 6.11.09)

Dr. Martin Kugler studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Kommunikation und leitet die Agentur Kairos Consulting in Wien (www.kairos-pr.com).

Weiterführende Gedanken finden Sie im Europabrief 16: „Wir werden Verachtung ernten" von Kardinal Walter Kaspar, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, zur christlichen Symbolik: www.europe4christ.net/index.php

(Verbreitung und Abdruck erwünscht: Bitte mit Quellenangabe! www.europe4christ.net)