15.10.2009
Deutschland: Begraben mit Blick nach Mekka
Bei Bestattungen von Muslimen in Baden-Württemberg sorgt nach wie vor die Sargpflicht für Ärger Von Frank Berno Timm (epd)
Deutschland: Begraben mit Blick nach Mekka
Bei Bestattungen von Muslimen in Baden-Württemberg sorgt nach wie vor die Sargpflicht für Ärger
Von Frank Berno Timm (epd)
Freiburg (epd Nr. 70 / 15.10.09). Nuhroz Aloji, ein syrischer Kurde, hat unter den Freiburger Muslimen ein besonderes Amt. Wenn ein muslimischer Mann stirbt, wird Aloji für die rituelle Waschung vor der Bestattung gerufen, seine Frau kommt zu weiblichen Toten. Doch nicht alle Wünsche, die Muslime haben, wenn es um ihre Bestattung geht, lassen sich ohne weiteres verwirklichen
Zwei nahe Verwandte Alojis haben auf dem muslimischen Gräberfeld des Friedhofs im Stadtteil St. Georgen ihre letzte Ruhe gefunden. Es schmerze ihn, sagt der studierte Islamwissenschaftler, dass eine der Grabstellen nur 15 Jahre bestehen werde. «Ich will, dass wir Gräber kaufen können», fügt er hinzu. Auch die baden-württembergische Regel, dass eine Bestattung ohne Sarg, wie sie der Islam vorsieht, nicht möglich sei, müsse geändert werden. Nach den Vorstellungen seines Glaubens müssten männliche Leichname nur in mindestens drei, weibliche Tote in fünf Tücher (und ein Kopftuch) gehüllt zur letzten Ruhe gebettet werden, erklärt Aloji.
Die Gräber in St. Georgen unterscheiden sich nicht nur durch die arabischen Schriftzeichen auf manchen Holzstelen oder Grabsteinen von sonst üblichen Friedhöfen. Die Anlage wirkt betont einfach und schlicht, die Grabstellen sind besonders ausgerichtet: Von Yanus Yildiz, dem Vorsitzenden des Islamischen Zentrums Freiburg, ist zu erfahren, Tote ruhten auf der rechten Seite liegend mit dem Gesicht zur Kaaba in Mekka gewandt. Wichtig ist nach Yildiz' Erläuterungen auch, dass die Bestattung rasch erfolgt.
Martina Schickle vom Presseamt der Stadtverwaltung macht indes deutlich, dass Leichname in Baden-Württemberg frühestens 48 Stunden nach Eintritt des Todes beerdigt werden dürften. Laut Nuhroz Aloji ist das kein Problem, es dauere ohnehin manchmal ein bis zwei Tage, alle Papiere fertigzustellen. «Am besten ist aber, wenn es schnell geht». Martina Schickle erläutert weiter, dass es sogenannte Wahlgräber gebe, deren Nutzungszeit auf Antrag verlängert werden; ausnahmsweise sei dies im muslimischen Grabfeld auch bei Reihengräbern möglich, die sonst grundsätzlich nach Ablauf der Ruhezeit eingeebnet würden.
Damit sind aber noch nicht alle Konfliktpunkte ausgeräumt. In Baden-Württemberg besteht die Pflicht, bei der Bestattung einen Sarg zu verwenden. Marion Deiß, Sprecherin im Sozialministerium, erinnert an die Novellierung des Bestattungsrechts im vergangenen März:
Seitdem gibt es eine «Ausnahmeregelung» für den Fall, dass die Religionszugehörigkeit eine Beerdigung ohne Sarg vorsehe: Demnach dürfe der Sarg im Grab geöffnet und der Deckel daneben abgelegt werden. Der Sarg, erklärt Marion Deiß, sei Teil der «jahrhundertealten Bestattungskultur», die man erhalten wolle.
Den Einwand, dass damit das Grundrecht auf freie Religionsausübung möglicherweise eingeschränkt sein könnte, hält die Ministeriumssprecherin für unerheblich. Sie beruft sich auf höchstrichterliche Urteile, die diese Einschränkungen rechtfertigen, sich ihren Angaben nach aber auf den Zwang zur Beisetzung auf einem Friedhof beziehen.
In Baden-Württemberg leben laut Landesregierung 600.000 Menschen muslimischen Glaubens. Die Zahl entsprechender Beerdigungen werde landesweit nicht erfasst, macht Martin Ratering vom Statistischen Landesamt deutlich. In Freiburg finden nach Angaben aus dem Rathaus jährlich 20 muslimische Bestattungen statt. Auch in Stuttgart gibt es seit 1985 rund 20 muslimische Beerdigungen im Jahr. Es existierten zwei Grabfelder, ein drittes werde vermutlich 2010 eingerichtet, auch ein Raum für Waschungen stehe zur Verfügung, teilt die Kommune mit.
In Karlsruhe gibt es ebenfalls muslimische Gräber. Die dortige Verwaltung erwartet, dass Anfragen nach muslimischen Bestattungen zunehmen, wenn Angehörige der zweiten und dritten Generation der Muslime versterben, die meist türkischer Abstammung sind. (2337/13.10.2009)