03.08.2010

Volksrepublik China: Laogai - Das Zwangsarbeitslagersystem

Volksrepublik China: Laogai - Das Zwangsarbeitslagersystem

 

 

 

 

„Laogai“

Der Laogai-Komplex, zu dem heute mehr als 1.400 Haftanstalten gehören, ist spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion das größte Zwangsarbeitslagersystem der Welt. Schätzungsweise vier Millionen Menschen werden darin zur Zwangsarbeit gezwungen, sieben Tage die Woche, bis zu 16 Stunden am Tag. Folter und Gewalt, ungenügende Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln, Schlafentzug und die Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung gehören zum Alltag vieler Gefangener. Vielfach werden Gefangene dazu gezwungen, Mitgefangene zu bespitzeln oder zu misshandeln. Die Zahl der Todesopfer wird von den Behörden der Volksrepublik China ebenso geheim gehalten wie die Zahl der Hinrichtungen. Heutige Schätzungen gehen davon aus, dass seit Errichtung der Lager 1949 zwischen 40 und 50 Millionen Menschen im Laogai inhaftiert waren.
Polizeidienststellen können ohne Richter und Anwälte Bürger der Volksrepublik China „administrativ“ für bis zu vier Jahre zur „Umerziehung durch Arbeit“ in Zwangsarbeitslager einweisen – ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren und ohne eine Möglichkeit zur Verteidigung oder Berufung. Obwohl diese Praxis völkerrechtlich bindende Menschenrechtsverträge verletzt, ist die Regierung der Volksrepublik nicht gewillt, diese Praxis zu beenden. Im Gegenteil: In einer schriftlichen Stellungnahme an die „tageszeitung“ erklärte die chinesische Botschaft im Jahr 2007 „Umerziehung durch Arbeit sei ein legitimes Mittel, um die innere Sicherheit zu gewährleisten.“
Nicht nur Kriminelle und Drogenabhängige werde Opfer des Lagersystems, sondern auch solche, die aus politischen Gründen in Haft genommen wurden, z.B. Angehörige von unterdrückten Minderheiten wie Tibetern und Uiguren, Anhänger von religiösen Gruppen wie der buddhistischen Meditationsschule Falun Gong oder Mitglieder einiger evangelischer Hausgemeinden, Gewerkschaftsaktivisten, Chinesen, die Petitionen einreichen, Bürgerrechtler und Aktivisten der chinesischen Demokratiebewegung.
Laogai ist eine chinesische Abkürzung des Begriffs „Lao Dong Gai Zao“ und bedeutet wortwörtlich übersetzt „Reform durch Arbeit“. Der Begriff wird häufig als Synonym für das gesamte Arbeitslagersystem in der Volksrepublik China verwendet. Er bezeichnet jedoch gleichzeitig eine spezifische Lager-Komponente innerhalb des Zwangsarbeitersystems. Da alle Informationen bezüglich der Lager als Staatsgeheimnis streng unter Verschluss gehalten werden, gibt es keine offiziellen Statistiken über die Anzahl der Lager und deren Insassen. Die unabhängige Laogai Research Foundation konnte jedoch bis Juni 2008 mindestens 1.422 Arbeitslager in der Volksrepublik identifizieren. Gründer dieser Stiftung ist IGFM-Kuratoriumsmitglied Harry Wu, der selbst insgesamt 19 Jahre als politischer Gefangener in Laogai-Lagern als Arbeitssklave ausgebeutet wurde. Die Laogai Research Foundation geht gegenwärtig von bis zu vier Millionen Häftlingen innerhalb des gesamten Laogai-Systems aus. Bei diesen Angaben muss berücksichtigt werden, dass es sich um Schätzungen handelt, die vor allem auf Zeugenaussagen beruhen. Zudem konnte die Laogai Research Foundation in den letzten Jahren kontinuierlich weitere Lager identifizieren.

Mehrere Lager- und Gefängnistypen

Innerhalb des chinesischen Arbeitslagersystems gibt es grundsätzlich zwei Haupt-Typen von Arbeitslagern, zwischen denen man differenzieren muss, nämlich Laogai und Laojiao, zu Deutsch „Umerziehung durch Arbeit“. Dies hängt damit zusammen, dass es im chinesischen Rechtssystem zwei verschiedene Möglichkeiten der Verurteilung gibt.

Arbeitslager ohne Anklage und Prozesse

Im einen Fall wird der Angeklagte von einem ordentlichen Gericht formell nach chinesischem Recht rechtskräftig verurteilt. Das Strafmaß reicht von einigen Jahren bis hin zur lebenslangen Haft und ist in der Regel immer mit Zwangsarbeit verbunden. Arbeitslager, in denen formell verurteilte Häftlinge inhaftiert sind, werden als die eigentlichen Laogai-Lager bezeichnet.
Der andere Fall ist die sogenannte Administrativhaft. Auf diesem Weg können Personen von einer einfachen Polizeidienststelle zu Zwangsarbeit in einem Lager gezwungen werden, ohne dass es zu einer förmlichen Anklage, einer Verhandlung oder der Möglichkeiten auf Verteidigung oder Berufung für die Opfer kommt. Die Administrativhaft kann formell für bis zu drei Jahre verhängt und zusätzlich um ein weiteres Jahr verlängert werden und wird meist in Laojiao-Zwangsarbeitslagern verbüßt. In einigen seltenen Fällen kann die Administrativhaft auch auf Grundlage des Jiuye, zu Deutsch „Erzwungene Arbeitszuweisung“, zeitlich gänzlich unbefristet von der Lagerleitung willkürlich verlängert werden. Administrativhaft und „Erzwungene Arbeitszuweisung“ verletzen internationale rechtliche Mindeststandards und internationale Menschenrechtsabkommen.
Neben den zwei Hauptkomponenten, Laogai und Laojiao, gibt es im chinesischen Zwangsarbeitslagersystem noch weitere Unterkomponenten. Dazu zählen Kanshousuo, zu Deutsch „Untersuchungsgefängnis“; Shourong Qiansong, zu Deutsch „Verwahrung und Rückführung“; Shourong Shencha, zu Deutsch „Verwahrung und Untersuchung“; Shaoguansuo, zu Deutsch „Jugendhaftanstalt“ und Jingshen Bingyuan, zu Deutsch „Psychiatrische Anstalt“. Außer in der zuletzt genannten psychiatrischen Anstalt werden in all diesen Einrichtungen die Insassen bis auf wenige Ausnahmen routinemäßig zur Zwangsarbeit genötigt. Selbst Personen, die sich in Untersuchungshaft befinden und noch eine reelle Chance haben, nicht verurteilt zu werden, sind davon nicht ausgenommen. Da sich die Haftbedingungen in den weit über tausend Lagern des Laogai-Zwangsarbeitersystems teilweise stark voneinander unterscheiden, ist es kaum möglich, präzise Verallgemeinerungen über Haftbedingungen innerhalb der verschiedenen Lagertypen zu treffen. Es steht jedoch außer Frage, dass tägliche Zwangsarbeit unter teils lebensgefährlichen Bedingungen, Anwendung von Folter und dem Fehlen von Rechtsstaatlichkeit schwerwiegende Verletzungen der auch für die Volksrepublik China völkerrechtlich bindenden Menschenrechtsdokumente sind.
Zusätzlich zu den Vorwürfen über Menschenrechtsverletzungen vermutet die IGFM, dass das Laogai-System in der Volksrepublik bewusst als Wirtschaftsfaktor genutzt wird. So ist fast allen Laogai-Arbeitslagern ein kommerziell ausgerichteter Betrieb angegliedert, der seine Produkte von Häftlingen unentgeltlich oder für einen Minimallohn im Rahmen der Zwangsarbeit herstellen lässt und diese Produkte sowohl auf dem Binnenmarkt als auch auf dem Exportmarkt vertreibt. Versuche seitens ausländischer Regierungen, zumindest den Export von Laogaigefertigten Produkten zu unterbinden, waren bisher kaum erfolgreich. So unterzeichneten die USA und die VR China am 7. August 1992 ein „Memorandum of Understanding“ mit der Absicht den Export von Laogaigefertigten Produkten in die USA zu unterbinden. Da es jedoch zu Streitigkeiten zwischen den beiden Handelspartnern über die Umsetzung kam, unterzeichneten die USA und China am 14. März 1994 eine „Erklärung der Zusammenarbeit“ [„Statement of Cooperation“] mit dem Ziel die Differenzen zu beseitigen. Nach dieser Erklärung sollte US-Beamten unter anderem die Möglichkeit einräumt werden, Laogai-Produktionsstätten zu besuchen, die im Verdacht stehen, Güter in die USA zu exportieren. Obwohl das US-amerikanische Außenministerium in seinem China Menschrechtsreport 1998 [„China Country Report on Human Rights Practicies for 1998“] feststellte, dass sich die Zusammenarbeit zwischen den zwei Staaten zum Zwangsarbeiterproblem verbessert hat, bezeichnet der Bericht die Zusammenarbeit zugleich als insgesamt „inadäquat“. So wurden 1999 mehrere Anfragen des US-Zollamtes zur Inspektion von Laogai-Produktionsstätten allesamt vom chinesischen Justizministerium ignoriert.

Offizielle Vermeidung des Begriffs

In ihrem Streben nach internationaler Anerkennung beschloss die chinesische Regierung im Jahr 1994, den Begriff „Laogai“ aus dem offiziellen Sprachgebrauch zu streichen und durch die neutralere Formulierung „Jianyu“, zu Deutsch „Gefängnis“, zu ersetzen. Zuvor wurde der Begriff Laogai bereits im Ausland mit dem stalinistischen Gulag-System verglichen, der in der Tat einst als Vorbild für den chinesischen Laogai diente. Trotz der Namensänderung und einigen in den vergangen Jahren öffentlichkeitswirksam angekündigten Reformen besteht der Laogai mit seinen Unterkomponenten bis heute.

Quelle: Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) e.V.

www.igfm.de/Laogai-Das-Zwangsarbeitslagersystem-der-Volksrepublik-China.1363.0.html