09.12.2010

Deutschland: Eine deutsche Muslima, die den Islam lehrt

Interwiev mit Carolin Hammad

Deutschland: Eine deutsche Muslima, die den Islam lehrt

Interwiev mit Carolin Hammad

Carolin Hammad ist Muslima, Deutsche und Islamlehrerin. Sie spricht sich dafür aus, den traditionellen Islam zeitgemäß zu interpretieren.

Carolin Hammad, Tochter einer Deutschen und eines Ägypters, aufgewachsen im Sauerland, wollte eigentlich Chemikerin werden und in die Forschung gehen. Nun hat sie gerade ihr Lehramtsstudium in Mathematik, Pädagogik und Islamunterricht abgeschlossen. „Islamunterricht hat mir schließlich am meisten Spaß gemacht“, sagt Hammad. Sie sitzt in ihrem winzigen Büro des Islamischen Seminars der Universität Münster, dessen Adresse man nur auf Anfrage erhält. Das Centrum für Religiöse Studien liegt etwas versteckt, hinein kommt man durch eine Panzertür.

Ihr Lieblingsfach Islamunterricht gibt es noch gar nicht an deutschen Schulen. Doch viele Muslime fordern es schon lange vehement ein. 2004 gab es an der Universität Münster die bundesweit erste Professur für „Religion des Islam“. Damit sollen Islamlehrer für staatliche Schulen ausgebildet werden, um muslimischen Jugendlichen eine differenzierte und moderne Sicht des Islam zu vermitteln.

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In diesem Jahr sind die ersten Studenten fertig geworden: gläubige Muslime, die Islamlehrer, Religionsgelehrte oder Imame werden wollen. Carolin Hammad, 28 Jahre, ist eine von ihnen. In wenigen Wochen wird sie ihr Referendariat an einem Gymnasium in Hagen beginnen – sollte sie sich nicht doch noch dazu entschließen, in Münster über die Entwicklung muslimischer Jugendlicher in Deutschland zu promovieren.

Die hohen Sicherheitsmaßnahmen am Centrum, an dem es neben dem Lehrstuhl für Religion des Islam einen Lehrstuhl für Orthodoxe Theologie sowie eine Professur für Judaistik und eine für Islamische Religionspädagogik gibt, sind eine Reaktion auf den Fehlstart, die die Islamlehrerausbildung erlitten hatte. Der erste Professor, Sven Kalisch, bezweifelte, dass der Prophet Mohammed je existiert hat. Für einen Wissenschaftler legitim, für einen gläubigen Muslim undenkbar. Von Studenten hagelte es Beschwerden, Kalisch bekam Morddrohungen. Die Universität Münster berief im Frühjahr Mouhanad Khorchide (38) zum Professor für islamische Religionspädagogik und folgte damit Empfehlungen des Wissenschaftsrats, der eine Berufung analog zum Modell christlicher Theologen empfohlen hat, bei der Kirchen ein Veto gegen Kandidaten einlegen dürfen.

Sollte an allen deutschen Schulen Islamunterricht angeboten werden?

Ja, das wäre sinnvoll. Nur dort, wo es viele muslimische Kinder gibt? Nein, das wäre falsch

Carolin Hammad war eine der wenigen Studenten, die sich nicht am Boykott von Kalisch beteiligte und weiterstudierte. „Die persönliche Meinung von Herrn Kalisch spielte im Unterricht keine Rolle“, sagt sie. „Er ist ein guter Dozent – und außerdem wollte ich weiterkommen und nicht monatelang auf einen neuen Professor warten.“

Von ihrem Arbeitsplatz im Dachgeschoss hat man einen schönen Blick auf Münsters Altstadt und die Überwasserkirche. Die christliche Religion ist Hammad nicht fremd: Ihre deutsche Mutter ist evangelisch, genau wie ihre ältere Schwester. Mit 16 Jahren konnten die Schwestern frei über ihre Religion entscheiden. Hammad erinnert sich daran, wie sie während ihrer Schulzeit in Meschede im Sauerland in einem Aufenthaltsraum sitzen musste, wenn ihre Mitschüler in katholischer oder evangelischer Religion unterrichtet wurden. „Es ist ein wichtiges Signal, wenn es endlich ein gleichwertiges Angebot für islamische Schüler gibt“, sagt sie. „Ich fühlte mich damals ausgegrenzt.“

Islamkunde wird im Modellversuch an Grundschulen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Bremen und Niedersachsen unterrichtet. Muslimische Schüler sollen die Botschaft des Korans und den Propheten Mohammed kennenlernen, Wissen über Weltreligionen erlangen. Eine flächendeckende Einführung scheiterte jedoch bislang vor allem daran, dass es im Islam keine repräsentative Organisation als Partner des Staates gibt.

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Hammad ist eine fromme Muslimin und gleichzeitig ein moderne junge Deutsche. Ihren Milchkaffee trinkt sie am liebsten in einem Studentencafé, in dem eine Discokugel glitzernde Flecken auf alte Bauerntische wirft. Gleichzeitig betet sie fünfmal am Tag, fastet an Ramadan und plant, mit ihrem Vater nach Mekka zu pilgern. Für ein potenzielles Fach Islamunterricht gibt es noch keinen Lehrplan. Hammad aber möchte ihren künftigen Schülern vieles beibringen von dem, was sie selbst während ihres Studiums gelernt hat. Die Lebensgeschichte des Propheten, Koranauslegung, das islamische Recht, das – je nach Rechtsschule – etwa die Haltung der Arme und Hände oder hochgeschlossene Kleidung beim Gebet vorschreibt.

Man müsse klarstellen, dass der traditionelle Islam heute zeitgemäß interpretiert werden muss und gewisse Anweisungen Mohammeds nicht wörtlich zu verstehen sind. In der Scharia steht, wer gestohlen habe, dem solle man die Hand abhacken, wer Ehebruch begangen hat, gesteinigt werden. „Das ist mit dem deutschen Grundgesetz wohl schlecht vereinbar“, sagt Hammad. „Man muss zwischen Geboten und Gesetzen unterscheiden. Man kann eine Fülle von Geboten aus dem Koran ableiten, dass man im Alltag barmherzig sein soll etwa. Wenn es jedoch um Gesetze und Konsequenzen bei Straftaten geht, so darf man sich natürlich ausschließlich an das Grundgesetz halten.“

Muslimische Verbände

Der größte muslimische Verband ist laut Innenministerium die Ditib. Dieser Ableger des türkischen Staates verfügt über 896 Moscheegemeinden, bemüht sich um ein moderates Profil, mehr aber noch um die Stärkung türkischer Identität.

Als zweitgrößter Verband gilt der türkisch geprägte Islamrat mit mindestens 500 Gemeinden. Dominiert wird er von der Milli Görüs, die als friedlich-islamistisch gilt.

Dagegen präsentiert sich der kleine Zentralrat der Muslime als multiethnisch. Er vereint unterschiedliche Muslime, von Liberalen bis zu Islamisten.

Im autoritär geführten Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ) sammelt sich eine mystische Bruderschaft aus der Türkei. Er zählt rund 300 Gemeinden.

Hammad stellt sich übergreifende Projekte an der Schule über die Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Religionen vor – auch um Vorurteile abzubauen. „Du bist Muslimin? Das sieht man dir ja gar nicht an!“, bekommt sie manchmal zu hören, wenn sie etwa mit neuen Freunden isst und auf Schweinefleisch verzichtet. Eine Moschee besucht sie nicht, in Münster fühlt sie sich in keiner so recht aufgehoben. Eine ideale Moschee hätte für sie große Fenster, die Transparenz in den deutschen Islam tragen. Hinterhofmoscheen, wo die Frauen traditionell hinter den Männern beten, meidet Hammad. „Da finde ich mich nicht ganz wieder.“ Also betet sie zu Hause, auf ihrem Gebetsteppich.

In den islamischen Lehrgängen in Münster ist ein Großteil der Studenten türkischstämmig, aber es gibt auch viele aus Syrien, dem Libanon, Marokko, Bosnien. Oft prallen moderne und traditionelle Sichtweisen aufeinander. Wenn Carolin Hammad ein Referat hält, redet sie von Gott und nicht von Allah. Einigen gefällt das nicht. „Warum muss ich immer Allah sagen?“, fragt Hammad. „Allah bedeutet übersetzt nichts anderes als Gott, das ist doch kein Gegensatz.“

Die meisten in Deutschland lebenden Ausländer sind Türken. Außerdem leben hier besonders viele Italiener, Polen und Griechen. Viele Deutsche zieht es in die beiden Nachbarländer Schweiz und Österreich sowie nach Spanien

Viele ihrer Kommilitoninnen leben auch mit Mitte, Ende 20 noch zu Hause. „Da ist das Vertrauen der Familien nicht da, dass die Töchter auch alleine leben können.“ Als sie selbst in die Pubertät kam, musste sie oft mit ihrem Vater diskutieren und dafür kämpfen, sich auch weiterhin mit befreundeten Jungs zum Fußball verabreden zu dürfen. Ihr Vater ließ sich überzeugen. Dass viele Familien noch immer auf archaische Traditionen beharren, sieht Hammad als Folge eines großen Dilemmas des Islam: Viele Muslime neigten dazu, die Gemeinschaft über alles zu stellen und die individuelle Person zu vergessen. „Gemeinschaft ist etwas Schönes und Wichtiges“, sagt Hammad, „andererseits ist die Freiheit der individuellen Entwicklung eine tolle, demokratische Errungenschaft.“

Das will sie auch muslimischen Jugendlichen entgegensetzen, die sie möglicherweise als Lehrerin nicht akzeptieren. „Viele muslimische Jungs haben kein gutes Frauenbild“, weiß Hammad. „Da werde ich zu kämpfen haben.“ Sie rechnet damit, an Brennpunktschulen unterrichten zu müssen, wo es viele Schülern mit Migrationshintergrund gibt. Auf die Frage, ob sie sich selbst von diesem Ausdruck angesprochen fühlt, ist Hammad erstaunt. „Stimmt, laut Definition bin ich wohl eine Deutsche mit Migrationshintergrund. Dabei fühle ich mich gar nicht so, ich bin doch gar nicht zugewandert!“ Auch ihr Vater habe längst nur noch den deutschen Pass.

welt.de