18.12.2010

Aserbaidschan:Razzia beim Gottesdienst

„Sie brauchen keine Genehmigung, um über Schach oder Fußball zu sprechen, aber sie brauchen eine, um über Religion zu sprechen“

Aserbaidschan:Razzia beim Gottesdienst

„Sie brauchen keine Genehmigung, um über Schach oder Fußball zu sprechen, aber sie brauchen eine, um über Religion zu sprechen“

 

Mehr als 15 Polizeibeamte begleitet von Journalisten mit einer Videokamera sowie ein Beamter des Amts für religiöse Angelegenheiten nahmen am Samstag, 11. Dezember eine Razzia beim Gottesdienst der Gemeinde der Sieben Tages Adventisten in Sumait vor. Unter anderem wurden die 10 anwesenden Mitglieder der Adventgemeinde befragt, wie viel man ihnen bezahlt hätte, um Christen zu werden. Danach wurden vom örtlichen Gericht hohe Geldstrafen gegen zwei Mitglieder der Gemeinschaft verhängt. Begründet wurde dies damit, dass die Gemeinde keine staatliche Genehmigung hat, um sich zu versammeln. „Sie haben nicht gebetet, sie haben Vorträge gehalten. Das ist religiöse Propaganda“, erklärte ein Polizeibeamter auf Befragen durch den Nachrichtendienst Forum 18. Auf die Frage, ob die Polizei eine Razzia durchgeführt und das Gericht Geldstrafen verhängt hätte, wäre es bei dem Treffen um Fußball oder Schach gegangen, antwortet der Beamte: „Sie brauchen keine Genehmigung, um über Schach oder Fußball zu sprechen, aber sie brauchen eine, um über Religion zu sprechen.“

Razzien bei Gottesdiensten von Religionsgemeinschaften, die der Regierung ein Dorn im Auge sind, sind in Aserbaidschan keine Seltenheit. Erst am 31. Oktober wurde das Erntedankfest der Baptistengemeinde in Kusar im Norden des Landes aufgelöst und vier Gemeindeglieder mussten für fünf Tage ins Gefängnis.

Die Geldstrafen gegen die Adventisten wurden nur etwas mehr als eine Woche vor der Behandlung der Neufassung des Verwaltungsstrafgesetzes im aserbaidschanischen Parlament verhängt, durch die eine Verschärfung der Strafen für religiöse Betätigung nach Artikel 299 und möglicherweise auch Artikel 300 um das bis zu 15-fache erwartet wird.

Am 11. Dezember publizierte das Innenministerium auf seiner Website eine Presseaussendung über die Razzia. Darin wurde behauptet, die Adventisten wären eine „gesetzlich verbotene Glaubensgemeinschaft“. Weiters wurde in der Presseaussendung erwähnt, dass Rustam Ahmedov, einer der Bestraften, moldawischer Staatsbürger ist („religiöse Propaganda durch Ausländer“). Die Anzahl der konfiszierten Bücher und CDs wurde übertrieben, es wurde behauptet, dass es sich ausschließlich um Werke religiöser Propaganda handelte. Protestanten, die aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden wollen, erklärten gegenüber Forum 18, dass von der wahllosen Konfiskation nicht nur die religiösen Bücher, sondern auch Comics der Kinder wie Tom und Jerry, Videos von Ahmedovs Hochzeit und von Geburtstagspartys seiner Kinder betroffen waren.

Die Desinformationen der Presseaussendung wurden von der Lokalpresse aufgegriffen.

Adventisten gibt es übrigens in Aserbaidschan seit über 100 Jahren, sie waren nie verboten. Auf der Website des Staatskomitees werden sie neben russisch Orthodoxen, Katholiken und Baptisten als „traditionelle Konfession“ genannt

Aufgrund seiner internationalen Menschenrechtsverpflichtungen ist es Aserbaidschan nicht gestattet, die Versammlungen von Religionsgemeinschaften zu verbieten, weil diese über keine staatliche Registrierung verfügen. Ein solches Verbot wird jedoch in der restriktiven Neufassung des Religionsgesetzes von 2009 vorausgesetzt, worin auch die Neuregistrierung aller Religionsgemeinschaften verfügt wurde. Nach dem Verwaltungsstrafgesetz ist religiöse Betätigung ohne staatliche Registrierung entgegen der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen strafbar.

Obwohl die Frist für die Neuregistrierung aller registrierten Religionsgemeinschaften zur Aufrechterhaltung ihrer Registrierung am 1. Januar 2010 abgelaufen ist, hat das Staatskomitee viele Anträge von Religionsgemeinschaften ignoriert oder abgelehnt.

Quelle: Forum 18 News Service, Oslo

Deutsche Fassung: AK Religionsfreiheit der Österreichischen Evangelischen Allianz