24.12.2010

China: Stille Macht, unheilige Macht

In China haben Eltern ihre behinderten Kinder in ein Waisenhaus abgeschoben. Weil es christlich geführt wird, werden die Nonnen von den Behörden schikaniert. Die ohnehin schwere Lage hat sich kurz vor Weihnachten noch einmal verschlechtert. Es droht die Schließung. Von Till Fähnders

China: Stille Macht, unheilige Macht

In China haben Eltern ihre behinderten Kinder in ein Waisenhaus abgeschoben. Weil es christlich geführt wird, werden die Nonnen von den Behörden schikaniert. Die ohnehin schwere Lage hat sich kurz vor Weihnachten noch einmal verschlechtert. Es droht die Schließung.

 

Von Till Fähnders

 

Das Waisenhaus von Wuqiu ist hinter Kirchentüren verborgen. Oben ragen die Türme der Kathedrale in den Himmel. Unten wischt eine der Nonnen Urin vom Boden. Durch die halbrunden Fenster kommt fahles Licht in den dunklen Raum. Hier sind die jungen Erwachsenen mit schweren geistigen und körperlichen Behinderungen untergebracht. Sie haben ihr gesamtes bisheriges Leben in dem Waisenhaus verbracht. Ihre schwachen Körper sitzen in Rollstühlen, manchen wurden die Beine an dem Gestell festgebunden. Unruhig lassen sie die Köpfe kreisen. Ein Junge stößt unartikuliert Laute aus. Ein anderer sitzt mit nacktem Hintern auf einem wackeligen Stuhl aus Holz und Metall über einem Toiletten-Eimer.

Für die Kinder ist es ein Leben im Elend. Es fehlt dem Waisenhaus praktisch an allem, sagt Schwester Maria Zhang, deren echter Name zu ihrer Sicherheit nicht verraten werden soll. Es gibt keine Seife, kein Waschmittel, keine Zahnpasta. Von Windeln ist nicht einmal die Rede. Es gibt gerade einmal genug zu essen. Befreundete Christen laden Kartons mit Lebensmitteln aus einem kleinen Lieferwagen. Doch die Behörden erlauben keine größeren Hilfslieferungen. Denn das, was in dieser Kathedrale und dem Waisenhaus geschieht, ist in den Augen des Staates illegal. Die katholische Kirche in China spaltet sich in eine offizielle "patriotische" Kirche und eine Untergrundkirche, deren Anhänger dem Papst die Treue halten. Zu ihr gehören auch diese Christen in Wuqiu.

Es ist ein armes Dorf in der nordchinesischen Provinz Hebei, in der die meisten Katholiken Chinas leben. Auf dem Kirchengelände wird der vatikantreue Bischof Julius Jia Zhigou festgehalten und ununterbrochen überwacht. Seine Wächter lassen keine Besucher und Unterstützer hinein. Der Bischof hat das Waisenhaus vor mehr als 20 Jahren eröffnet. Maria Zhang ist eine von Dutzenden Schwestern, die sich seither für das Leben der Kinder aufopfern. Heute gehören rund 80 Kinder und Jugendliche zum Waisenhaus. "Die meisten wurden vor der Kirchentür abgelegt", berichtet Maria Zhang. Oft lag nur ein Zettel dabei, auf dem ihr Herkunftsort gekritzelt stand. Wegen der Ein-Kind-Politik haben die Eltern ihre behinderten oder "überzähligen" Kinder aufgegeben und der Barmherzigkeit der Schwestern überlassen.

Genau genommen ist es also gar kein Waisenhaus - viele der Kinder haben irgendwo noch Familie. Die ersten Bewohner waren zwei gelähmte Kinder und ein Junge, der blind zur Welt gekommen war. "Als ich die Kinder sah, wusste ich, dass ich mich um sie kümmern muss", sagt Maria Zhang. Doch weil das Waisenhaus zur Untergrundkirche gehört, machen die Behörden den Nonnen das Leben schwer. Einmal wurde ein großer Hilfstransport gestoppt, den ein Buddhist geschickt hatte. Immer wieder wurden Besucher von den Behörden festgenommen, die Nonnen auf der Polizeistation verhört. Ihnen wurde mit Strafen wegen Verstößen gegen die Familienpolitik gedroht. Vor dem Eingang hängt eine Videokamera, die jede Bewegung aufnimmt. Ein Bewacher notiert sich die Kennzeichen der parkenden Autos.

Die ohnehin schwere Lage hat sich nun kurz vor Weihnachten noch einmal verschlechtert. "Sie stehen vor der Schließung", berichtet ein Christ mit Kontakten zu dem Waisenhaus. Die Behörden wollen die Kinder in eine staatliche Einrichtung bringen. Sie drängen den Bischof, sein Einverständnis zu geben. Es ist die Strafe für seine Loyalität zum Papst. Einige der Kinder hätten geweint, als sie davon erfuhren, sagt der Kontakt. Sie seien mit dem christlichen Glauben aufgewachsen und wollten unbedingt in Wuqiu bleiben. Dabei würde der Umzug in ein staatliches Heim wohl sogar eine Verbesserung der Lebensumstände mit sich bringen. Doch seien ja die Behörden für die schlechten Zustände in dem Waisenhaus verantwortlich und nicht die Nonnen, sagt die Kontaktperson. Besser wäre es, Hilfslieferungen und Spenden zu erlauben und die Nonnen bei ihrer Arbeit zu unterstützen, anstatt sie zu verfolgen. Für eine Stellungnahme dazu waren die örtlichen Behörden jedoch nicht zu erreichen.

Die Schwierigkeiten in Wuqiu spiegeln dabei nicht nur die Probleme der Christen in China wider, sondern auch die nach wie vor prekäre Lage der geistig und körperlich Behinderten, um die man sich auch von offizieller Seite her nicht genug kümmert. Besonders auf dem Land werden Behinderte oft vernachlässigt und im Extremfall sogar in Verschläge gepfercht. Gerade erst wurde bekannt, dass ein Heimleiter in Südwestchina geistig Behinderte als Sklavenarbeiter an eine Fabrik verkauft hat. Für die verlassenen Kinder von Wuqiu ist es deshalb ein Segen, dass sich die Nonnen um sie kümmern. Normalerweise würden sie am Weihnachtstag alle gemeinsam eine Christmette mit Stall und Krippe feiern. Doch für sie wird es wegen der drohenden Schließung kein frohes Fest.

F.A.Z.Net