20.01.2010
Sudan: „Wir fürchten den Krieg – trotz Friedensvertrag“
Kirchen warnen vor neuen Kämpfen
KiN, 20.01.2010 - Jahrzehnte Krieg und Terror haben im Sudan ihre Spuren hinterlassen; nicht zuletzt in den Herzen der Menschen. Die Gewalt hat Millionen Opfer gekostet, Misstrauen gesät und die Gesellschaft zersetzt. Friedensverträge wurden unterschrieben und wieder gebrochen. Noch hält zwar der letzte, mit viel Hoffnung verbundene Vertragsschluss von Januar 2005, die so genannte „umfassende Friedensvereinbarung“ (Comprehensive Peace Agreement, CPA). Doch de facto regelt das Dokument nicht mehr als einen vorläufigen Waffenstillstand, der zudem nur in Teilen des Landes gilt.
Echten Frieden hat das vor fünf Jahren in Nairobi unterschriebene Abkommen zwischen der Regierung in Khartum sowie der Volksbefreiungsarmee und -bewegung im Süden (Sudan People’s Liberation Army/Movement, SPLA/M) dem Land jedenfalls nicht gebracht. Im Gegenteil: Die Regierung in Khartum hat die Vereinbarung von 2005 mehrfach gebrochen.
Gezielt wurde und wird das für 2011 angesetzte Referendum über die Unabhängigkeit des Südens unterlaufen. Die für Juni 2009 geplanten Nationalwahlen wurden auf den April 2010 verschoben, in die klimatisch wohl heißeste Zeit des Jahres, in der Millionen einfach sehen müssen, wie sie über die Runden kommen sollen. Flüchtlinge können nicht in ihre Heimatregion zurück, um sich registrieren zu lassen. Die Infrastruktur im ehemaligen Kriegsgebiet ist nach wie vor dürftig, die Versorgung der Bevölkerung bleibt unzureichend. Zugenommen hat nur die Korruption. Weite Teile des Landes wie der Bevölkerung profitieren nicht von den Einnahmen aus dem Ölgeschäft, die dem Wiederaufbau dienen sollen.
Mehrere Nichtregierungsorganisationen, darunter das internationale katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ haben darauf hingewiesen, dass im Sudan die Gewalt zugenommen hat. Ein neuer, offener Krieg droht. Anfang Dezember erklärte der katholische Bischof von Rumbek, Cesare Mazzolari, in einem dramatischen Appell: „In vielen Teilen des Landes terrorisieren von der Regierung unterstützte Milizen die Bevölkerung. Sie schüren Angst und provozieren Spannungen unter Stämmen und ethnischen Gruppen.“
Auch die „Episcopal Church of Sudan (ECS)“ warnt in einer Erklärung Ende November vor einem Scheitern der Friedensvereinbarung von 2005. Sowohl bei der Vorbereitungen zu den bevorstehenden Wahlen wie in punkto Einnahmen durch das Ölgeschäft lasse die Regierung jegliche Transparenz vermissen. Es würden Gesetze erlassen, die dem Geist des Friedensabkommens widersprächen; die Vorbereitungen für das Referendum 2011 würden blockiert. Diplomaten wie der russische Sonderbotschafter Michail Margelow warnen gar von einem „neuen Somalia“, da die Lage immer mehr außer Kontrolle gerate. Bischof Mazzolari spricht von zunehmenden Spannungen zwischen Nord und Süd. Bisher sei es zwar nur vereinzelt zu offenen Kämpfen gekommen, doch herrsche eine Atmosphäre des „kalten Krieges“ vor.
Hintergrund: Regierungstruppen haben wichtige strategische Positionen neu besetzt. Es geht letztlich darum, den Zugriff auf die Ölvorkommen des Landes zu sichern. Der Rohstoff verheißt demjenigen Wohlstand, der die Quellen kontrolliert sowie die Förderungstechnik bereitstellen kann und beherrscht. Und: Trotz aller Proteste und Vermittlungsversuche führt das Khartumer Regime im Westen des Landes weiter unverdrossen Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Das alles lässt nichts Gutes erwarten. Beobachter halten einen neuerlichen Ausbruch der Kämpfe in Kurdufan oder in den Nuba-Bergen, vielleicht sogar im Süden daher für sehr wahrscheinlich.
Der Bischof von El Obeid, der betroffenen Diözese im Herzen des Sudan, Macram Max Gassis, hat die Regierung wiederholt und mit scharfen Worten kritisiert: „Ich bin Zeuge einer seit mehr als 20 Jahren andauernden religiösen Verfolgung und Versklavung, von Vergewaltigungen und Folter, Hunger und Tod.“ Im Gespräch mit Vertretern von „Kirche in Not“ beschreibt der Bischof das unvorstellbare Leiden der Bevölkerung: „2,2 Millionen Menschen wurden Opfer eines Völkermordes, der Sudans Christen und Nichtmuslimen galt.“
Die Zahl der Toten sei höher als bei den Verbrechen in Bosnien, im Kosovo und in Ruanda. Ohne Skrupel habe die Regierung Kirchen, Schulen, Krankenhäuser und Flüchtlingslager bombardieren lassen. Das sei im Südsudan zwar jetzt vorbei, doch die aktuellen Ereignisse in Dafur seien eine Kopie dessen, was im Süden des Landes geschehen sei: ein Genozid.
Die Not der Bevölkerung ist nach Darstellung des Bischofs nicht kleiner geworden. Die Regierung verhalte sich nach wie vor „wie ein Vater, der sich um seine Kinder nicht kümmert“, ja sie täusche und manipuliere. So sei etwa die Zahl der christlichen und nicht-muslimischen Sudanesen deutlich höher als von offizieller Seite immer wieder behauptet werde.
Um die Gott gegebene Würde des Menschen zu verteidigen, sei die Kirche verpflichtet, immer wieder ihre Stimme zu erheben. „Die Kirche ist ein Zeichen der Hoffnung.“ Sie helfe tatkräftig, baue Schulen und Brunnen, unterstütze die Menschen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihren religiösen Überzeugungen.
Vehement kritisiert der Bischof, der in Khartum geboren wurde und fließend Arabisch spricht, die Entwicklung im Sudan seit 2005. Die in der Friedensvereinbarung gegebenen Zusagen seien nicht eingehalten worden. Flüchtlinge hätten nach wie vor nicht die Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren. Ein Wiederaufbau finde nicht statt, die Infrastruktur fehle, Brunnen, Krankenhäuser, Schulen. Die Einnahmen aus dem Ölgeschäft kämen den betroffenen Regionen nicht zugute. Anstatt die Landwirtschaft zu fördern, würden Lebensmittel importiert.
Offene Kritik ist bei den Machthabern in Khartum wenig beliebt. Wer sie übt, muss mit Repressalien rechnen. Bischof Gassis hat sie zu spüren bekommen. Er galt lange als „persona non grata“, als unerwünschte Person, die einen Zugriff durch das Regime fürchten musste. Vor 17 Jahren verließ er deshalb seine Diözese. Inzwischen kann er den Sudan wieder besuchen.
Die Kritik des Bischofs gilt jedoch nicht nur der Regierung; auch gegenüber Vertreter der SPLA/M spart er nicht mit deutlichen Worten. Ihre Vertreter verfolgten persönliche Interessen, nicht die der Bevölkerung. Die Korruption sei zu einem ernsten Problem geworden. Staatliche Mittel und Hilfsgelder kämen nicht dem Aufbau der Infrastruktur zugute, sondern nur wenigen einzelnen. Das Geld werde verschwendet oder fließe in irgendwelche Taschen. Bischof Gassis: „Ich habe christliche Politiker gefragt: Was habt ihr mit dem Geld gemacht? Sie konnten mir keine Antwort geben, weil sie genauso korrupt sind wie die Regierung.“
Zudem prangert der Bischof die mangelnde Geschlossenheit der Opposition im Sudan an. Die Uneinigkeit verlängere nur die Leiden der Bevölkerung. Es sei notwendig, zu Ehrlichkeit und Transparenz zurückzukehren; zu einer Verständigung, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet, nicht nach den persönlichen Ambitionen von Politikern. Bischof Gassis bestätigt die Beobachtung vieler: „Unter diesen Umständen hat das CPA keine Chance. Fünf Jahre nach der Unterzeichnung droht ein neuer, bewaffneter Konflikt.“
Kirche in Not - Österreich
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